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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Gesänge verbreiteten, gewidmet, theils vollendete, theils der Vollendung nahe
Gebände dorischen Styls. An dem zweiten Tempel im Hintergrunde sind die
Werkleute eben beschäftigt, das Giebelfeld aufzurichten.

Im Mittelgrunde links hat sich am Strande ein jugendlicher Held mit seinem
Wasserträger hingelagert, ebenfalls dem Worte des Dichters horchend, und hinter
ihm nmtanzen bewaffnete Jünglinge einen Altar, von welchem der Opferdampf
emporsteigt. Sie schwingen die Schilde und die Schwerter in begeistertem Ent¬
zücken, und alle ihre Bewegungen zeigen die Lust und die Spannkraft der
der Jugend. Zur Seite liegen Opfergefäße, Stierköpfe und andere Ueberbleibsel
der geschlachteten Thiere. Ans den Wolken aber lassen sich Zeus und Here wohl¬
gefällig in den Rauch des Opfers hernieder. In ihrem Gefolge befinden sich
Pallas, Artemis, Hermes und andere Götter, welche die bildenden Krssfte des
menschlichen Geistes in vergötterter Gestaltung darstellen, und von dem Opfer¬
dampfe, der, einer Säule gleich emporsteigend, den Vater der Götter mit seiner
Gemahlin trägt, bis- zu den Tempeln, welche jenseits entstehen, hat Iris den
leuchtenden Bogen ihrer Brücke gespannt, auf dem die Unsterblichen hinüberziehen
in ihre neuen Wohnungen auf der Erde. Eros und die Grazien, welche jenen,
den über ihnen schwebenden Knaben, haschen wollen, eröffnen den Zug, Helios
folgt mit den Muse", deren Gruppe die heitere Thalia beschließt. Unter dem
Bogen hindurch erblicken wir in der Ferne die vorher schon erwähnten Küsten von
Salamis, die Stelle ruhmreichster Bewährung des griechischen Volkes, in seiner
nationalen Kraft und Selbstständigkeit.

Die Schilderung des Bildes lehrt, daß bei aller Mannichfaltigkeit des In¬
halts die Einheit der großartigen Idee durchgesetzt ist, so weit die allegorische
Tendenz des Werkes dieselbe gestattet. Die Homerischen Dichtungen sind es,
welche dem griechischen Glauben seine Götter, der griechischen Kunst ihre Ideale,
dem griechischen Leben das Maß der Sitte gaben, und immer von Neuem
wieder in den verschiedenen Perioden der' griechischen Geschichte ihren bildenden
Einfluß bewahrten. Diesen Gedanken malerisch darzustellen, ist von realistischen
Gesichtspunkten aus betrachtet eine Unmöglichkeit, aber die symbolische Form, in
welcher Kaulbach bei aller Wahrheit und Schönheit der menschlichen Gestalten
seine Culturgeschichte darstellt, giebt ihm allerdings große Freiheit.

Die Sage berichtet, daß Homeros an den Küsten entlang fuhr, und überall
seiue Gesänge ertönen ließ. Aber wie'er hier auf der Spitze des Schiffes steht,
wie die Dichter, die Weisen, die Sänger sich zu ihm drängen, und eine auf¬
merksame Zuhörerschaft bilden, wie in ihrem Rücken schon die Tempel empor¬
steigen, wie überhaupt vorhomerische und nachhomerische Cultur sich mischen, das
ist nicht historische Realität. Der Künstler hat die Entwickelungsstufen eines
umfassenden cülturgeschichtlichen Processes, welche zeitlich aus einander liegen,
räumlich genähert, und diese räumliche Verbindung zum symbolische" Ausdruck


Gesänge verbreiteten, gewidmet, theils vollendete, theils der Vollendung nahe
Gebände dorischen Styls. An dem zweiten Tempel im Hintergrunde sind die
Werkleute eben beschäftigt, das Giebelfeld aufzurichten.

Im Mittelgrunde links hat sich am Strande ein jugendlicher Held mit seinem
Wasserträger hingelagert, ebenfalls dem Worte des Dichters horchend, und hinter
ihm nmtanzen bewaffnete Jünglinge einen Altar, von welchem der Opferdampf
emporsteigt. Sie schwingen die Schilde und die Schwerter in begeistertem Ent¬
zücken, und alle ihre Bewegungen zeigen die Lust und die Spannkraft der
der Jugend. Zur Seite liegen Opfergefäße, Stierköpfe und andere Ueberbleibsel
der geschlachteten Thiere. Ans den Wolken aber lassen sich Zeus und Here wohl¬
gefällig in den Rauch des Opfers hernieder. In ihrem Gefolge befinden sich
Pallas, Artemis, Hermes und andere Götter, welche die bildenden Krssfte des
menschlichen Geistes in vergötterter Gestaltung darstellen, und von dem Opfer¬
dampfe, der, einer Säule gleich emporsteigend, den Vater der Götter mit seiner
Gemahlin trägt, bis- zu den Tempeln, welche jenseits entstehen, hat Iris den
leuchtenden Bogen ihrer Brücke gespannt, auf dem die Unsterblichen hinüberziehen
in ihre neuen Wohnungen auf der Erde. Eros und die Grazien, welche jenen,
den über ihnen schwebenden Knaben, haschen wollen, eröffnen den Zug, Helios
folgt mit den Muse», deren Gruppe die heitere Thalia beschließt. Unter dem
Bogen hindurch erblicken wir in der Ferne die vorher schon erwähnten Küsten von
Salamis, die Stelle ruhmreichster Bewährung des griechischen Volkes, in seiner
nationalen Kraft und Selbstständigkeit.

Die Schilderung des Bildes lehrt, daß bei aller Mannichfaltigkeit des In¬
halts die Einheit der großartigen Idee durchgesetzt ist, so weit die allegorische
Tendenz des Werkes dieselbe gestattet. Die Homerischen Dichtungen sind es,
welche dem griechischen Glauben seine Götter, der griechischen Kunst ihre Ideale,
dem griechischen Leben das Maß der Sitte gaben, und immer von Neuem
wieder in den verschiedenen Perioden der' griechischen Geschichte ihren bildenden
Einfluß bewahrten. Diesen Gedanken malerisch darzustellen, ist von realistischen
Gesichtspunkten aus betrachtet eine Unmöglichkeit, aber die symbolische Form, in
welcher Kaulbach bei aller Wahrheit und Schönheit der menschlichen Gestalten
seine Culturgeschichte darstellt, giebt ihm allerdings große Freiheit.

Die Sage berichtet, daß Homeros an den Küsten entlang fuhr, und überall
seiue Gesänge ertönen ließ. Aber wie'er hier auf der Spitze des Schiffes steht,
wie die Dichter, die Weisen, die Sänger sich zu ihm drängen, und eine auf¬
merksame Zuhörerschaft bilden, wie in ihrem Rücken schon die Tempel empor¬
steigen, wie überhaupt vorhomerische und nachhomerische Cultur sich mischen, das
ist nicht historische Realität. Der Künstler hat die Entwickelungsstufen eines
umfassenden cülturgeschichtlichen Processes, welche zeitlich aus einander liegen,
räumlich genähert, und diese räumliche Verbindung zum symbolische» Ausdruck


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/162>, abgerufen am 24.07.2024.