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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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die eine über die andere hervorgehoben wurde, lag in dem Drang der Zeit¬
umstände.

In dem ersten größern poetischen Werk, mit welchem Fvugue vor das Pu-
blicum trat, geht in jedem Theile eine lange poetische Dedication an Fichte vor¬
aus, der als Prophet des neuen Deutschland gefeiert wird. Es ist eine Trilogie
mit dem gemeinsamen Titel: "Der Held des Nordens", in den Jahren
1808 und 1809 geschrieben, 1810 bei Hitzig, der damals in Berlin eine Buch¬
handlung etablirt hatte, herausgegeben. Jean Paul schrieb in den Heidelberger
Jahrbüchern eine begeisterte Kritik, in welcher dieses Drama als eine Wieder¬
herstellung des alten Heldengeistes gefeiert wird. Diese Lobreden waren über¬
trieben, aber dem Stück ist doch ein großes Verdienst nicht abzusprechen. Frei¬
lich hat die damals unter den Schöngeistern herrschende Verachtung gegen das
wirkliche Theater, auf dein man nur Jffland's und Kotzebue's bürgerliche Stücke
zu sehen gewöhnt war, den Dichter zu jeuer Formlosigkeit verleitet, die nicht nur
verderblich aus die äußere Technik, sondern auch auf die eigentliche Production
wirkt. Denn wenn man es mit der Form nicht genau nimmt, so verflüchtigen
sich auch leicht die Charaktere in zusammenhanglose Einfälle. Sehen wir aber
davon ab, so müssen wir zugestehen, daß namentlich in dem ersten Theile sehr
viele Scenen mit wirklicher Poesie ausgeführt sind. -- Der Inhalt des Stücks
ist die Nibelungensage, aber in der Form, wie sie uns die skandinavische Poesie
überliefert hat. Jedes der drei Stücke besteht aus sechs "Abenteurer" und einem
Vorspiel, und neben dem fünffüßigen Jambus gehen an den Stellen, wo ein
lyrischer Aufschwung eintritt, die kurzen skaldischen allitcrirenden Verse. -- Der
erste Theil heißt Sigurd der Schlangentödter. Der Charakter des Helden ist
im Ganzen so festgehalten, wie ihn uns unsre eigenen Heldenlieder überliefert haben,
und wie er auch in den gleichzeitigen Uhland'schen Romanzen wieder Hervortritt:
unbändige Kraft, die bei jeder möglichen Gelegenheit über ihr Maß hinaus¬
geht, und dabei doch eine Aufopferungsfähigkeit und eine Hingebung, die wenig¬
stens in einzelnen Scenen mit dem ungebärdigen Heldenwesen vortrefflich in
Einklang gesetzt ist. Freilich kann der Uebelstand nicht ganz vermieden werden,
daß die moralischen Voraussetzungen unsrer Zeit, die unbewußt und zum Theil
wider Willen jeder Dramatiker seinen Erfindungen zu Grunde legen muß, zu
den Voraussetzungen der Handlung in dem grellsten Widersprüche stehn. Fouqu"
hilft sich zuweilen durch eine Bonhomie, die einen sehr drolligen Eindruck macht,
zuweilen dnrch einen clous ex uiaotülm. So soll z. B. der Drache Faffner er¬
schlagen werden. Die Sage läßt ihn heimlich von Sigurd überfallen; diese
Heimlichkeit liegt aber nicht in der Convenienz unsrer modernen Ritterlichkeit, also
'uuß Odin selbst auftreten, um Sigurd über seine ritterlichen Scrupel hinwegzu¬
helfen, was für uns keine genügende Rechtfertigung ist. Zu dem Drachenkampf
ist Sigurd durch seinen alten Lehrer, den Waffenschmied Reigen, verleitet worden,


Grenzboten. II. 22

die eine über die andere hervorgehoben wurde, lag in dem Drang der Zeit¬
umstände.

