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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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verstand der bürgerlichen Bildung. Die Sturm- und Drangzeit war in ihren
Idealen demokratisch, puritanisch und republikanisch, die Romantik, ihre unmittel¬
bare Fortsetzung, royalistisch, katholisch und aristokratisch; sie predigte die Rückkehr
zum Ritterwesen des Mittelalters, zur Naivetät der patriarchalischen Zeiten, zur
Andacht des Dante'schen und Calderon'schen Christenthums, und sie verstand es,
mit so liebenswürdiger Ironie zu predigen, daß die vornehme Welt mit Anstand
zuhören konnte, ohne fürchten zu müssen, auf gemeine bürgerliche Weise von dem
Stofflichen ihrer Andacht belästigt zu werden. Zwar war es nicht die gesammte
vornehme Welt, die sich der neuen Richtung anschloß, denn es ist nicht ihre Na¬
tur, in Masse geistreich zu sein; anch konnte sie die bürgerlichen Dichter und
Philosophen, welche ihr die Heiligkeit des Adels und die Unwürdigkeit des Bürger¬
standes auseinandersetzten, so wenig entbehren, wie die katholische Kirche die
protestantischen Ueberläufer, die ihr aus eigener Erfahrung erklären mußten, wie
das Lutherthum uur eine Religion für den Pöbel sei; aber die wahre Grundlage
der neuen Bildung blieb der Salon, in welchem die vornehme, reiche und unbe¬
schäftigte Welt wie aus der Vogelperspective auf das Gedränge der bürgerlichen
Interessen herabsah und es als Stoff ihrer Ironie verbrauchte.

-Nun kam aber die Zeit der französischen Kriege, in denen man den Inhalt
der bisherigen ästhetischen Dogmatik als materielle Waffe gegen den äußern Feind
verwerthen konnte. Die specifisch deutsche Nationalität mit ihrem historischen
Inhalt, ihren Welsen und Hohenstaufen, ihrem Reichskammergericht und ihren
ritterbürtigeu Geschlechtern, ihrem Jakob Böhme und ihrem Albrecht Dürer, ihrem
Hermann und Karl dem Großen, ihren Spinnstuben und ihren Volksliedern, ihrem
Wodan und ihrem Christus wurde als Barricade gegen die Franzosen aufgethürmt,
ohne daß man auf die harmonische Zusammenstellung dieser Bestandtheile ein
be>onderes Gewicht legte, wenn sie nur für das augenblickliche Bedürfniß genüg¬
ten. Jeder der verschiedenen Romantiker übernahm eine Specialität, der eine die
Turnkunst, der andere den Katholicismus, der dritte die Reformation, noch ein
anderer die Sprachen mit ihren Dialekten, Märchen und Sagen u. s. f. Fvuqu"
machte zu seinem ausschließlichen Gegenstand das ideale germanische Ritterthum,
in welchem die Reminiscenzen von den isländischen Seekönigen und von dem
Hof Ludwig XIV. auf eine ziemlich bunte Weise sich durch einander mischten.

Diese Konsistenz in seinen Bestrebungen gewann er erst in der Zeit, wo
Fichte in seinen Reden an die deutsche Nation der jungen Schule die Parole
gegeben hatte. Vorher hatte er, nachdem er sich aus seinem kurzen Militairleben
in die idyllische Ruhe der literarischen Cirkel zurückgezogen, unter dem Namen
Pellegrin eine Reihe von Gedichten, Dramen und Romanen herausgegeben*),



*) Darunter: Eine Uebersetzung von Cervantes' "Rnmancia", in welcher der heroisch-
patriotische Ton im Ganzen glücklich getroffen war; der Roman "Atom", die "Historie des
edlen Ritter Galmy und einer schönen Herzogin ans Bretagne."

verstand der bürgerlichen Bildung. Die Sturm- und Drangzeit war in ihren
Idealen demokratisch, puritanisch und republikanisch, die Romantik, ihre unmittel¬
bare Fortsetzung, royalistisch, katholisch und aristokratisch; sie predigte die Rückkehr
zum Ritterwesen des Mittelalters, zur Naivetät der patriarchalischen Zeiten, zur
Andacht des Dante'schen und Calderon'schen Christenthums, und sie verstand es,
mit so liebenswürdiger Ironie zu predigen, daß die vornehme Welt mit Anstand
zuhören konnte, ohne fürchten zu müssen, auf gemeine bürgerliche Weise von dem
Stofflichen ihrer Andacht belästigt zu werden. Zwar war es nicht die gesammte
vornehme Welt, die sich der neuen Richtung anschloß, denn es ist nicht ihre Na¬
tur, in Masse geistreich zu sein; anch konnte sie die bürgerlichen Dichter und
Philosophen, welche ihr die Heiligkeit des Adels und die Unwürdigkeit des Bürger¬
standes auseinandersetzten, so wenig entbehren, wie die katholische Kirche die
protestantischen Ueberläufer, die ihr aus eigener Erfahrung erklären mußten, wie
das Lutherthum uur eine Religion für den Pöbel sei; aber die wahre Grundlage
der neuen Bildung blieb der Salon, in welchem die vornehme, reiche und unbe¬
schäftigte Welt wie aus der Vogelperspective auf das Gedränge der bürgerlichen
Interessen herabsah und es als Stoff ihrer Ironie verbrauchte.

