Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ans dem so vielfach verspotteten Don Quixote einen Märtyrer des alleinselig¬
machenden Princips zu machen.

Der üble Eindruck der späteren Werke ist nicht ohne Einfluß aus das Ur¬
theil über die früheren geblieben. Man hat, und zwar nicht mit Unrecht, auch
in ihnen den Keim der späteren Verirrungen aufgesucht; man hat in dem cheva-
leresken, burschikosen, deutschthümlichen Wesen, welches in einer Zeit, wo die
demokratische und kosmopolitische Aufklärung aus den kaiserlichen Bayvnnetten
nach Deutschland übertragen wurde, vorübergehend sehr am Orte war, den
Mangel an Gedanken und an wahrem sittlichen Gehalt entdeckt, der das moderne
germanisch-christliche Ritterthum so unerträglich macht; mau hat in dieser unbe¬
dingten Herrschaft der Phantasie, die ihre Ideale dem wirklichen Denken und
Empfinden des Volks entgegensetzt, jene Unwahrheit und Affectation heraus¬
gefunden, die von einer blos äußerlichen Poesie unzertrennlich ist. Aber man ist
in der Verurtheilung doch zu weit gegangen. Allerdings gehören Fonqnö's Dich¬
tungen nicht in dem Sinn zur Geschichte der Literatur, daß durch sie eine neue
productive Idee geschaffen, die Empfindung vertieft und die Anschauung des
Lebens bereichert wäre, aber als Abbilder einer vorübergegangenen Entwickelungs-
periode sind' sie nicht ohne Interesse und lange nicht so thöricht, als viele von
den gleichzeitigen und gleichgestnnten Schriften, vor deren Verfassern wir noch immer
eine traditionelle Achtung empfinden. Wenn wir heute ein Buch von Görres,
oder Jahr, oder Steffens aufschlagen, oder auch so manches von Arndt, so wird
uns dabei nicht weniger wunderlich zu Muth, als bei den Ritterromanen und
skaldischen Dramen des ehrlichen Ritters, der zwar an Gedanken nicht überreich,
aber an plastischem Talent jenen Volksschriftstellern noch immer überlegen war").

In dem ersten Kampf der Sturm- und Drangliteratnr gegen die Spie߬
bürgerlichkeit und deren Voraussehungen wurde vorzugsweise die sogenannte gute
Gesellschaft als Ausdruck der verkehrten Convenienz verspottet. Werther, so wie
die Revolutionshelden Klinger's und Schiller's, waren entweder Bürgerliche
' oder junge idealistische. Edelleute, die sich von ihrem Stande lossagten. Später
aber wurde die Empfindsamkeit s> raffinirt und -so subtil, daß sie nur von exclu-
siver Cirkeln verstanden werden konnte. Goethe hatte die Finessen der Empfin¬
dung in der seinen Welt populair gemacht, und die Vertreter der specifischen
Poesie, die sogenannte romantische Schule, schloß sich an die adeligen Theecirkel
an, und verhöhnte mit besonderer Vorliebe den hausbackenen, gesunden Menschen-



Um die damalige romantische Generation zu übersehen, wird es nicht ohne Interesse
sein, die Geburtsjahre neben einander zu stellen. 17K7 A, W, Schlegel, E. Wagner, W, v,
Humboldt, 17S8 Schleiermacher, Z, Werner, 1769 Arndt, A, v, Humboldt, 1770 Hegel,
Hölderlin, 1772 F. Schlegel, Novalis, Wackenroder, Prinz Louis Ferdinand, 1773 Tieck,
177L Schilling, Steffens, 177S Kleist, Hoffmann, Görres, 1777 Fouqnv, Brentano, Nadel,
1778 Jahr, 177!) Oehlenschläger, 1780 Solger, 1781 Chamisso, Arnim, 1784 L, Schefer,
178L Bedenke', Varnhagen.

ans dem so vielfach verspotteten Don Quixote einen Märtyrer des alleinselig¬
machenden Princips zu machen.

