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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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die ungefähr eben so als Exercitien in der Weise der romantischen Schule zu
betrachten waren, wie die gleichzeitigen Dramen seines Freundes Wilhelm von
Schütz (Lacrimas, der Graf von Gleichen, Niobe). Dann kam er mit einem
Cirkel in nähere Berührung, der einer andern Gattung der Romantik angehörte.
Dieser Kreis hatte sich um das Jahr 1803 in Berlin gebildet. Es gehörten
dazu Varnhagen, Adelbert v. Chamisso, Wilhelm Neumann, Graf Alex. v. d. Lippe,
Ludwig Robert, der Bruder der Nadel Levin, Eduard Hitzig, Franz Theremin.
Später kamen die meisten Mitglieder dieses Kreises, denen noch Arnim und Karl
von Raumer näher traten, wieder in Halle zusammen. F. A. Wolf, Schleier¬
macher und Steffens gaben die Anregung, Bernhardt, Schütz und Fouquv
schlössen sich an. Auch durch die Aufhebung der Universität durch Nvpolevn
wurde der Kreis nicht gestört. Varnhagen, Neumann und Fonquv vereinigten
sich 1807 zu einem satyrischen Roman, der im folgenden Jahre unter dem für
die ganze Richtung sehr bezeichnenden Titel: "Die Versuche und Hindernisse"
herauskam und die berühmtesten Schriftsteller der Zeit, Jean Paul, Johannes
Müller, selbst Goethe in gutmüthiger Parodie verspottete. Mit dem Ende des
Jahres 1807 wurden die Studien nach Berlin verlegt, und Fichte wurde der
Mittelpunkt und das Ideal deö Kreises.

Auf den' ersten Blick erscheint es befremdlich genug, sich den Philosophen
der absoluten Vernunft mit altdeutschen Ritterromanen und mit skaldischen Helden¬
stücken in Verbindung zu deuten; aber es ist das nur ein einzelner Zug von
jener wunderlichen Beziehung, in welche die Philosophie überhaupt durch die Ge¬
walt der Umstände zu dem Jnstinct der Masse gesetzt wurde. So sehr sich die
Philosophie gegen den Einfluß des populairen Bewußtseins sträubt, und so ent¬
schieden sie ihren Gegensatz empfindet, so muß sie doch, wenn sie die Welt be¬
wegen will, ihren Inhalt eben aus jenen dunklen Regionen des Geistes schöpfen,
denen sie eine würdigere Gestaltung schaffen, die, sie aber nicht entbehren kann.
Fichte's erste und glänzendste Schriften waren der kräftigste Ausdruck des Zeital¬
ters der Aufklärung und der Revolution. Aber eben dieses Princip gerieth mit sich
in Widerstreit, und als die bisher verborgenen Gegensätze zu einem äußerlichen
Kampf kamen, konnte anch die Philosophie ihre rein theoretische Konsequenz nicht
erhalten. Die "Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters" (180S) und die
"Reden an die deutsche Nation" (1808) liegen nur drei Jahre aus einander,
und doch ist in ihrem Inhalt ein vollkommener Gegensatz. In den "Grund-
zügen" wird das unbedingte Weltbürgerthum der Bildung gepredigt, und gegen
den Begriff der Nationalität wie gegen das Bewußtsein der Massen eine* souve-
raine Verachtung an den Tag gelegt, in den "Reden" dagegen steht es aus, als
wäre an das nationale Fortbestehen der Deutschen das Fortbestehen der Bildung
überhaupt geknüpft, und die hochmüthige Bildung beugt sich in den. Staub vor
der Kraft des Naturwuchses. , Beide Seiten hatten ihre Berechtigung; daß


die ungefähr eben so als Exercitien in der Weise der romantischen Schule zu
betrachten waren, wie die gleichzeitigen Dramen seines Freundes Wilhelm von
Schütz (Lacrimas, der Graf von Gleichen, Niobe). Dann kam er mit einem
Cirkel in nähere Berührung, der einer andern Gattung der Romantik angehörte.
Dieser Kreis hatte sich um das Jahr 1803 in Berlin gebildet. Es gehörten
dazu Varnhagen, Adelbert v. Chamisso, Wilhelm Neumann, Graf Alex. v. d. Lippe,
Ludwig Robert, der Bruder der Nadel Levin, Eduard Hitzig, Franz Theremin.
Später kamen die meisten Mitglieder dieses Kreises, denen noch Arnim und Karl
von Raumer näher traten, wieder in Halle zusammen. F. A. Wolf, Schleier¬
macher und Steffens gaben die Anregung, Bernhardt, Schütz und Fouquv
schlössen sich an. Auch durch die Aufhebung der Universität durch Nvpolevn
wurde der Kreis nicht gestört. Varnhagen, Neumann und Fonquv vereinigten
sich 1807 zu einem satyrischen Roman, der im folgenden Jahre unter dem für
die ganze Richtung sehr bezeichnenden Titel: „Die Versuche und Hindernisse"
herauskam und die berühmtesten Schriftsteller der Zeit, Jean Paul, Johannes
Müller, selbst Goethe in gutmüthiger Parodie verspottete. Mit dem Ende des
Jahres 1807 wurden die Studien nach Berlin verlegt, und Fichte wurde der
Mittelpunkt und das Ideal deö Kreises.

Auf den' ersten Blick erscheint es befremdlich genug, sich den Philosophen
der absoluten Vernunft mit altdeutschen Ritterromanen und mit skaldischen Helden¬
stücken in Verbindung zu deuten; aber es ist das nur ein einzelner Zug von
jener wunderlichen Beziehung, in welche die Philosophie überhaupt durch die Ge¬
walt der Umstände zu dem Jnstinct der Masse gesetzt wurde. So sehr sich die
Philosophie gegen den Einfluß des populairen Bewußtseins sträubt, und so ent¬
schieden sie ihren Gegensatz empfindet, so muß sie doch, wenn sie die Welt be¬
wegen will, ihren Inhalt eben aus jenen dunklen Regionen des Geistes schöpfen,
denen sie eine würdigere Gestaltung schaffen, die, sie aber nicht entbehren kann.
Fichte's erste und glänzendste Schriften waren der kräftigste Ausdruck des Zeital¬
ters der Aufklärung und der Revolution. Aber eben dieses Princip gerieth mit sich
in Widerstreit, und als die bisher verborgenen Gegensätze zu einem äußerlichen
Kampf kamen, konnte anch die Philosophie ihre rein theoretische Konsequenz nicht
erhalten. Die „Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters" (180S) und die
„Reden an die deutsche Nation" (1808) liegen nur drei Jahre aus einander,
und doch ist in ihrem Inhalt ein vollkommener Gegensatz. In den „Grund-
zügen" wird das unbedingte Weltbürgerthum der Bildung gepredigt, und gegen
den Begriff der Nationalität wie gegen das Bewußtsein der Massen eine* souve-
raine Verachtung an den Tag gelegt, in den „Reden" dagegen steht es aus, als
wäre an das nationale Fortbestehen der Deutschen das Fortbestehen der Bildung
überhaupt geknüpft, und die hochmüthige Bildung beugt sich in den. Staub vor
der Kraft des Naturwuchses. , Beide Seiten hatten ihre Berechtigung; daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/178>, abgerufen am 24.07.2024.