Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Drum will das Schwert dem Kind ich führen,
Bis daß es selbst den Streit versteht.
Nie soll mich falsches Mitleid rühren,
Um das im Kind der Feind nur fleht.

Das Schwert ist natürlich die Ruthe. -- Sie fühlt, sich sehr glücklich, denn
ihr "sind zur Stärkung ihrer Seele die Sacramente stets bereit", "sie hat des
Kirchgangs Seligkeit", und damit ihr Nichts fehle, giebt es auch noch mehrere
Arme, die sie pflegen kann. -

Die beiden schonen Seelen finden sich, lieben sich, erklären sich einander;
aber ach! Ritter Walter ist bereits an eine andere Braut gebunden. Als frommer
Sohn muß er den letzten Willen seines entschlafenen Vaters ehren, und verläßt
das Ideal seines Herzens, um sich zu seiner verlobten Braut Ghismonda nach
Welschland zu begeben.

Diese Ghismonda ist das emancipirje Weib, die Corinna der Fran von
Staizl. Sie betet nicht, sie giebt keine Almosen, sie hat die unehrerbietigsten
Ansichten von der Religion, ist eine herzlose Coquette und schreibt ihre Stammbuch¬
verse nicht in Ouatrams, sondern in Sonetten. Bei der abschreckenden Schilde¬
rung dieses verlorenen Kindes der Weltlust hat der Dichter nach unsrer Ansicht
einen kleinen Fehler begangen. Er läßt seinen Ritter in wirklicher Liebe zu ihr
entbrennen, und schildert diese Situation mit einer Sinnlichkeit, die zwar später
durch Moral corrigirt wird, die aber doch immer den kindlichen Gemüthern, die
sich an diesem Gedicht erbauen, einigen Anstoß geben könnte. -- Mitten in
einem Schäferstündchen überkommt den Ritter der christliche Geist. Seine Geliebte
will zur Jagd reiten; er ersucht sie, dies nicht zu thun und seine liebgetreue
Magd zu sein -- Magd! quelle Korwur! -- Ein andermal verlangt er eben
so von ihr, sie solle nicht zu Tanz gehen. Er verlange von ihr Nichts, als die'
Demuth eines christlichen Herzens. Zu seinem Entsetzen fängt Ghismonda an
gegen das Christenthum zu polemisiren, und er hält eine lange Rede, sie zu be¬
kehren. Nicht mit Schlüssen und Beweisen sucht er auf sie einzuwirken, sondern
durch Anrufung an das Gefühl. Er schildert ihr die Schönheiten des Glaubens
und die Schrecken des Unglaubens, und wird darin fast unhöflich: Ghismonda
habe zum Stolz kein Recht, denn wer nicht glaube, der sei gleich der Kröte
im Schlamm. Dann malt er mit einer wahren Vampyrphantaste die Qualen
aus, die sie in der Hölle werde erdulden müssen. Das Alles fruchtet Nichts, und
wir sind um so mehr in der Erwartung, daß das unheilige Band sich lösen werde,
da wir in Walter's Tagebuch eine Reihe von Liebesgedichten an Amarant!) fin¬
den, in denen die Heiligkeit der christlichen Ehe gepriesen wird. Aber Walter
will noch einen letzten Versuch wagen. Er führt seine Braut zum Altar, und
bevor das verhängnißvolle Ja ausgesprochen wird, fragt er sie laut und feierlich,
ob sie auch an Christum glaube, den eingebornen Sohn Gottes. Sie wendet sich


Drum will das Schwert dem Kind ich führen,
Bis daß es selbst den Streit versteht.
Nie soll mich falsches Mitleid rühren,
Um das im Kind der Feind nur fleht.

Das Schwert ist natürlich die Ruthe. — Sie fühlt, sich sehr glücklich, denn
ihr „sind zur Stärkung ihrer Seele die Sacramente stets bereit", „sie hat des
Kirchgangs Seligkeit", und damit ihr Nichts fehle, giebt es auch noch mehrere
Arme, die sie pflegen kann. -

Die beiden schonen Seelen finden sich, lieben sich, erklären sich einander;
aber ach! Ritter Walter ist bereits an eine andere Braut gebunden. Als frommer
Sohn muß er den letzten Willen seines entschlafenen Vaters ehren, und verläßt
das Ideal seines Herzens, um sich zu seiner verlobten Braut Ghismonda nach
Welschland zu begeben.