Der üble Eindruck der späteren Werke ist nicht ohne Einfluß aus das Ur¬
theil über die früheren geblieben. Man hat, und zwar nicht mit Unrecht, auch
in ihnen den Keim der späteren Verirrungen aufgesucht; man hat in dem cheva-
leresken, burschikosen, deutschthümlichen Wesen, welches in einer Zeit, wo die
demokratische und kosmopolitische Aufklärung aus den kaiserlichen Bayvnnetten
nach Deutschland übertragen wurde, vorübergehend sehr am Orte war, den
Mangel an Gedanken und an wahrem sittlichen Gehalt entdeckt, der das moderne
germanisch-christliche Ritterthum so unerträglich macht; mau hat in dieser unbe¬
dingten Herrschaft der Phantasie, die ihre Ideale dem wirklichen Denken und
Empfinden des Volks entgegensetzt, jene Unwahrheit und Affectation heraus¬
gefunden, die von einer blos äußerlichen Poesie unzertrennlich ist. Aber man ist
in der Verurtheilung doch zu weit gegangen. Allerdings gehören Fonqnö's Dich¬
tungen nicht in dem Sinn zur Geschichte der Literatur, daß durch sie eine neue
productive Idee geschaffen, die Empfindung vertieft und die Anschauung des
Lebens bereichert wäre, aber als Abbilder einer vorübergegangenen Entwickelungs-
periode sind' sie nicht ohne Interesse und lange nicht so thöricht, als viele von
den gleichzeitigen und gleichgestnnten Schriften, vor deren Verfassern wir noch immer
eine traditionelle Achtung empfinden. Wenn wir heute ein Buch von Görres,
oder Jahr, oder Steffens aufschlagen, oder auch so manches von Arndt, so wird
uns dabei nicht weniger wunderlich zu Muth, als bei den Ritterromanen und
skaldischen Dramen des ehrlichen Ritters, der zwar an Gedanken nicht überreich,
aber an plastischem Talent jenen Volksschriftstellern noch immer überlegen war").

In dem ersten Kampf der Sturm- und Drangliteratnr gegen die Spie߬
bürgerlichkeit und deren Voraussehungen wurde vorzugsweise die sogenannte gute
Gesellschaft als Ausdruck der verkehrten Convenienz verspottet. Werther, so wie
die Revolutionshelden Klinger's und Schiller's, waren entweder Bürgerliche
' oder junge idealistische. Edelleute, die sich von ihrem Stande lossagten. Später
aber wurde die Empfindsamkeit s> raffinirt und -so subtil, daß sie nur von exclu-
siver Cirkeln verstanden werden konnte. Goethe hatte die Finessen der Empfin¬
dung in der seinen Welt populair gemacht, und die Vertreter der specifischen
Poesie, die sogenannte romantische Schule, schloß sich an die adeligen Theecirkel
an, und verhöhnte mit besonderer Vorliebe den hausbackenen, gesunden Menschen-



