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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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ab, der Bischof verflucht sie und entbindet den Ritter seines Versprechens, wor¬
auf dieser mit Kaiser Barbarossa einen Kreuzzug unternimmt, um nach seiner
Rückkehr die holde Amarant!) zu freien. --

Das Alles ist viel ungesunde Frömmelei, und macht einen um so unangeneh¬
mem Eindruck, da es meistens in sehr gezierter Form auftritt. Der Dichter ver¬
spricht in seinen Einleituugsverseu, zu dem Tempel des Herrn, der aufgerichtet
werden müsse, um zugleich als eine Burg gegen die Ungläubigen zu dienen, den
ersten Stein beitragen zu wollen; er wählt aber zu seinem Zweck ein sonderbares
Baumaterial: der Tempel soll nämlich ans Harfen ausgerichtet werden, und Ama¬
rant!) ist der erste "Harfenstein". -- Die Harfe ist ein schönes Instrument und
würde sich auch unter Umständen, mit anderem Material vermischt, für Barricadcn
eignen, aber als Grundstein eines Tempels oder einer Burg besitzt sie nicht So¬
lidität genug; und so zweifeln wir auch, ob das zierliche Schnitzwerk, die elegan¬
ten Rococofignren und die allerliebsten Arabesken in geistiger Beziehung hinreichen
werden, das neue Evangelium zu tragen, aus welchem der von.Stürmen ermüdeten
Welt der erquickende Drang der Versöhnung ^quillt.

Wir halten es nicht für den Ausdruck eines wahren Gefühls, wenn eine
Mutter im -12. Jahrhundert zu ihrem Sohne sagt:


An meiner Liebe Börne trankst Dn des Lebens Morgen,
Ich habe in Deine Seele mein ganzes Sein geborgen.

Wir halten es ferner nicht für eine Bereicherung der poetischen Plastik, wenn
man die Empfindungen in Abstraktionen verflüchtet, z. B.:


O traumesreich Genügen
In solchem Wald-shans!

Und weil diese Art von Empfindsamkeit, die mehr auf Niedlichkeit des Ausdrucks,
als ans Wahrheit und Energie des Inhalts ausgeht, in dem Buche vorherrscht,
und weil eben diese Richtung des Gemüths seit längerer Zeit als der Krebs¬
schaden unsres Denkens und Empfindens zu betrachten ist, so haben wir geglaubt,
gegen diesen neuen Versuch einer christlichen Poesie entschieden polemisiren zu
müssen. Abgesehen davon enthält das Gedicht einige wirklich poetische Momente,
z. B. die erste Vision, in welcher der Dichter die alten Ruinen eines Schlosses
besticht, die plötzlich durch einen Zauber die alte Gestalt annehmen, die sie vor
700 Jahren hatten. Ferner mehrere sinnige Anschauungen von dem stillen Leben
der Wälder; anch selbst einzelne Darstellungen, die auf das Seelenleben Bezug
haben, z. B. der Augenblick, wo Amaranth sich zuerst als Weib empfindet. Das
Talent des Dichters ist durchaus lyrischer Natur. Wo er versucht, episch darzu¬
stellen, mißlingt es ihm stets, weil seiner Phantasie die Ordnung und Ruhe fehlt.
So schildert er z. B. ein Trinkgelage, wo die Betrunkenen in alle möglichen
Phantasien verfallen.


ab, der Bischof verflucht sie und entbindet den Ritter seines Versprechens, wor¬
auf dieser mit Kaiser Barbarossa einen Kreuzzug unternimmt, um nach seiner
Rückkehr die holde Amarant!) zu freien. —

Das Alles ist viel ungesunde Frömmelei, und macht einen um so unangeneh¬
mem Eindruck, da es meistens in sehr gezierter Form auftritt. Der Dichter ver¬
spricht in seinen Einleituugsverseu, zu dem Tempel des Herrn, der aufgerichtet
werden müsse, um zugleich als eine Burg gegen die Ungläubigen zu dienen, den
ersten Stein beitragen zu wollen; er wählt aber zu seinem Zweck ein sonderbares
Baumaterial: der Tempel soll nämlich ans Harfen ausgerichtet werden, und Ama¬
rant!) ist der erste „Harfenstein". — Die Harfe ist ein schönes Instrument und
würde sich auch unter Umständen, mit anderem Material vermischt, für Barricadcn
eignen, aber als Grundstein eines Tempels oder einer Burg besitzt sie nicht So¬
lidität genug; und so zweifeln wir auch, ob das zierliche Schnitzwerk, die elegan¬
ten Rococofignren und die allerliebsten Arabesken in geistiger Beziehung hinreichen
werden, das neue Evangelium zu tragen, aus welchem der von.Stürmen ermüdeten
Welt der erquickende Drang der Versöhnung ^quillt.

Wir halten es nicht für den Ausdruck eines wahren Gefühls, wenn eine
Mutter im -12. Jahrhundert zu ihrem Sohne sagt:


An meiner Liebe Börne trankst Dn des Lebens Morgen,
Ich habe in Deine Seele mein ganzes Sein geborgen.

Wir halten es ferner nicht für eine Bereicherung der poetischen Plastik, wenn
man die Empfindungen in Abstraktionen verflüchtet, z. B.:


O traumesreich Genügen
In solchem Wald-shans!

Und weil diese Art von Empfindsamkeit, die mehr auf Niedlichkeit des Ausdrucks,
als ans Wahrheit und Energie des Inhalts ausgeht, in dem Buche vorherrscht,
und weil eben diese Richtung des Gemüths seit längerer Zeit als der Krebs¬
schaden unsres Denkens und Empfindens zu betrachten ist, so haben wir geglaubt,
gegen diesen neuen Versuch einer christlichen Poesie entschieden polemisiren zu
müssen. Abgesehen davon enthält das Gedicht einige wirklich poetische Momente,
z. B. die erste Vision, in welcher der Dichter die alten Ruinen eines Schlosses
besticht, die plötzlich durch einen Zauber die alte Gestalt annehmen, die sie vor
700 Jahren hatten. Ferner mehrere sinnige Anschauungen von dem stillen Leben
der Wälder; anch selbst einzelne Darstellungen, die auf das Seelenleben Bezug
haben, z. B. der Augenblick, wo Amaranth sich zuerst als Weib empfindet. Das
Talent des Dichters ist durchaus lyrischer Natur. Wo er versucht, episch darzu¬
stellen, mißlingt es ihm stets, weil seiner Phantasie die Ordnung und Ruhe fehlt.
So schildert er z. B. ein Trinkgelage, wo die Betrunkenen in alle möglichen
Phantasien verfallen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/18>, abgerufen am 24.07.2024.