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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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andere Pflanzentheile, Muscheln, Infusorien und überhaupt verschiedene thierische
Ueberreste enthält, verleiht der Marsch die außerordentlichste Fruchtbarkeit, wovon
Wejden und Fruchtfelder ein glänzendes Zeugniß ablegen.

Ist der Süden, des Herzogthums das Hauptgebiet der Geest, so ist der
Norden das der Marsch. Der großen, im Nordwesten und Nordosten gelegenen
Marschen Jeverland und Butjadingen ist schon oben gedacht. Ein dritter Marsch-
district ist das Stedinger Land an der Weser und untern Hunde, das, im Gegen¬
satz zu jenen, bloße Flnßmarsch ist. In alten Zeiten erstreckte sich die Weser¬
mündung über dieses dem Wasser abgetrotzte Gebiet.

Alles Marschland muß durch hohe, sehr kostbare Dämme, Deiche genannt,
gegen das andringende Meer geschützt werden. Besondere Gefahr bringt das
Zusammentreffen von Spring- und Sturmflut!), wenn nämlich der höchste Stand¬
punkt der Muth, der beim Voll- und beim Neumond ungewöhnlich schnell eintritt,
durch einen auf das Land wehenden Sturm noch gesteigert wird. Zu verschiedenen
Zeiten sind Sturmfluthen für das oldenburger Tiefland verderblich gewesen, ja
der ganze Jahdebusen ist em ungeheures Grab, worin eine Menge Ortschaften,
deren Namen noch bekannt sind, seit orei, vier und sechs Jahrhunderten ver¬
sunken liegen.

Um die Marsch zu entwässern, sind eine Menge Canäle, sogenannte'Siel¬
tiefen, die sich in immer kleinere Gräben verzweigen, ins Land geschnitten und
mit Sielen, d. h. mit Schleusen, versehen, die sich dem abfließenden Binnen¬
wasser öffnen, dem von der Fluth aufwärtsgetriebenen Meer- oder Flußwasser aber
schließen, das die Entwässerung vergeblich machen würde. ' Diese Deich- und
Sielanlagen müssen natürlich von ganzen Districten, Deichverbänden, gemein¬
schaftlich unternommen und unterhalten werden; ein von der Regierung gesetzter
Deichgräse und zahlreiche Unterbeamten überwachen und leiten die Deicharbeiten.
Dennoch bieten die Schutzmittel, obgleich sie immer weiter vervollkommnet werden,
keine vollständige Sicherheit, 'und das Meer, die Marsch als altes Eigenthum
betrachtend^ pocht mahnend jeden Winter an, und scheidet selteu, ohne nicht we¬
nigstens kleine Opfer mit sich zu führen. Jeden Winter hört man von Deich¬
brüchen. Da die Häuser nicht selten landeinwärts dicht hinter dem Deiche, wo
sie Schutz vor dem Winde suchen, erbaut sind, hat ein solcher Deichbruch den
unmittelbaren Untergang jener Wohnungen zur Folge. Da gilt es verzweifelte
Gegenwehr, wenn der Sturm heranbrauft, um sich zu den Opfern auf der See
auch Opfer auf dem Lande zu holen. Ist es doch in einem der letzten Winter
vorgekommen, daß eine oldenburger Gemeinde einen gefährdeten Deich an einer
schwachen Stelle Stunden lang mit den eigenen Leibern bedeckt hat, damit nicht
die Kappe, d. i. der Rücken deF Dammes, hinweggespült werde, und ein Deich¬
bruch Verderben über Felder, Vieh und Menschen bringe. Eine der furchtbarsten
Sturmfluthen der neuern Zeit war die von Weihnachten 1717. Der Wind


andere Pflanzentheile, Muscheln, Infusorien und überhaupt verschiedene thierische
Ueberreste enthält, verleiht der Marsch die außerordentlichste Fruchtbarkeit, wovon
Wejden und Fruchtfelder ein glänzendes Zeugniß ablegen.

Ist der Süden, des Herzogthums das Hauptgebiet der Geest, so ist der
Norden das der Marsch. Der großen, im Nordwesten und Nordosten gelegenen
Marschen Jeverland und Butjadingen ist schon oben gedacht. Ein dritter Marsch-
district ist das Stedinger Land an der Weser und untern Hunde, das, im Gegen¬
satz zu jenen, bloße Flnßmarsch ist. In alten Zeiten erstreckte sich die Weser¬
mündung über dieses dem Wasser abgetrotzte Gebiet.

Alles Marschland muß durch hohe, sehr kostbare Dämme, Deiche genannt,
gegen das andringende Meer geschützt werden. Besondere Gefahr bringt das
Zusammentreffen von Spring- und Sturmflut!), wenn nämlich der höchste Stand¬
punkt der Muth, der beim Voll- und beim Neumond ungewöhnlich schnell eintritt,
durch einen auf das Land wehenden Sturm noch gesteigert wird. Zu verschiedenen
Zeiten sind Sturmfluthen für das oldenburger Tiefland verderblich gewesen, ja
der ganze Jahdebusen ist em ungeheures Grab, worin eine Menge Ortschaften,
deren Namen noch bekannt sind, seit orei, vier und sechs Jahrhunderten ver¬
sunken liegen.

Um die Marsch zu entwässern, sind eine Menge Canäle, sogenannte'Siel¬
tiefen, die sich in immer kleinere Gräben verzweigen, ins Land geschnitten und
mit Sielen, d. h. mit Schleusen, versehen, die sich dem abfließenden Binnen¬
wasser öffnen, dem von der Fluth aufwärtsgetriebenen Meer- oder Flußwasser aber
schließen, das die Entwässerung vergeblich machen würde. ' Diese Deich- und
Sielanlagen müssen natürlich von ganzen Districten, Deichverbänden, gemein¬
schaftlich unternommen und unterhalten werden; ein von der Regierung gesetzter
Deichgräse und zahlreiche Unterbeamten überwachen und leiten die Deicharbeiten.
Dennoch bieten die Schutzmittel, obgleich sie immer weiter vervollkommnet werden,
keine vollständige Sicherheit, 'und das Meer, die Marsch als altes Eigenthum
betrachtend^ pocht mahnend jeden Winter an, und scheidet selteu, ohne nicht we¬
nigstens kleine Opfer mit sich zu führen. Jeden Winter hört man von Deich¬
brüchen. Da die Häuser nicht selten landeinwärts dicht hinter dem Deiche, wo
sie Schutz vor dem Winde suchen, erbaut sind, hat ein solcher Deichbruch den
unmittelbaren Untergang jener Wohnungen zur Folge. Da gilt es verzweifelte
Gegenwehr, wenn der Sturm heranbrauft, um sich zu den Opfern auf der See
auch Opfer auf dem Lande zu holen. Ist es doch in einem der letzten Winter
vorgekommen, daß eine oldenburger Gemeinde einen gefährdeten Deich an einer
schwachen Stelle Stunden lang mit den eigenen Leibern bedeckt hat, damit nicht
die Kappe, d. i. der Rücken deF Dammes, hinweggespült werde, und ein Deich¬
bruch Verderben über Felder, Vieh und Menschen bringe. Eine der furchtbarsten
Sturmfluthen der neuern Zeit war die von Weihnachten 1717. Der Wind


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/190>, abgerufen am 24.07.2024.