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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Geschichte des Alterthums

von Max Duncker. 1. Bd. Berlin, Duncker und Humblot.

Unter allen Wissenschaften ist die Geschichte die einzige, deren fortgesetzte
Erweiterung und Vertiefung die Popularität nicht ausschließt. Alle übrigen
Wissenschaften, die gerade in der neuesten Zeit so ungeahnte Fortschritte gemacht
haben, weisen den Profanen von ihrem Gebiet zurück, und wenn einmal ein
Meister, wie Alexander v. Humboldt, es unternimmt, sie in einem Gesammtgemälde
darzustellen, so ist dieses mehr darauf berechnet, dem Uneingeweihten Furcht und
Zittern vor der Majestät des Heiligthums einzuflößen, als ihn mit freundlicher
Hand in dasselbe einzuführen. Zwar entfaltet die Naturwissenschaft einen Reich¬
thum an einzelnen Bildern und Anschauungen, die auch der Masse des Volkes
zu Gute kommen, und ihr geheimer unsichtbarer Einfluß erstreckt sich auf sämmt¬
liche Gebiete des Denkens und der praktischen Thätigkeit; allein sie selber verhüllt
sich immer tiefer in ihren Jstsschleier.

Mit der Geschichte ist es ein anderer Fall. Je tiefer wir die Mysterien des
menschlichen Lebens, wie es sich in der Zeit entwickelt, ergründen, desto klarer
und zugänglicher wird es für das Auge des Künstlers. Die Geschichte ist die
einzige Wissenschaft, welche eine künstlerische Darstellung nicht nur erlaubt, sondern
nothwendig macht, denn ihr Gegenstand ist nicht, wie bei der Naturwissenschaft,
auch außerhalb des menschlichen Bewußtseins, er ist nicht für sich vorhanden, er
ist nur, in sofern er dargestellt wird.

Bei den fortschreitenden historischen Studien ist es daher nothwendig, daß
von Zeit zu Zeit das Gesammtbild der Menschheit von geschickten, künstlerischen
Händen wieder aufgefrischt wird. Das vorliegende Buch ist ein erfreuliches Zeichen
von dem Fortschritt des Wissens seit der Zeit, wo Schlosser seine Geschichte des
Alterthums schrieb, wie von der größern Klarheit und Unbefangenheit im An¬
schauen der Begebenheiten. Um seinen Werth zu bestimmen, müssen wir Uns
zunächst seiue Aufgabe klar machen.

Das Publicum, welches Duncker im Auge hat, ist ein anderes, als das von
Becker's allgemeiner Weltgeschichte. Dieses in seiner Art unübertreffliche Buch ist


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Geschichte des Alterthums

von Max Duncker. 1. Bd. Berlin, Duncker und Humblot.

Unter allen Wissenschaften ist die Geschichte die einzige, deren fortgesetzte
Erweiterung und Vertiefung die Popularität nicht ausschließt. Alle übrigen
Wissenschaften, die gerade in der neuesten Zeit so ungeahnte Fortschritte gemacht
haben, weisen den Profanen von ihrem Gebiet zurück, und wenn einmal ein
Meister, wie Alexander v. Humboldt, es unternimmt, sie in einem Gesammtgemälde
darzustellen, so ist dieses mehr darauf berechnet, dem Uneingeweihten Furcht und
Zittern vor der Majestät des Heiligthums einzuflößen, als ihn mit freundlicher
Hand in dasselbe einzuführen. Zwar entfaltet die Naturwissenschaft einen Reich¬
thum an einzelnen Bildern und Anschauungen, die auch der Masse des Volkes
zu Gute kommen, und ihr geheimer unsichtbarer Einfluß erstreckt sich auf sämmt¬
liche Gebiete des Denkens und der praktischen Thätigkeit; allein sie selber verhüllt
sich immer tiefer in ihren Jstsschleier.