-Nun kam aber die Zeit der französischen Kriege, in denen man den Inhalt
der bisherigen ästhetischen Dogmatik als materielle Waffe gegen den äußern Feind
verwerthen konnte. Die specifisch deutsche Nationalität mit ihrem historischen
Inhalt, ihren Welsen und Hohenstaufen, ihrem Reichskammergericht und ihren
ritterbürtigeu Geschlechtern, ihrem Jakob Böhme und ihrem Albrecht Dürer, ihrem
Hermann und Karl dem Großen, ihren Spinnstuben und ihren Volksliedern, ihrem
Wodan und ihrem Christus wurde als Barricade gegen die Franzosen aufgethürmt,
ohne daß man auf die harmonische Zusammenstellung dieser Bestandtheile ein
be>onderes Gewicht legte, wenn sie nur für das augenblickliche Bedürfniß genüg¬
ten. Jeder der verschiedenen Romantiker übernahm eine Specialität, der eine die
Turnkunst, der andere den Katholicismus, der dritte die Reformation, noch ein
anderer die Sprachen mit ihren Dialekten, Märchen und Sagen u. s. f. Fvuqu«
machte zu seinem ausschließlichen Gegenstand das ideale germanische Ritterthum,
in welchem die Reminiscenzen von den isländischen Seekönigen und von dem
Hof Ludwig XIV. auf eine ziemlich bunte Weise sich durch einander mischten.

Diese Konsistenz in seinen Bestrebungen gewann er erst in der Zeit, wo
Fichte in seinen Reden an die deutsche Nation der jungen Schule die Parole
gegeben hatte. Vorher hatte er, nachdem er sich aus seinem kurzen Militairleben
in die idyllische Ruhe der literarischen Cirkel zurückgezogen, unter dem Namen
Pellegrin eine Reihe von Gedichten, Dramen und Romanen herausgegeben*),



*) Darunter: Eine Uebersetzung von Cervantes' „Rnmancia", in welcher der heroisch-
patriotische Ton im Ganzen glücklich getroffen war; der Roman „Atom", die „Historie des
edlen Ritter Galmy und einer schönen Herzogin ans Bretagne."
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[0177] verstand der bürgerlichen Bildung. Die Sturm- und Drangzeit war in ihren Idealen demokratisch, puritanisch und republikanisch, die Romantik, ihre unmittel¬ bare Fortsetzung, royalistisch, katholisch und aristokratisch; sie predigte die Rückkehr zum Ritterwesen des Mittelalters, zur Naivetät der patriarchalischen Zeiten, zur Andacht des Dante'schen und Calderon'schen Christenthums, und sie verstand es, mit so liebenswürdiger Ironie zu predigen, daß die vornehme Welt mit Anstand zuhören konnte, ohne fürchten zu müssen, auf gemeine bürgerliche Weise von dem Stofflichen ihrer Andacht belästigt zu werden. Zwar war es nicht die gesammte vornehme Welt, die sich der neuen Richtung anschloß, denn es ist nicht ihre Na¬ tur, in Masse geistreich zu sein; anch konnte sie die bürgerlichen Dichter und Philosophen, welche ihr die Heiligkeit des Adels und die Unwürdigkeit des Bürger¬ standes auseinandersetzten, so wenig entbehren, wie die katholische Kirche die protestantischen Ueberläufer, die ihr aus eigener Erfahrung erklären mußten, wie das Lutherthum uur eine Religion für den Pöbel sei; aber die wahre Grundlage der neuen Bildung blieb der Salon, in welchem die vornehme, reiche und unbe¬ schäftigte Welt wie aus der Vogelperspective auf das Gedränge der bürgerlichen Interessen herabsah und es als Stoff ihrer Ironie verbrauchte. -Nun kam aber die Zeit der französischen Kriege, in denen man den Inhalt der bisherigen ästhetischen Dogmatik als materielle Waffe gegen den äußern Feind verwerthen konnte. Die specifisch deutsche Nationalität mit ihrem historischen Inhalt, ihren Welsen und Hohenstaufen, ihrem Reichskammergericht und ihren ritterbürtigeu Geschlechtern, ihrem Jakob Böhme und ihrem Albrecht Dürer, ihrem Hermann und Karl dem Großen, ihren Spinnstuben und ihren Volksliedern, ihrem Wodan und ihrem Christus wurde als Barricade gegen die Franzosen aufgethürmt, ohne daß man auf die harmonische Zusammenstellung dieser Bestandtheile ein be>onderes Gewicht legte, wenn sie nur für das augenblickliche Bedürfniß genüg¬ ten. Jeder der verschiedenen Romantiker übernahm eine Specialität, der eine die Turnkunst, der andere den Katholicismus, der dritte die Reformation, noch ein anderer die Sprachen mit ihren Dialekten, Märchen und Sagen u. s. f. Fvuqu« machte zu seinem ausschließlichen Gegenstand das ideale germanische Ritterthum, in welchem die Reminiscenzen von den isländischen Seekönigen und von dem Hof Ludwig XIV. auf eine ziemlich bunte Weise sich durch einander mischten. Diese Konsistenz in seinen Bestrebungen gewann er erst in der Zeit, wo Fichte in seinen Reden an die deutsche Nation der jungen Schule die Parole gegeben hatte. Vorher hatte er, nachdem er sich aus seinem kurzen Militairleben in die idyllische Ruhe der literarischen Cirkel zurückgezogen, unter dem Namen Pellegrin eine Reihe von Gedichten, Dramen und Romanen herausgegeben*), *) Darunter: Eine Uebersetzung von Cervantes' „Rnmancia", in welcher der heroisch- patriotische Ton im Ganzen glücklich getroffen war; der Roman „Atom", die „Historie des edlen Ritter Galmy und einer schönen Herzogin ans Bretagne."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/177>, abgerufen am 24.07.2024.