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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Thaten der olympischen Götter, dem Heidenthum des Achilleus und Jlions Unter¬
gang dichterische Kunde bringt. Hinter ihm sitzt, das Ruder lässig 'in der Hand,
die kumäische Sibylle, jenes weissagende Weib, das zugleich als Erfinderin des
Versmaßes verehrt wurde. Ihr unter Arm stutzt das träumerisch sinnende Haupt:
sie ist in innerer Betrachtung der fernsten Zukunft versunken. Hinter dem Schiffe
-- im Bilde weiter nach links -- steigt Thetis aus dem Meere. Najaden haben
sie emporgehoben, Eine perlenverziertes Diadem bezeichnet sie als Königin des
Meeres. Die schöne und zarte Fülle ihrer Glieder umgeben züchtig weite Ge¬
wänder, und in den Armen hält sie die Urne mit der Asche ihres Sohnes Achil¬
leus. So schwebt sie dem Schiffe nach und lauscht mit thränenfeuchten Auge
auf die Worte des Dichters, die in preisender Feier ihrem herrlichen Sohn ge¬
widmet sind. Der klagende Ausdruck ihres ungemein edel gehaltenen Antlitzes
zeigt Milde der Seele und Innigkeit des Gefühls. Die Gruppe der Najaden
überhaupt gehört wieder zu dem Anmnthvollsten, wasKaulbach's Phantasie ge¬
schaffen. Die leicht und frei wie schwebend emporgetragene Thetis, rings um sie
her die Begleiterinnen, deren Häupter mit Kränzen von Schilf und Blumen,
Muscheln und Korallen geschmückt sind, deren nackte Glieder den schwellenden
Reiz weicher Rundung mit dem reinsten Maß der Form verbinden, in deren
Gruppirung edle Ruhe der Gestalten mit bald leicht, bald heftig belebter Be¬
wegung wechselt, bilden einen unbeschreiblich lieblichen Gegensatz zu dem strengen
Ernste der Sibylle. Wie schön sind die beiden einander umschlingenden Najaden,
von denen die eine ruhig dasteht, während die andere den Körper auf den
Wellen schaukeln läßt! Wie ungemein wahr das reizende Gliederspiel jener
Dritten, welche von einem der beiden dicht am Stranderuderuden Schwäne be¬
gehrlich angegriffen wird! Die Zeichnung ist meisterhaft, eine Vollendung der
Form, die der poetische Gedanke sinnig belebt.

Wir wenden uns zur Küste. Hier sitzt dicht am Strande und ganz im Vor¬
grunde der Held Alkäos, an seiner Seite den jugendlichen Freund. Er hat so
eben dem Bakchos geopfert; noch hält er die Schale in der Hand, und im Arm
des Knaben, dessen Haupt ein Kranz von Weinlaub umgiebt, bemerken wir den
Weinkrug. Schwert und Thyrsusstab liegen neben der Gruppe am Boden.
Alkäos pflegte dem Ares, der Aphrodite und dem Bcckchvs zu opfern: Krieg,
sinnliche Liebe und Wem waren die Genien seines Lebens. Jetzt lauscht auch
er mit seinem Knaben dem wunderbaren Gesänge, der eine edlere Götterver¬
ehrung verkündigt. Beide Gestalten erinnern uns an die vollendetsten Werke
antiker Plastik. Rechts von ihnen ein Baumeister, der den, Grundriß der Pro¬
pyläen unterm Arme trägt, und ein Weiser mit den Gesetztafeln des Solon,
auch sie durch den homerischen Gesang zu erhöhter Stimmung angeregt. Ganz
rechts endlich kauert der alte Prophet und Wahrsager Bakis, in der Linken den
Stab mit der Enle. Dem Beschauer des Bildes den Rücken wendend, schreibt


Thaten der olympischen Götter, dem Heidenthum des Achilleus und Jlions Unter¬
gang dichterische Kunde bringt. Hinter ihm sitzt, das Ruder lässig 'in der Hand,
die kumäische Sibylle, jenes weissagende Weib, das zugleich als Erfinderin des
Versmaßes verehrt wurde. Ihr unter Arm stutzt das träumerisch sinnende Haupt:
sie ist in innerer Betrachtung der fernsten Zukunft versunken. Hinter dem Schiffe
— im Bilde weiter nach links — steigt Thetis aus dem Meere. Najaden haben
sie emporgehoben, Eine perlenverziertes Diadem bezeichnet sie als Königin des
Meeres. Die schöne und zarte Fülle ihrer Glieder umgeben züchtig weite Ge¬
wänder, und in den Armen hält sie die Urne mit der Asche ihres Sohnes Achil¬
leus. So schwebt sie dem Schiffe nach und lauscht mit thränenfeuchten Auge
auf die Worte des Dichters, die in preisender Feier ihrem herrlichen Sohn ge¬
widmet sind. Der klagende Ausdruck ihres ungemein edel gehaltenen Antlitzes
zeigt Milde der Seele und Innigkeit des Gefühls. Die Gruppe der Najaden
überhaupt gehört wieder zu dem Anmnthvollsten, wasKaulbach's Phantasie ge¬
schaffen. Die leicht und frei wie schwebend emporgetragene Thetis, rings um sie
her die Begleiterinnen, deren Häupter mit Kränzen von Schilf und Blumen,
Muscheln und Korallen geschmückt sind, deren nackte Glieder den schwellenden
Reiz weicher Rundung mit dem reinsten Maß der Form verbinden, in deren
Gruppirung edle Ruhe der Gestalten mit bald leicht, bald heftig belebter Be¬
wegung wechselt, bilden einen unbeschreiblich lieblichen Gegensatz zu dem strengen
Ernste der Sibylle. Wie schön sind die beiden einander umschlingenden Najaden,
von denen die eine ruhig dasteht, während die andere den Körper auf den
Wellen schaukeln läßt! Wie ungemein wahr das reizende Gliederspiel jener
Dritten, welche von einem der beiden dicht am Stranderuderuden Schwäne be¬
gehrlich angegriffen wird! Die Zeichnung ist meisterhaft, eine Vollendung der
Form, die der poetische Gedanke sinnig belebt.