Mit der Geschichte ist es ein anderer Fall. Je tiefer wir die Mysterien des
menschlichen Lebens, wie es sich in der Zeit entwickelt, ergründen, desto klarer
und zugänglicher wird es für das Auge des Künstlers. Die Geschichte ist die
einzige Wissenschaft, welche eine künstlerische Darstellung nicht nur erlaubt, sondern
nothwendig macht, denn ihr Gegenstand ist nicht, wie bei der Naturwissenschaft,
auch außerhalb des menschlichen Bewußtseins, er ist nicht für sich vorhanden, er
ist nur, in sofern er dargestellt wird.

Bei den fortschreitenden historischen Studien ist es daher nothwendig, daß
von Zeit zu Zeit das Gesammtbild der Menschheit von geschickten, künstlerischen
Händen wieder aufgefrischt wird. Das vorliegende Buch ist ein erfreuliches Zeichen
von dem Fortschritt des Wissens seit der Zeit, wo Schlosser seine Geschichte des
Alterthums schrieb, wie von der größern Klarheit und Unbefangenheit im An¬
schauen der Begebenheiten. Um seinen Werth zu bestimmen, müssen wir Uns
zunächst seiue Aufgabe klar machen.

Das Publicum, welches Duncker im Auge hat, ist ein anderes, als das von
Becker's allgemeiner Weltgeschichte. Dieses in seiner Art unübertreffliche Buch ist


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[0171] Geschichte des Alterthums von Max Duncker. 1. Bd. Berlin, Duncker und Humblot. Unter allen Wissenschaften ist die Geschichte die einzige, deren fortgesetzte Erweiterung und Vertiefung die Popularität nicht ausschließt. Alle übrigen Wissenschaften, die gerade in der neuesten Zeit so ungeahnte Fortschritte gemacht haben, weisen den Profanen von ihrem Gebiet zurück, und wenn einmal ein Meister, wie Alexander v. Humboldt, es unternimmt, sie in einem Gesammtgemälde darzustellen, so ist dieses mehr darauf berechnet, dem Uneingeweihten Furcht und Zittern vor der Majestät des Heiligthums einzuflößen, als ihn mit freundlicher Hand in dasselbe einzuführen. Zwar entfaltet die Naturwissenschaft einen Reich¬ thum an einzelnen Bildern und Anschauungen, die auch der Masse des Volkes zu Gute kommen, und ihr geheimer unsichtbarer Einfluß erstreckt sich auf sämmt¬ liche Gebiete des Denkens und der praktischen Thätigkeit; allein sie selber verhüllt sich immer tiefer in ihren Jstsschleier. Mit der Geschichte ist es ein anderer Fall. Je tiefer wir die Mysterien des menschlichen Lebens, wie es sich in der Zeit entwickelt, ergründen, desto klarer und zugänglicher wird es für das Auge des Künstlers. Die Geschichte ist die einzige Wissenschaft, welche eine künstlerische Darstellung nicht nur erlaubt, sondern nothwendig macht, denn ihr Gegenstand ist nicht, wie bei der Naturwissenschaft, auch außerhalb des menschlichen Bewußtseins, er ist nicht für sich vorhanden, er ist nur, in sofern er dargestellt wird. Bei den fortschreitenden historischen Studien ist es daher nothwendig, daß von Zeit zu Zeit das Gesammtbild der Menschheit von geschickten, künstlerischen Händen wieder aufgefrischt wird. Das vorliegende Buch ist ein erfreuliches Zeichen von dem Fortschritt des Wissens seit der Zeit, wo Schlosser seine Geschichte des Alterthums schrieb, wie von der größern Klarheit und Unbefangenheit im An¬ schauen der Begebenheiten. Um seinen Werth zu bestimmen, müssen wir Uns zunächst seiue Aufgabe klar machen. Das Publicum, welches Duncker im Auge hat, ist ein anderes, als das von Becker's allgemeiner Weltgeschichte. Dieses in seiner Art unübertreffliche Buch ist Grenzboten. II- ->8ö2> 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/171>, abgerufen am 24.07.2024.