Um die damalige romantische Generation zu übersehen, wird es nicht ohne Interesse
sein, die Geburtsjahre neben einander zu stellen. 17K7 A, W, Schlegel, E. Wagner, W, v,
Humboldt, 17S8 Schleiermacher, Z, Werner, 1769 Arndt, A, v, Humboldt, 1770 Hegel,
Hölderlin, 1772 F. Schlegel, Novalis, Wackenroder, Prinz Louis Ferdinand, 1773 Tieck,
177L Schilling, Steffens, 177S Kleist, Hoffmann, Görres, 1777 Fouqnv, Brentano, Nadel,
1778 Jahr, 177!) Oehlenschläger, 1780 Solger, 1781 Chamisso, Arnim, 1784 L, Schefer,
178L Bedenke', Varnhagen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0176" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94077"/>
            <p xml:id="ID_479" prev="#ID_478"> ans dem so vielfach verspotteten Don Quixote einen Märtyrer des alleinselig¬<lb/>
machenden Princips zu machen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_480"> Der üble Eindruck der späteren Werke ist nicht ohne Einfluß aus das Ur¬<lb/>
theil über die früheren geblieben. Man hat, und zwar nicht mit Unrecht, auch<lb/>
in ihnen den Keim der späteren Verirrungen aufgesucht; man hat in dem cheva-<lb/>
leresken, burschikosen, deutschthümlichen Wesen, welches in einer Zeit, wo die<lb/>
demokratische und kosmopolitische Aufklärung aus den kaiserlichen Bayvnnetten<lb/>
nach Deutschland übertragen wurde, vorübergehend sehr am Orte war, den<lb/>
Mangel an Gedanken und an wahrem sittlichen Gehalt entdeckt, der das moderne<lb/>
germanisch-christliche Ritterthum so unerträglich macht; mau hat in dieser unbe¬<lb/>
dingten Herrschaft der Phantasie, die ihre Ideale dem wirklichen Denken und<lb/>
Empfinden des Volks entgegensetzt, jene Unwahrheit und Affectation heraus¬<lb/>
gefunden, die von einer blos äußerlichen Poesie unzertrennlich ist. Aber man ist<lb/>
in der Verurtheilung doch zu weit gegangen. Allerdings gehören Fonqnö's Dich¬<lb/>
tungen nicht in dem Sinn zur Geschichte der Literatur, daß durch sie eine neue<lb/>
productive Idee geschaffen, die Empfindung vertieft und die Anschauung des<lb/>
Lebens bereichert wäre, aber als Abbilder einer vorübergegangenen Entwickelungs-<lb/>
periode sind' sie nicht ohne Interesse und lange nicht so thöricht, als viele von<lb/>
den gleichzeitigen und gleichgestnnten Schriften, vor deren Verfassern wir noch immer<lb/>
eine traditionelle Achtung empfinden. Wenn wir heute ein Buch von Görres,<lb/>
oder Jahr, oder Steffens aufschlagen, oder auch so manches von Arndt, so wird<lb/>
uns dabei nicht weniger wunderlich zu Muth, als bei den Ritterromanen und<lb/>
skaldischen Dramen des ehrlichen Ritters, der zwar an Gedanken nicht überreich,<lb/>
aber an plastischem Talent jenen Volksschriftstellern noch immer überlegen war").</p><lb/>
            <p xml:id="ID_481" next="#ID_482"> In dem ersten Kampf der Sturm- und Drangliteratnr gegen die Spie߬<lb/>
bürgerlichkeit und deren Voraussehungen wurde vorzugsweise die sogenannte gute<lb/>
Gesellschaft als Ausdruck der verkehrten Convenienz verspottet. Werther, so wie<lb/>
die Revolutionshelden Klinger's und Schiller's, waren entweder Bürgerliche<lb/>
' oder junge idealistische. Edelleute, die sich von ihrem Stande lossagten. Später<lb/>
aber wurde die Empfindsamkeit s&gt; raffinirt und -so subtil, daß sie nur von exclu-<lb/>
siver Cirkeln verstanden werden konnte. Goethe hatte die Finessen der Empfin¬<lb/>
dung in der seinen Welt populair gemacht, und die Vertreter der specifischen<lb/>
Poesie, die sogenannte romantische Schule, schloß sich an die adeligen Theecirkel<lb/>
an, und verhöhnte mit besonderer Vorliebe den hausbackenen, gesunden Menschen-</p><lb/>
            <note xml:id="FID_16" place="foot"> Um die damalige romantische Generation zu übersehen, wird es nicht ohne Interesse<lb/>
sein, die Geburtsjahre neben einander zu stellen. 17K7 A, W, Schlegel, E. Wagner, W, v,<lb/>
