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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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die Kinder vererben. Als nun unser Bauer auf dem Todbette lag, drückte ihn
das Verbrechen, und er ließ seinen ältesten Sohn und Erben vor sich kommen,
legte ein Geständniß vor ihm ab und ermahnte ihn, das Grundstück dem recht¬
mäßigen Besitzer wieder zuzustellen. Der Sohn hingegen gab dem Vater zu be¬
denken, wie die Wiese der Stelle unentbehrlich sei, da das Vieh ohne sie kein
Futter habe, das Gut aber bei vermindertem Vieh nicht bewirthschaftet werden
könne. Der Alte hörte ihn aufmerksam an und sagte dann tiefseufzcnd: Behol d e
Wisch, min Jung. Mine nnstarfliche Seele mag sehn, wo se rale.
(Behalte die Wiese, mein Sohn. Meine unsterbliche Seele mag sehen, wie sie
fertig wird.)

In wiefern die Untheilbarkeit der Güter, die Viele einen Mißbrauch und
bloßen Ueberrest bäuerlichen Fendalwesens nennen werden, in der Natur des
Landes eine Rechtfertigung findet, mögen Andere entscheiden. Die große Mehr¬
zahl der oldenbnrgcr Beamten vertheidigt sie eifrig, und oft gerade die am meisten,
welche im Fürstenthume Äirkenfeld Gelegenheit gehabt haben, das aus der völlig
' unbeschränkten Theilbarkeit der Güter entspringende Proletariat kennen zu lernen.
Da die Friesen weder Adel, noch Hörigkeit, noch geschlossene Stellen gehabt
haben, so giebt es in denjenigen Theilen des Kreises Kloppenburg, die von
diesem Völkerstamme bewohnt werden, keine Untheilbarkeit der Güter; wol aber
findet man sie in den großen Marschen des Jever-, Butjadinger und Stedingcr
Landes, obgleich sie ebenfalls alte FricscnsHe sind. Freilich sind die reichen
Marschbauern oft in der Lage, diejenigen ihrer Söhne, welche das Stammgut
nicht erben, mit anderen Stellen, die sie zusammenlaufen, auszustatten. Minorate
sind in manchen Gegenden des Butjadinger Landes und des Kreises Delmenhorst
gebräuchlich. Sie haben wol darin ihren Grund, daß bei des Vaters Tode der
jüngste Sohn am ersten der Hilfe bedarf; sie verstoßen aber am meisten gegen
das Gefühl, indem dann oft ein Knabe Herr über Männer, seine Brüder, wird.

Man wird fragen, was denn aus den Brüdern des bevorzugten Sohnes
werde. Sie bleiben, wofern sie nicht als Handwerker oder Schiffer, oder viel¬
leicht durch Erwerb eines kleinen Eigenthums in der Haide zur Selbstständig-
keit gelangen, als Knechte ans der Stelle, und leben unter der Bezeichnung vie
Jungens (alteJunge") mit dem Volke, d. i. dem Gesinde, auf gleichem Fuße.
Hat sich der "vie Jung" von dem kleinen Erbtheil, das ihm zugefallen, und
seinem Lohne ein Sümmchen zusammengespart, so vermacht er es oft nicht, wie
man denken sollte, denjenigen Söhnen seines Bruders und Herrn, die dem be¬
scheidenen Loose entgegensehen, auch "vie Jungens" zu werden, sondern dem
künstigen Erben, damit sich der Glanz der Stelle, an der ja auch er, wenn auch
nur als Dienender, Theil hat, mehre. Im Gespräche mit Fremden pflegt er
seine Abkunft gern zu erwähnen; denn, ist er auch nicht mehr als ein Knecht,
so hat er doch edleres Blut in den Adern.


die Kinder vererben. Als nun unser Bauer auf dem Todbette lag, drückte ihn
das Verbrechen, und er ließ seinen ältesten Sohn und Erben vor sich kommen,
legte ein Geständniß vor ihm ab und ermahnte ihn, das Grundstück dem recht¬
mäßigen Besitzer wieder zuzustellen. Der Sohn hingegen gab dem Vater zu be¬
denken, wie die Wiese der Stelle unentbehrlich sei, da das Vieh ohne sie kein
Futter habe, das Gut aber bei vermindertem Vieh nicht bewirthschaftet werden
könne. Der Alte hörte ihn aufmerksam an und sagte dann tiefseufzcnd: Behol d e
Wisch, min Jung. Mine nnstarfliche Seele mag sehn, wo se rale.
(Behalte die Wiese, mein Sohn. Meine unsterbliche Seele mag sehen, wie sie
fertig wird.)

In wiefern die Untheilbarkeit der Güter, die Viele einen Mißbrauch und
bloßen Ueberrest bäuerlichen Fendalwesens nennen werden, in der Natur des
Landes eine Rechtfertigung findet, mögen Andere entscheiden. Die große Mehr¬
zahl der oldenbnrgcr Beamten vertheidigt sie eifrig, und oft gerade die am meisten,
welche im Fürstenthume Äirkenfeld Gelegenheit gehabt haben, das aus der völlig
' unbeschränkten Theilbarkeit der Güter entspringende Proletariat kennen zu lernen.
Da die Friesen weder Adel, noch Hörigkeit, noch geschlossene Stellen gehabt
haben, so giebt es in denjenigen Theilen des Kreises Kloppenburg, die von
diesem Völkerstamme bewohnt werden, keine Untheilbarkeit der Güter; wol aber
findet man sie in den großen Marschen des Jever-, Butjadinger und Stedingcr
Landes, obgleich sie ebenfalls alte FricscnsHe sind. Freilich sind die reichen
Marschbauern oft in der Lage, diejenigen ihrer Söhne, welche das Stammgut
nicht erben, mit anderen Stellen, die sie zusammenlaufen, auszustatten. Minorate
sind in manchen Gegenden des Butjadinger Landes und des Kreises Delmenhorst
gebräuchlich. Sie haben wol darin ihren Grund, daß bei des Vaters Tode der
jüngste Sohn am ersten der Hilfe bedarf; sie verstoßen aber am meisten gegen
das Gefühl, indem dann oft ein Knabe Herr über Männer, seine Brüder, wird.

Man wird fragen, was denn aus den Brüdern des bevorzugten Sohnes
werde. Sie bleiben, wofern sie nicht als Handwerker oder Schiffer, oder viel¬
leicht durch Erwerb eines kleinen Eigenthums in der Haide zur Selbstständig-
keit gelangen, als Knechte ans der Stelle, und leben unter der Bezeichnung vie
Jungens (alteJunge») mit dem Volke, d. i. dem Gesinde, auf gleichem Fuße.
Hat sich der „vie Jung" von dem kleinen Erbtheil, das ihm zugefallen, und
seinem Lohne ein Sümmchen zusammengespart, so vermacht er es oft nicht, wie
man denken sollte, denjenigen Söhnen seines Bruders und Herrn, die dem be¬
scheidenen Loose entgegensehen, auch „vie Jungens" zu werden, sondern dem
künstigen Erben, damit sich der Glanz der Stelle, an der ja auch er, wenn auch
nur als Dienender, Theil hat, mehre. Im Gespräche mit Fremden pflegt er
seine Abkunft gern zu erwähnen; denn, ist er auch nicht mehr als ein Knecht,
so hat er doch edleres Blut in den Adern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/196>, abgerufen am 24.07.2024.