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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Gemahlin. Hier ist dagegen Gudrnna, die an den König Alle vermählt ist,
nachdem sie längere Zeit vorher sich mit ihrem Schmerz um Sigurd in die Ein¬
samkeit zurückgezogen hatte, ganz ans Seite ihrer Brüder, und das Motiv der
Ermordung der Niflungen liegt lediglich in der Habsucht des Königs Alle.
Nachdem die Niflungen erschlagen sind, rächt sie Gudrnna, indem sie ihre eigenen
Söhne schlachtet und ihr Fleisch dem Vater vorsetzt;. dann läßt sie ihn tödten,
sein ganzes Gefolge verbrennen und stürzt sich endlich ins Meer. Abgesehen
von den einzelnen Schlachtschilderungen, die im Ganzen zu gräulich sind, um
wirkliches Interesse zu erregen, liegt der poetische Reiz vorzugsweise in der
dunklen Stimmung Gudruna's, die ihre Unthaten verübt, nicht in eiuer be¬
stimmten Absicht, sondern weil sie von einer dämonischen Macht getrieben wird,
die sie sich nicht zu erklären weiß. Diese Stimmung gehört ganz in den Bereich
der damals herrschenden Schicksalstragödie, und ist verwerflich, wie Alles in der
Kunst, was nicht ans menschlich verständliche Motive zurückgeführt werden kann;
aber es ist in der Ausführung eine Art wilder Poesie, die nicht ganz ohne Reiz
ist. Namentlich das erste Auftreten Gudruna's und ihr Ende ist besser, als alles
das, was Werner und die übrigen Schicksalstragöden in der nämlichen Art ge¬
schrieben haben.

Am schwächsten ist der dritte Theil der Trilogie Aslauga. Aslauga ist
Sigurd's und Bryuhildis' Tochter, die als Hirtin erzogen, dann von dem König
Negnar Ladbrok wegen ihrer Schönheit gefreit wird, aber wegen ihrer vermeint¬
lichen niedern Geburt mit den stolzen Vasallen des Königs in Conflict kommt,
bis sie endlich ihre Herkunft offenbart. Die Stimmung des Stücks ist vorherr¬
schend lyrisch. Die Alliterationen nehmen einen übermäßigen Raum ein, und
die idyllischen Episoden sind ohne Zweck und ohne Würde.

Wir haben uns bei dem Stück länger aufgehalten, weil es das beste ist,
was Fouquä in dieser Art geschrieben hat, und weil es zugleich das ganze Genre
charcckterisirt. Gleichzeitig trat auch bei den übrigen Nationen jene volksthüm-
liche Reaction in der Poesie ein, welche die Erinnerungen des Mittelalters her¬
vorsuchte, um die Individualität der Völker gegen das nivellirende Weltbürger-
thum der Aufklärung zu wahren. W. Scott's Fräulein am See, Oehlenschlägcr's
Hakon Jarl und die besten der Uhland'sehen Balladen fallen in dasselbe Jahr
(1810). W. Scott ist auch nach der Gährung, die seine literarische Richtung
bestimmte, ein volksthümlicher Dichter geblieben, weil er nicht einseitig bei den
mittelalterlichen Vorstellungen stehen blieb, sondern sie mit der Bildung unsrer
Zeit vermittelte. Der "Held des, Nordens" ist vergessen und kann uns nur
als eine, wenn auch interessante literarische Curiosität beschäftigen, obgleich in
neuester Zeit Richard Wagner denselben Stoff und, wie es scheint, auch eine
ganz ähnliche Behandlung, für sein "Kunstwerk der Zukunft" ausgewählt hat.
Die Beziehung jener Sage zu der aristokratisch-ritterlichen Reaction des Jahres


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Gemahlin. Hier ist dagegen Gudrnna, die an den König Alle vermählt ist,
nachdem sie längere Zeit vorher sich mit ihrem Schmerz um Sigurd in die Ein¬
samkeit zurückgezogen hatte, ganz ans Seite ihrer Brüder, und das Motiv der
Ermordung der Niflungen liegt lediglich in der Habsucht des Königs Alle.
Nachdem die Niflungen erschlagen sind, rächt sie Gudrnna, indem sie ihre eigenen
Söhne schlachtet und ihr Fleisch dem Vater vorsetzt;. dann läßt sie ihn tödten,
sein ganzes Gefolge verbrennen und stürzt sich endlich ins Meer. Abgesehen
von den einzelnen Schlachtschilderungen, die im Ganzen zu gräulich sind, um
wirkliches Interesse zu erregen, liegt der poetische Reiz vorzugsweise in der
dunklen Stimmung Gudruna's, die ihre Unthaten verübt, nicht in eiuer be¬
stimmten Absicht, sondern weil sie von einer dämonischen Macht getrieben wird,
die sie sich nicht zu erklären weiß. Diese Stimmung gehört ganz in den Bereich
der damals herrschenden Schicksalstragödie, und ist verwerflich, wie Alles in der
Kunst, was nicht ans menschlich verständliche Motive zurückgeführt werden kann;
aber es ist in der Ausführung eine Art wilder Poesie, die nicht ganz ohne Reiz
ist. Namentlich das erste Auftreten Gudruna's und ihr Ende ist besser, als alles
das, was Werner und die übrigen Schicksalstragöden in der nämlichen Art ge¬
schrieben haben.