Humboldt, 17S8 Schleiermacher, Z, Werner, 1769 Arndt, A, v, Humboldt, 1770 Hegel,<lb/>
Hölderlin, 1772 F. Schlegel, Novalis, Wackenroder, Prinz Louis Ferdinand, 1773 Tieck,<lb/>
177L Schilling, Steffens, 177S Kleist, Hoffmann, Görres, 1777 Fouqnv, Brentano, Nadel,<lb/>
1778 Jahr, 177!) Oehlenschläger, 1780 Solger, 1781 Chamisso, Arnim, 1784 L, Schefer,<lb/>
178L Bedenke', Varnhagen.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0176] ans dem so vielfach verspotteten Don Quixote einen Märtyrer des alleinselig¬ machenden Princips zu machen. Der üble Eindruck der späteren Werke ist nicht ohne Einfluß aus das Ur¬ theil über die früheren geblieben. Man hat, und zwar nicht mit Unrecht, auch in ihnen den Keim der späteren Verirrungen aufgesucht; man hat in dem cheva- leresken, burschikosen, deutschthümlichen Wesen, welches in einer Zeit, wo die demokratische und kosmopolitische Aufklärung aus den kaiserlichen Bayvnnetten nach Deutschland übertragen wurde, vorübergehend sehr am Orte war, den Mangel an Gedanken und an wahrem sittlichen Gehalt entdeckt, der das moderne germanisch-christliche Ritterthum so unerträglich macht; mau hat in dieser unbe¬ dingten Herrschaft der Phantasie, die ihre Ideale dem wirklichen Denken und Empfinden des Volks entgegensetzt, jene Unwahrheit und Affectation heraus¬ gefunden, die von einer blos äußerlichen Poesie unzertrennlich ist. Aber man ist in der Verurtheilung doch zu weit gegangen. Allerdings gehören Fonqnö's Dich¬ tungen nicht in dem Sinn zur Geschichte der Literatur, daß durch sie eine neue productive Idee geschaffen, die Empfindung vertieft und die Anschauung des Lebens bereichert wäre, aber als Abbilder einer vorübergegangenen Entwickelungs- periode sind' sie nicht ohne Interesse und lange nicht so thöricht, als viele von den gleichzeitigen und gleichgestnnten Schriften, vor deren Verfassern wir noch immer eine traditionelle Achtung empfinden. Wenn wir heute ein Buch von Görres, oder Jahr, oder Steffens aufschlagen, oder auch so manches von Arndt, so wird uns dabei nicht weniger wunderlich zu Muth, als bei den Ritterromanen und skaldischen Dramen des ehrlichen Ritters, der zwar an Gedanken nicht überreich, aber an plastischem Talent jenen Volksschriftstellern noch immer überlegen war"). In dem ersten Kampf der Sturm- und Drangliteratnr gegen die Spie߬ bürgerlichkeit und deren Voraussehungen wurde vorzugsweise die sogenannte gute Gesellschaft als Ausdruck der verkehrten Convenienz verspottet. Werther, so wie die Revolutionshelden Klinger's und Schiller's, waren entweder Bürgerliche ' oder junge idealistische. Edelleute, die sich von ihrem Stande lossagten. Später aber wurde die Empfindsamkeit s> raffinirt und -so subtil, daß sie nur von exclu- siver Cirkeln verstanden werden konnte. Goethe hatte die Finessen der Empfin¬ dung in der seinen Welt populair gemacht, und die Vertreter der specifischen Poesie, die sogenannte romantische Schule, schloß sich an die adeligen Theecirkel an, und verhöhnte mit besonderer Vorliebe den hausbackenen, gesunden Menschen- Um die damalige romantische Generation zu übersehen, wird es nicht ohne Interesse sein, die Geburtsjahre neben einander zu stellen. 17K7 A, W, Schlegel, E. Wagner, W, v, Humboldt, 17S8 Schleiermacher, Z, Werner, 1769 Arndt, A, v, Humboldt, 1770 Hegel, Hölderlin, 1772 F. Schlegel, Novalis, Wackenroder, Prinz Louis Ferdinand, 1773 Tieck, 177L Schilling, Steffens, 177S Kleist, Hoffmann, Görres, 1777 Fouqnv, Brentano, Nadel, 1778 Jahr, 177!) Oehlenschläger, 1780 Solger, 1781 Chamisso, Arnim, 1784 L, Schefer, 178L Bedenke', Varnhagen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/176
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/176>, abgerufen am 24.07.2024.