Diese Ghismonda ist das emancipirje Weib, die Corinna der Fran von
Staizl. Sie betet nicht, sie giebt keine Almosen, sie hat die unehrerbietigsten
Ansichten von der Religion, ist eine herzlose Coquette und schreibt ihre Stammbuch¬
verse nicht in Ouatrams, sondern in Sonetten. Bei der abschreckenden Schilde¬
rung dieses verlorenen Kindes der Weltlust hat der Dichter nach unsrer Ansicht
einen kleinen Fehler begangen. Er läßt seinen Ritter in wirklicher Liebe zu ihr
entbrennen, und schildert diese Situation mit einer Sinnlichkeit, die zwar später
durch Moral corrigirt wird, die aber doch immer den kindlichen Gemüthern, die
sich an diesem Gedicht erbauen, einigen Anstoß geben könnte. — Mitten in
einem Schäferstündchen überkommt den Ritter der christliche Geist. Seine Geliebte
will zur Jagd reiten; er ersucht sie, dies nicht zu thun und seine liebgetreue
Magd zu sein — Magd! quelle Korwur! — Ein andermal verlangt er eben
so von ihr, sie solle nicht zu Tanz gehen. Er verlange von ihr Nichts, als die'
Demuth eines christlichen Herzens. Zu seinem Entsetzen fängt Ghismonda an
gegen das Christenthum zu polemisiren, und er hält eine lange Rede, sie zu be¬
kehren. Nicht mit Schlüssen und Beweisen sucht er auf sie einzuwirken, sondern
durch Anrufung an das Gefühl. Er schildert ihr die Schönheiten des Glaubens
und die Schrecken des Unglaubens, und wird darin fast unhöflich: Ghismonda
habe zum Stolz kein Recht, denn wer nicht glaube, der sei gleich der Kröte
im Schlamm. Dann malt er mit einer wahren Vampyrphantaste die Qualen
aus, die sie in der Hölle werde erdulden müssen. Das Alles fruchtet Nichts, und
wir sind um so mehr in der Erwartung, daß das unheilige Band sich lösen werde,
da wir in Walter's Tagebuch eine Reihe von Liebesgedichten an Amarant!) fin¬
den, in denen die Heiligkeit der christlichen Ehe gepriesen wird. Aber Walter
will noch einen letzten Versuch wagen. Er führt seine Braut zum Altar, und
bevor das verhängnißvolle Ja ausgesprochen wird, fragt er sie laut und feierlich,
ob sie auch an Christum glaube, den eingebornen Sohn Gottes. Sie wendet sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93920"/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_3" type="poem">
              <l> Drum will das Schwert dem Kind ich führen,<lb/>
Bis daß es selbst den Streit versteht.<lb/>
Nie soll mich falsches Mitleid rühren,<lb/>
Um das im Kind der Feind nur fleht.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_28"> Das Schwert ist natürlich die Ruthe. &#x2014; Sie fühlt, sich sehr glücklich, denn<lb/>
ihr &#x201E;sind zur Stärkung ihrer Seele die Sacramente stets bereit", &#x201E;sie hat des<lb/>
Kirchgangs Seligkeit", und damit ihr Nichts fehle, giebt es auch noch mehrere<lb/>
Arme, die sie pflegen kann. -</p><lb/>
          <p xml:id="ID_29"> Die beiden schonen Seelen finden sich, lieben sich, erklären sich einander;<lb/>
aber ach! Ritter Walter ist bereits an eine andere Braut gebunden. Als frommer<lb/>
Sohn muß er den letzten Willen seines entschlafenen Vaters ehren, und verläßt<lb/>
das Ideal seines Herzens, um sich zu seiner verlobten Braut Ghismonda nach<lb/>
Welschland zu begeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_30" next="#ID_31"> Diese Ghismonda ist das emancipirje Weib, die Corinna der Fran von<lb/>
Staizl. Sie betet nicht, sie giebt keine Almosen, sie hat die unehrerbietigsten<lb/>
Ansichten von der Religion, ist eine herzlose Coquette und schreibt ihre Stammbuch¬<lb/>
verse nicht in Ouatrams, sondern in Sonetten. Bei der abschreckenden Schilde¬<lb/>
rung dieses verlorenen Kindes der Weltlust hat der Dichter nach unsrer Ansicht<lb/>
einen kleinen Fehler begangen. Er läßt seinen Ritter in wirklicher Liebe zu ihr<lb/>
entbrennen, und schildert diese Situation mit einer Sinnlichkeit, die zwar später<lb/>
durch Moral corrigirt wird, die aber doch immer den kindlichen Gemüthern, die<lb/>
sich an diesem Gedicht erbauen, einigen Anstoß geben könnte. &#x2014; Mitten in<lb/>
einem Schäferstündchen überkommt den Ritter der christliche Geist. Seine Geliebte<lb/>
will zur Jagd reiten; er ersucht sie, dies nicht zu thun und seine liebgetreue<lb/>
Magd zu sein &#x2014; Magd! quelle Korwur! &#x2014; Ein andermal verlangt er eben<lb/>