Am schwächsten ist der dritte Theil der Trilogie Aslauga. Aslauga ist
Sigurd's und Bryuhildis' Tochter, die als Hirtin erzogen, dann von dem König
Negnar Ladbrok wegen ihrer Schönheit gefreit wird, aber wegen ihrer vermeint¬
lichen niedern Geburt mit den stolzen Vasallen des Königs in Conflict kommt,
bis sie endlich ihre Herkunft offenbart. Die Stimmung des Stücks ist vorherr¬
schend lyrisch. Die Alliterationen nehmen einen übermäßigen Raum ein, und
die idyllischen Episoden sind ohne Zweck und ohne Würde.

Wir haben uns bei dem Stück länger aufgehalten, weil es das beste ist,
was Fouquä in dieser Art geschrieben hat, und weil es zugleich das ganze Genre
charcckterisirt. Gleichzeitig trat auch bei den übrigen Nationen jene volksthüm-
liche Reaction in der Poesie ein, welche die Erinnerungen des Mittelalters her¬
vorsuchte, um die Individualität der Völker gegen das nivellirende Weltbürger-
thum der Aufklärung zu wahren. W. Scott's Fräulein am See, Oehlenschlägcr's
Hakon Jarl und die besten der Uhland'sehen Balladen fallen in dasselbe Jahr
(1810). W. Scott ist auch nach der Gährung, die seine literarische Richtung
bestimmte, ein volksthümlicher Dichter geblieben, weil er nicht einseitig bei den
mittelalterlichen Vorstellungen stehen blieb, sondern sie mit der Bildung unsrer
Zeit vermittelte. Der „Held des, Nordens" ist vergessen und kann uns nur
als eine, wenn auch interessante literarische Curiosität beschäftigen, obgleich in
neuester Zeit Richard Wagner denselben Stoff und, wie es scheint, auch eine
ganz ähnliche Behandlung, für sein „Kunstwerk der Zukunft" ausgewählt hat.
Die Beziehung jener Sage zu der aristokratisch-ritterlichen Reaction des Jahres


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[0181] Gemahlin. Hier ist dagegen Gudrnna, die an den König Alle vermählt ist, nachdem sie längere Zeit vorher sich mit ihrem Schmerz um Sigurd in die Ein¬ samkeit zurückgezogen hatte, ganz ans Seite ihrer Brüder, und das Motiv der Ermordung der Niflungen liegt lediglich in der Habsucht des Königs Alle. Nachdem die Niflungen erschlagen sind, rächt sie Gudrnna, indem sie ihre eigenen Söhne schlachtet und ihr Fleisch dem Vater vorsetzt;. dann läßt sie ihn tödten, sein ganzes Gefolge verbrennen und stürzt sich endlich ins Meer. Abgesehen von den einzelnen Schlachtschilderungen, die im Ganzen zu gräulich sind, um wirkliches Interesse zu erregen, liegt der poetische Reiz vorzugsweise in der dunklen Stimmung Gudruna's, die ihre Unthaten verübt, nicht in eiuer be¬ stimmten Absicht, sondern weil sie von einer dämonischen Macht getrieben wird, die sie sich nicht zu erklären weiß. Diese Stimmung gehört ganz in den Bereich der damals herrschenden Schicksalstragödie, und ist verwerflich, wie Alles in der Kunst, was nicht ans menschlich verständliche Motive zurückgeführt werden kann; aber es ist in der Ausführung eine Art wilder Poesie, die nicht ganz ohne Reiz ist. Namentlich das erste Auftreten Gudruna's und ihr Ende ist besser, als alles das, was Werner und die übrigen Schicksalstragöden in der nämlichen Art ge¬ schrieben haben. Am schwächsten ist der dritte Theil der Trilogie Aslauga. Aslauga ist Sigurd's und Bryuhildis' Tochter, die als Hirtin erzogen, dann von dem König Negnar Ladbrok wegen ihrer Schönheit gefreit wird, aber wegen ihrer vermeint¬ lichen niedern Geburt mit den stolzen Vasallen des Königs in Conflict kommt, bis sie endlich ihre Herkunft offenbart. Die Stimmung des Stücks ist vorherr¬ schend lyrisch. Die Alliterationen nehmen einen übermäßigen Raum ein, und die idyllischen Episoden sind ohne Zweck und ohne Würde. Wir haben uns bei dem Stück länger aufgehalten, weil es das beste ist, was Fouquä in dieser Art geschrieben hat, und weil es zugleich das ganze Genre charcckterisirt. Gleichzeitig trat auch bei den übrigen Nationen jene volksthüm- liche Reaction in der Poesie ein, welche die Erinnerungen des Mittelalters her¬ vorsuchte, um die Individualität der Völker gegen das nivellirende Weltbürger- thum der Aufklärung zu wahren. W. Scott's Fräulein am See, Oehlenschlägcr's Hakon Jarl und die besten der Uhland'sehen Balladen fallen in dasselbe Jahr (1810). W. Scott ist auch nach der Gährung, die seine literarische Richtung bestimmte, ein volksthümlicher Dichter geblieben, weil er nicht einseitig bei den mittelalterlichen Vorstellungen stehen blieb, sondern sie mit der Bildung unsrer Zeit vermittelte. Der „Held des, Nordens" ist vergessen und kann uns nur als eine, wenn auch interessante literarische Curiosität beschäftigen, obgleich in neuester Zeit Richard Wagner denselben Stoff und, wie es scheint, auch eine ganz ähnliche Behandlung, für sein „Kunstwerk der Zukunft" ausgewählt hat. Die Beziehung jener Sage zu der aristokratisch-ritterlichen Reaction des Jahres 22*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/181>, abgerufen am 24.07.2024.