In dem ersten größern poetischen Werk, mit welchem Fvugue vor das Pu-
blicum trat, geht in jedem Theile eine lange poetische Dedication an Fichte vor¬
aus, der als Prophet des neuen Deutschland gefeiert wird. Es ist eine Trilogie
mit dem gemeinsamen Titel: „Der Held des Nordens", in den Jahren
1808 und 1809 geschrieben, 1810 bei Hitzig, der damals in Berlin eine Buch¬
handlung etablirt hatte, herausgegeben. Jean Paul schrieb in den Heidelberger
Jahrbüchern eine begeisterte Kritik, in welcher dieses Drama als eine Wieder¬
herstellung des alten Heldengeistes gefeiert wird. Diese Lobreden waren über¬
trieben, aber dem Stück ist doch ein großes Verdienst nicht abzusprechen. Frei¬
lich hat die damals unter den Schöngeistern herrschende Verachtung gegen das
wirkliche Theater, auf dein man nur Jffland's und Kotzebue's bürgerliche Stücke
zu sehen gewöhnt war, den Dichter zu jeuer Formlosigkeit verleitet, die nicht nur
verderblich aus die äußere Technik, sondern auch auf die eigentliche Production
wirkt. Denn wenn man es mit der Form nicht genau nimmt, so verflüchtigen
sich auch leicht die Charaktere in zusammenhanglose Einfälle. Sehen wir aber
davon ab, so müssen wir zugestehen, daß namentlich in dem ersten Theile sehr
viele Scenen mit wirklicher Poesie ausgeführt sind. — Der Inhalt des Stücks
ist die Nibelungensage, aber in der Form, wie sie uns die skandinavische Poesie
überliefert hat. Jedes der drei Stücke besteht aus sechs „Abenteurer" und einem
Vorspiel, und neben dem fünffüßigen Jambus gehen an den Stellen, wo ein
lyrischer Aufschwung eintritt, die kurzen skaldischen allitcrirenden Verse. — Der
erste Theil heißt Sigurd der Schlangentödter. Der Charakter des Helden ist
im Ganzen so festgehalten, wie ihn uns unsre eigenen Heldenlieder überliefert haben,
und wie er auch in den gleichzeitigen Uhland'schen Romanzen wieder Hervortritt:
unbändige Kraft, die bei jeder möglichen Gelegenheit über ihr Maß hinaus¬
geht, und dabei doch eine Aufopferungsfähigkeit und eine Hingebung, die wenig¬
stens in einzelnen Scenen mit dem ungebärdigen Heldenwesen vortrefflich in
Einklang gesetzt ist. Freilich kann der Uebelstand nicht ganz vermieden werden,
daß die moralischen Voraussetzungen unsrer Zeit, die unbewußt und zum Theil
wider Willen jeder Dramatiker seinen Erfindungen zu Grunde legen muß, zu
den Voraussetzungen der Handlung in dem grellsten Widersprüche stehn. Fouqu«
hilft sich zuweilen durch eine Bonhomie, die einen sehr drolligen Eindruck macht,
zuweilen dnrch einen clous ex uiaotülm. So soll z. B. der Drache Faffner er¬
schlagen werden. Die Sage läßt ihn heimlich von Sigurd überfallen; diese
Heimlichkeit liegt aber nicht in der Convenienz unsrer modernen Ritterlichkeit, also
'uuß Odin selbst auftreten, um Sigurd über seine ritterlichen Scrupel hinwegzu¬
helfen, was für uns keine genügende Rechtfertigung ist. Zu dem Drachenkampf
ist Sigurd durch seinen alten Lehrer, den Waffenschmied Reigen, verleitet worden,


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[0179] die eine über die andere hervorgehoben wurde, lag in dem Drang der Zeit¬ umstände. In dem ersten größern poetischen Werk, mit welchem Fvugue vor das Pu- blicum trat, geht in jedem Theile eine lange poetische Dedication an Fichte vor¬ aus, der als Prophet des neuen Deutschland gefeiert wird. Es ist eine Trilogie mit dem gemeinsamen Titel: „Der Held des Nordens", in den Jahren 1808 und 1809 geschrieben, 1810 bei Hitzig, der damals in Berlin eine Buch¬ handlung etablirt hatte, herausgegeben. Jean Paul schrieb in den Heidelberger Jahrbüchern eine begeisterte Kritik, in welcher dieses Drama als eine Wieder¬ herstellung des alten Heldengeistes gefeiert wird. Diese Lobreden waren über¬ trieben, aber dem Stück ist doch ein großes Verdienst nicht abzusprechen. Frei¬ lich hat die damals unter den Schöngeistern herrschende Verachtung gegen das wirkliche Theater, auf dein man nur Jffland's und Kotzebue's bürgerliche Stücke zu sehen gewöhnt war, den Dichter zu jeuer Formlosigkeit verleitet, die nicht nur verderblich aus die äußere Technik, sondern auch auf die eigentliche Production wirkt. Denn wenn man es mit der Form nicht genau nimmt, so verflüchtigen sich auch leicht die Charaktere in zusammenhanglose Einfälle. Sehen wir aber davon ab, so müssen wir zugestehen, daß namentlich in dem ersten Theile sehr viele Scenen mit wirklicher Poesie ausgeführt sind. — Der Inhalt des Stücks ist die Nibelungensage, aber in der Form, wie sie uns die skandinavische Poesie überliefert hat. Jedes der drei Stücke besteht aus sechs „Abenteurer" und einem Vorspiel, und neben dem fünffüßigen Jambus gehen an den Stellen, wo ein lyrischer Aufschwung eintritt, die kurzen skaldischen allitcrirenden Verse. — Der erste Theil heißt Sigurd der Schlangentödter. Der Charakter des Helden ist im Ganzen so festgehalten, wie ihn uns unsre eigenen Heldenlieder überliefert haben, und wie er auch in den gleichzeitigen Uhland'schen Romanzen wieder Hervortritt: unbändige Kraft, die bei jeder möglichen Gelegenheit über ihr Maß hinaus¬ geht, und dabei doch eine Aufopferungsfähigkeit und eine Hingebung, die wenig¬ stens in einzelnen Scenen mit dem ungebärdigen Heldenwesen vortrefflich in Einklang gesetzt ist. Freilich kann der Uebelstand nicht ganz vermieden werden, daß die moralischen Voraussetzungen unsrer Zeit, die unbewußt und zum Theil wider Willen jeder Dramatiker seinen Erfindungen zu Grunde legen muß, zu den Voraussetzungen der Handlung in dem grellsten Widersprüche stehn. Fouqu« hilft sich zuweilen durch eine Bonhomie, die einen sehr drolligen Eindruck macht, zuweilen dnrch einen clous ex uiaotülm. So soll z. B. der Drache Faffner er¬ schlagen werden. Die Sage läßt ihn heimlich von Sigurd überfallen; diese Heimlichkeit liegt aber nicht in der Convenienz unsrer modernen Ritterlichkeit, also 'uuß Odin selbst auftreten, um Sigurd über seine ritterlichen Scrupel hinwegzu¬ helfen, was für uns keine genügende Rechtfertigung ist. Zu dem Drachenkampf ist Sigurd durch seinen alten Lehrer, den Waffenschmied Reigen, verleitet worden, Grenzboten. II. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/179>, abgerufen am 24.07.2024.