so von ihr, sie solle nicht zu Tanz gehen. Er verlange von ihr Nichts, als die'<lb/>
Demuth eines christlichen Herzens. Zu seinem Entsetzen fängt Ghismonda an<lb/>
gegen das Christenthum zu polemisiren, und er hält eine lange Rede, sie zu be¬<lb/>
kehren. Nicht mit Schlüssen und Beweisen sucht er auf sie einzuwirken, sondern<lb/>
durch Anrufung an das Gefühl. Er schildert ihr die Schönheiten des Glaubens<lb/>
und die Schrecken des Unglaubens, und wird darin fast unhöflich: Ghismonda<lb/>
habe zum Stolz kein Recht, denn wer nicht glaube, der sei gleich der Kröte<lb/>
im Schlamm. Dann malt er mit einer wahren Vampyrphantaste die Qualen<lb/>
aus, die sie in der Hölle werde erdulden müssen. Das Alles fruchtet Nichts, und<lb/>
wir sind um so mehr in der Erwartung, daß das unheilige Band sich lösen werde,<lb/>
da wir in Walter's Tagebuch eine Reihe von Liebesgedichten an Amarant!) fin¬<lb/>
den, in denen die Heiligkeit der christlichen Ehe gepriesen wird. Aber Walter<lb/>
will noch einen letzten Versuch wagen. Er führt seine Braut zum Altar, und<lb/>
bevor das verhängnißvolle Ja ausgesprochen wird, fragt er sie laut und feierlich,<lb/>
ob sie auch an Christum glaube, den eingebornen Sohn Gottes. Sie wendet sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Drum will das Schwert dem Kind ich führen, Bis daß es selbst den Streit versteht. Nie soll mich falsches Mitleid rühren, Um das im Kind der Feind nur fleht. Das Schwert ist natürlich die Ruthe. — Sie fühlt, sich sehr glücklich, denn ihr „sind zur Stärkung ihrer Seele die Sacramente stets bereit", „sie hat des Kirchgangs Seligkeit", und damit ihr Nichts fehle, giebt es auch noch mehrere Arme, die sie pflegen kann. - Die beiden schonen Seelen finden sich, lieben sich, erklären sich einander; aber ach! Ritter Walter ist bereits an eine andere Braut gebunden. Als frommer Sohn muß er den letzten Willen seines entschlafenen Vaters ehren, und verläßt das Ideal seines Herzens, um sich zu seiner verlobten Braut Ghismonda nach Welschland zu begeben. Diese Ghismonda ist das emancipirje Weib, die Corinna der Fran von Staizl. Sie betet nicht, sie giebt keine Almosen, sie hat die unehrerbietigsten Ansichten von der Religion, ist eine herzlose Coquette und schreibt ihre Stammbuch¬ verse nicht in Ouatrams, sondern in Sonetten. Bei der abschreckenden Schilde¬ rung dieses verlorenen Kindes der Weltlust hat der Dichter nach unsrer Ansicht einen kleinen Fehler begangen. Er läßt seinen Ritter in wirklicher Liebe zu ihr entbrennen, und schildert diese Situation mit einer Sinnlichkeit, die zwar später durch Moral corrigirt wird, die aber doch immer den kindlichen Gemüthern, die sich an diesem Gedicht erbauen, einigen Anstoß geben könnte. — Mitten in einem Schäferstündchen überkommt den Ritter der christliche Geist. Seine Geliebte will zur Jagd reiten; er ersucht sie, dies nicht zu thun und seine liebgetreue Magd zu sein — Magd! quelle Korwur! — Ein andermal verlangt er eben so von ihr, sie solle nicht zu Tanz gehen. Er verlange von ihr Nichts, als die' Demuth eines christlichen Herzens. Zu seinem Entsetzen fängt Ghismonda an gegen das Christenthum zu polemisiren, und er hält eine lange Rede, sie zu be¬ kehren. Nicht mit Schlüssen und Beweisen sucht er auf sie einzuwirken, sondern durch Anrufung an das Gefühl. Er schildert ihr die Schönheiten des Glaubens und die Schrecken des Unglaubens, und wird darin fast unhöflich: Ghismonda habe zum Stolz kein Recht, denn wer nicht glaube, der sei gleich der Kröte im Schlamm. Dann malt er mit einer wahren Vampyrphantaste die Qualen aus, die sie in der Hölle werde erdulden müssen. Das Alles fruchtet Nichts, und wir sind um so mehr in der Erwartung, daß das unheilige Band sich lösen werde, da wir in Walter's Tagebuch eine Reihe von Liebesgedichten an Amarant!) fin¬ den, in denen die Heiligkeit der christlichen Ehe gepriesen wird. Aber Walter will noch einen letzten Versuch wagen. Er führt seine Braut zum Altar, und bevor das verhängnißvolle Ja ausgesprochen wird, fragt er sie laut und feierlich, ob sie auch an Christum glaube, den eingebornen Sohn Gottes. Sie wendet sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/17>, abgerufen am 24.07.2024.