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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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gelegen ist. Besonders bekannt und verrufen in Deutschland ist die lüneburger
Haide, und allerdings ist sie eine der ausgedehntesten; Hannover und Oldenburg
haben jedoch eine Menge Haiden aufzuweisen, die nicht minder öde und abschreckend
sind. Allerdings wird ihr Gebiet durch regelmäßig fortgesetzte Cultivirung, durch
Gründung kleiner Haidecolonien von Jahr zu Jahr geschmälert; aber bei der ge¬
ringen Bevölkerung und der Masse der zu vertilgender Wüste ist dies im Ganzen
und Großen so wenig bemerkbar, wie das Fehlen eines Haars, das aus einem
vollen Barte gerauft wird. Man hat die kahle, in schwacher Wellenbewegung
bis zum Horizont gebreitete Ebene mit dem Meere verglichen. Beide erwecken
die Idee der Unbegrenztheit; allein das Meer ist endloses Leben, und die Haide
endloser Tod. Ungehemmt saust der Wind über den nackten Boden, ohne Baum
oder Busch zu finden, in dem er wühlen könnte; statt dessen fegt er die dürren
Grashalme und das struppige Haidekraut, oder kräuselt deu Sand, der an vie¬
len Blößen wie weißes Todtengebein hervorstarrt. Einzelne Hänser am Wege,
mit dickem, tief herabgehenden Rohrbach bekleidet, von ein Paar Birken und einem
Fleckchen grünen Landes, umgeben, mehren, inmitten der unendlichen Wüste, noch
den Eindruck der Einsamkeit. Die Natur, die sonst überall tausendfaches Leben
hervorruft, scheint hier einem ewigen Tode versallen/ Man kann Stunden lang
der Straße folgen, ohne einem Wagen, einem Wanderer zu begegnen; kaum läßt
ein einsamer Vogel seine Stimme hören, die wie eine Klage durch die Oede
schallt. Doch dort zeigt sich ein Schäfer, der, in weißwollenen Mantelkragen
ans einem Erdwälle sitzend, langsam strickend die rothen Finger bewegt. Winzige
Schafe von struppigen und schmuzigen Aussehen bewegen sich in possirlichen
Sprüngen um ihn her. Es sind dies die Haideschnncken, deren Wolle einst ein
Leipziger Kaufherr für Hundshaar erklärte. Dn redest den Master, so heißt der
Schäfer im Münsterlande, an. Er wendet sein rothbackiges, eben nicht reines
Gesicht, seine blauen, starren Augen auf Dich; aber er öffnet den Mund nicht, um
Dir zu sagen, daß er Dich nicht versteht. Sprechen ist eine Kunst, die er so selten
übt, daß er. vor einem Fremden die Anstrengung nicht machen will. Hier in
diesen Gegenden wird, wenn irgendwo, die Eisenbahn eine unendliche Wohlthat
-sein; sie wird, in weit höherem Grade als die öden Landstraßen, als Brennpunkt
des Verkehrs und der Cultur dienen, und nebenbei wird der Reisende den Vor¬
theil haben, in möglichst schneller Zeit die braune Oede zu überwinden.

Ich habe anderswo den Großherzog von Oldenburg den Pharao mit den
sieben fetten und den sieben mageren Kühen genannt; die sieben mageren sind die
Geest, die sieben fetten die Marsch. Marsch, ein Wort, das sprachlich und sach¬
lich an das lateinische mare- und das französische marais erinnert, heißen die'
fetten Niederungen an den Flußmündungen und Meeresküsten, die jenen Mün¬
dungen benachbart sind. Ein eigenthümlicher, durch Anschwemmung gebildeter,
schwerer Thonboden, Kiel genannt, der neben Thon, Lehm und Sand anch Torfund


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gelegen ist. Besonders bekannt und verrufen in Deutschland ist die lüneburger
Haide, und allerdings ist sie eine der ausgedehntesten; Hannover und Oldenburg
haben jedoch eine Menge Haiden aufzuweisen, die nicht minder öde und abschreckend
sind. Allerdings wird ihr Gebiet durch regelmäßig fortgesetzte Cultivirung, durch
Gründung kleiner Haidecolonien von Jahr zu Jahr geschmälert; aber bei der ge¬
ringen Bevölkerung und der Masse der zu vertilgender Wüste ist dies im Ganzen
und Großen so wenig bemerkbar, wie das Fehlen eines Haars, das aus einem
vollen Barte gerauft wird. Man hat die kahle, in schwacher Wellenbewegung
bis zum Horizont gebreitete Ebene mit dem Meere verglichen. Beide erwecken
die Idee der Unbegrenztheit; allein das Meer ist endloses Leben, und die Haide
endloser Tod. Ungehemmt saust der Wind über den nackten Boden, ohne Baum
oder Busch zu finden, in dem er wühlen könnte; statt dessen fegt er die dürren
Grashalme und das struppige Haidekraut, oder kräuselt deu Sand, der an vie¬
len Blößen wie weißes Todtengebein hervorstarrt. Einzelne Hänser am Wege,
mit dickem, tief herabgehenden Rohrbach bekleidet, von ein Paar Birken und einem
Fleckchen grünen Landes, umgeben, mehren, inmitten der unendlichen Wüste, noch
den Eindruck der Einsamkeit. Die Natur, die sonst überall tausendfaches Leben
hervorruft, scheint hier einem ewigen Tode versallen/ Man kann Stunden lang
der Straße folgen, ohne einem Wagen, einem Wanderer zu begegnen; kaum läßt
ein einsamer Vogel seine Stimme hören, die wie eine Klage durch die Oede
schallt. Doch dort zeigt sich ein Schäfer, der, in weißwollenen Mantelkragen
ans einem Erdwälle sitzend, langsam strickend die rothen Finger bewegt. Winzige
Schafe von struppigen und schmuzigen Aussehen bewegen sich in possirlichen
Sprüngen um ihn her. Es sind dies die Haideschnncken, deren Wolle einst ein
Leipziger Kaufherr für Hundshaar erklärte. Dn redest den Master, so heißt der
Schäfer im Münsterlande, an. Er wendet sein rothbackiges, eben nicht reines
Gesicht, seine blauen, starren Augen auf Dich; aber er öffnet den Mund nicht, um
Dir zu sagen, daß er Dich nicht versteht. Sprechen ist eine Kunst, die er so selten
übt, daß er. vor einem Fremden die Anstrengung nicht machen will. Hier in
diesen Gegenden wird, wenn irgendwo, die Eisenbahn eine unendliche Wohlthat
-sein; sie wird, in weit höherem Grade als die öden Landstraßen, als Brennpunkt
des Verkehrs und der Cultur dienen, und nebenbei wird der Reisende den Vor¬
theil haben, in möglichst schneller Zeit die braune Oede zu überwinden.

Ich habe anderswo den Großherzog von Oldenburg den Pharao mit den
sieben fetten und den sieben mageren Kühen genannt; die sieben mageren sind die
Geest, die sieben fetten die Marsch. Marsch, ein Wort, das sprachlich und sach¬
lich an das lateinische mare- und das französische marais erinnert, heißen die'
fetten Niederungen an den Flußmündungen und Meeresküsten, die jenen Mün¬
dungen benachbart sind. Ein eigenthümlicher, durch Anschwemmung gebildeter,
schwerer Thonboden, Kiel genannt, der neben Thon, Lehm und Sand anch Torfund


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/189>, abgerufen am 24.07.2024.