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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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durch eine klare und anschauliche Darstellung des wirklich historischen, d. h. durch
Quellenforschung festgestellten Materials Unendlich viel mehr gewonnen, als durch
die geistreichste und scharfsinnigste Speculation. Ans diese Weise wird auch am
zweckmäßigsten der Kampf gegen die herrschenden Abstractionen geführt, die wie
Nebel vor dem Sonnenlicht, vor der Anschauung der geschichtlichen Wahrheit
augenblicklich verschwinden.

Es ist daher sehr weise, daß Duncker gar keine Einleitung gemacht, daß er
keine allgemeinen vorläufigen Grundbegriffe erörtert hat, sondern sich unmittelbar
in die thatsächliche Welt vertieft. Der Orient, dessen Vorzeit dieser erste Theil
umfaßt, hat durch die Studien der letzten Jahrzehende unendlich bestimmtere
Umrisse und eine unendlich reichere Färbung gewonnen. Man hat die alten
monumentalen Denkmäler entdeckt und mit ihnen ein lebendiges Zeugniß, gleich¬
sam eine erneute Gegenwart/jener uralten Vergangenheit gewonnen, die Ms um
nicht mehr blos eine leere Tabelle von Namen und Zahlen, sondern eine concrete
Vorstellung von menschlichen Sitten geworden ist; man hat ferner die heiligen Zeug¬
nisse der alten Geschichte allmählich nicht mehr mit dem Auge des Glaubens oder des
Skepticismus, sondern mit dem Auge der historischen Kritik zu betrachten gelernt,
man sucht in ihnen nicht mehr blos die Facta, die sie berichten, sondern den
Geist, in dem sie geschrieben sind, und von dem sie Zeugniß ablegen; man hat
endlich durch die Analogie der Urgeschichten sämmtlicher Welttheile sich eine Me¬
thode angeeignet, die Sprache des Instincts und der Sage ins Verständliche zu
übersetzen, die allmählich eine so große Couststenz und Sicherheit gewonnen hat,
wie es überhaupt möglich ist, wo es sich nicht um exactes Wissen handelt.

Alle diese Mittel unsrer neuen Geschichtsforschung hat Duncker mit Einsicht
und Geschick benutzt. Er führt uns in die Gegenden ein, wo seine Geschichten
spielen, macht uns mit ihrer Natur bekannt, zeigt uns die Denkmäler, welche die
Vorzeit hinterlassen, erzählt und übersetzt uns die Traditionen, die sich erhalten
haben, und läßt auf diese Weise unser historisches Wissen auf eine organische
Weise entsteh". Diese Aufgabe ist sehr schwer, und sie kann nur annähernd ge¬
löst werden, aber sie ist überall mit Ernst im Auge behalten, und in sehr
vielen Stellen in einer geradezu künstlerischen Darstellung durchgeführt. ES kam
hier vorzugsweise darauf an, die historischen Resultate, die Traditionen und die
unmittelbaren Anschauungen so in einander zu verweben, daß wir nicht' nur die
Umrisse, sondern auch soviel als möglich von der Färbung wiederfinden. Zu
diesem Zweck sind- z. B. die Einschaltungen aus den Propheten an verschiedenen
Passenden Stellen der ägyptischen und assyrischen Geschichte sehr zu billigen. Das
gMze Buch ist für jeden Gebildeten eine unterhaltende Lecture, die er ununter¬
brochen von Aufang bis zu Ende fortfetzen kaun, und doch zugleich zum Nach¬
schlagen geeignet, indem es das Material so vollständig erschöpft, als unter diesen
Umständen zu verlangen war.


ZI *

durch eine klare und anschauliche Darstellung des wirklich historischen, d. h. durch
Quellenforschung festgestellten Materials Unendlich viel mehr gewonnen, als durch
die geistreichste und scharfsinnigste Speculation. Ans diese Weise wird auch am
zweckmäßigsten der Kampf gegen die herrschenden Abstractionen geführt, die wie
Nebel vor dem Sonnenlicht, vor der Anschauung der geschichtlichen Wahrheit
augenblicklich verschwinden.

Es ist daher sehr weise, daß Duncker gar keine Einleitung gemacht, daß er
keine allgemeinen vorläufigen Grundbegriffe erörtert hat, sondern sich unmittelbar
in die thatsächliche Welt vertieft. Der Orient, dessen Vorzeit dieser erste Theil
umfaßt, hat durch die Studien der letzten Jahrzehende unendlich bestimmtere
Umrisse und eine unendlich reichere Färbung gewonnen. Man hat die alten
monumentalen Denkmäler entdeckt und mit ihnen ein lebendiges Zeugniß, gleich¬
sam eine erneute Gegenwart/jener uralten Vergangenheit gewonnen, die Ms um
nicht mehr blos eine leere Tabelle von Namen und Zahlen, sondern eine concrete
Vorstellung von menschlichen Sitten geworden ist; man hat ferner die heiligen Zeug¬
nisse der alten Geschichte allmählich nicht mehr mit dem Auge des Glaubens oder des
Skepticismus, sondern mit dem Auge der historischen Kritik zu betrachten gelernt,
man sucht in ihnen nicht mehr blos die Facta, die sie berichten, sondern den
Geist, in dem sie geschrieben sind, und von dem sie Zeugniß ablegen; man hat
endlich durch die Analogie der Urgeschichten sämmtlicher Welttheile sich eine Me¬
thode angeeignet, die Sprache des Instincts und der Sage ins Verständliche zu
übersetzen, die allmählich eine so große Couststenz und Sicherheit gewonnen hat,
wie es überhaupt möglich ist, wo es sich nicht um exactes Wissen handelt.

Alle diese Mittel unsrer neuen Geschichtsforschung hat Duncker mit Einsicht
und Geschick benutzt. Er führt uns in die Gegenden ein, wo seine Geschichten
spielen, macht uns mit ihrer Natur bekannt, zeigt uns die Denkmäler, welche die
Vorzeit hinterlassen, erzählt und übersetzt uns die Traditionen, die sich erhalten
haben, und läßt auf diese Weise unser historisches Wissen auf eine organische
Weise entsteh». Diese Aufgabe ist sehr schwer, und sie kann nur annähernd ge¬
löst werden, aber sie ist überall mit Ernst im Auge behalten, und in sehr
vielen Stellen in einer geradezu künstlerischen Darstellung durchgeführt. ES kam
hier vorzugsweise darauf an, die historischen Resultate, die Traditionen und die
unmittelbaren Anschauungen so in einander zu verweben, daß wir nicht' nur die
Umrisse, sondern auch soviel als möglich von der Färbung wiederfinden. Zu
diesem Zweck sind- z. B. die Einschaltungen aus den Propheten an verschiedenen
Passenden Stellen der ägyptischen und assyrischen Geschichte sehr zu billigen. Das
gMze Buch ist für jeden Gebildeten eine unterhaltende Lecture, die er ununter¬
brochen von Aufang bis zu Ende fortfetzen kaun, und doch zugleich zum Nach¬
schlagen geeignet, indem es das Material so vollständig erschöpft, als unter diesen
Umständen zu verlangen war.


ZI *
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/173>, abgerufen am 24.07.2024.