Wir wenden uns zur Küste. Hier sitzt dicht am Strande und ganz im Vor¬
grunde der Held Alkäos, an seiner Seite den jugendlichen Freund. Er hat so
eben dem Bakchos geopfert; noch hält er die Schale in der Hand, und im Arm
des Knaben, dessen Haupt ein Kranz von Weinlaub umgiebt, bemerken wir den
Weinkrug. Schwert und Thyrsusstab liegen neben der Gruppe am Boden.
Alkäos pflegte dem Ares, der Aphrodite und dem Bcckchvs zu opfern: Krieg,
sinnliche Liebe und Wem waren die Genien seines Lebens. Jetzt lauscht auch
er mit seinem Knaben dem wunderbaren Gesänge, der eine edlere Götterver¬
ehrung verkündigt. Beide Gestalten erinnern uns an die vollendetsten Werke
antiker Plastik. Rechts von ihnen ein Baumeister, der den, Grundriß der Pro¬
pyläen unterm Arme trägt, und ein Weiser mit den Gesetztafeln des Solon,
auch sie durch den homerischen Gesang zu erhöhter Stimmung angeregt. Ganz
rechts endlich kauert der alte Prophet und Wahrsager Bakis, in der Linken den
Stab mit der Enle. Dem Beschauer des Bildes den Rücken wendend, schreibt


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[0160] Thaten der olympischen Götter, dem Heidenthum des Achilleus und Jlions Unter¬ gang dichterische Kunde bringt. Hinter ihm sitzt, das Ruder lässig 'in der Hand, die kumäische Sibylle, jenes weissagende Weib, das zugleich als Erfinderin des Versmaßes verehrt wurde. Ihr unter Arm stutzt das träumerisch sinnende Haupt: sie ist in innerer Betrachtung der fernsten Zukunft versunken. Hinter dem Schiffe — im Bilde weiter nach links — steigt Thetis aus dem Meere. Najaden haben sie emporgehoben, Eine perlenverziertes Diadem bezeichnet sie als Königin des Meeres. Die schöne und zarte Fülle ihrer Glieder umgeben züchtig weite Ge¬ wänder, und in den Armen hält sie die Urne mit der Asche ihres Sohnes Achil¬ leus. So schwebt sie dem Schiffe nach und lauscht mit thränenfeuchten Auge auf die Worte des Dichters, die in preisender Feier ihrem herrlichen Sohn ge¬ widmet sind. Der klagende Ausdruck ihres ungemein edel gehaltenen Antlitzes zeigt Milde der Seele und Innigkeit des Gefühls. Die Gruppe der Najaden überhaupt gehört wieder zu dem Anmnthvollsten, wasKaulbach's Phantasie ge¬ schaffen. Die leicht und frei wie schwebend emporgetragene Thetis, rings um sie her die Begleiterinnen, deren Häupter mit Kränzen von Schilf und Blumen, Muscheln und Korallen geschmückt sind, deren nackte Glieder den schwellenden Reiz weicher Rundung mit dem reinsten Maß der Form verbinden, in deren Gruppirung edle Ruhe der Gestalten mit bald leicht, bald heftig belebter Be¬ wegung wechselt, bilden einen unbeschreiblich lieblichen Gegensatz zu dem strengen Ernste der Sibylle. Wie schön sind die beiden einander umschlingenden Najaden, von denen die eine ruhig dasteht, während die andere den Körper auf den Wellen schaukeln läßt! Wie ungemein wahr das reizende Gliederspiel jener Dritten, welche von einem der beiden dicht am Stranderuderuden Schwäne be¬ gehrlich angegriffen wird! Die Zeichnung ist meisterhaft, eine Vollendung der Form, die der poetische Gedanke sinnig belebt. Wir wenden uns zur Küste. Hier sitzt dicht am Strande und ganz im Vor¬ grunde der Held Alkäos, an seiner Seite den jugendlichen Freund. Er hat so eben dem Bakchos geopfert; noch hält er die Schale in der Hand, und im Arm des Knaben, dessen Haupt ein Kranz von Weinlaub umgiebt, bemerken wir den Weinkrug. Schwert und Thyrsusstab liegen neben der Gruppe am Boden. Alkäos pflegte dem Ares, der Aphrodite und dem Bcckchvs zu opfern: Krieg, sinnliche Liebe und Wem waren die Genien seines Lebens. Jetzt lauscht auch er mit seinem Knaben dem wunderbaren Gesänge, der eine edlere Götterver¬ ehrung verkündigt. Beide Gestalten erinnern uns an die vollendetsten Werke antiker Plastik. Rechts von ihnen ein Baumeister, der den, Grundriß der Pro¬ pyläen unterm Arme trägt, und ein Weiser mit den Gesetztafeln des Solon, auch sie durch den homerischen Gesang zu erhöhter Stimmung angeregt. Ganz rechts endlich kauert der alte Prophet und Wahrsager Bakis, in der Linken den Stab mit der Enle. Dem Beschauer des Bildes den Rücken wendend, schreibt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/160>, abgerufen am 04.07.2024.