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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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hohlen Ausdruck verliehen; er hat im Gegentheil so ziemlich jede lyrische Manier,
die seit Uhland bei uns im Gange gewesen ist, angewendet. Er giebt uns Uhland'sche
Balladen und Frühlingslieder, Fouauesche und Ernst Schütze'sche Stanzen, Stol-
berg'sche Ritterbilder in jeuer durch die Düsseldorfer und Münchener Maler ver¬
breiteten leidigen Manier, die eigentlich nicht an das mittelalterliche Ritterthum,
sondern an das komödienhafte Wesen des jungen Studenten erinnert, der nach
der ersten überwundenen Pfeife das stolze Gefühl hat, ein Held und ein Sohn
des deutschen Vaterlands zu sein. Er giebt stille Lieder, nach Schwab und
Kerner, Arabesken nach Reinick, Barcarolen nach Rückert, wir stoßen auf Remi¬
niscenzen an den Handschuh :c., ja selbst Herwegh hat im Neiterlied sein Kontin¬
gent stellen müssen: der Rhythums desselben ist vollständig beibehalten, nur ist
der Refrain: "Zu sterben, zu sterben!" in den zahmeren: "Wir reiten, wir rei¬
ten!" abgeschwächt. Die allgemeine Form des Gedichtes erinnert, aber freilich
nur sehr leise, an Walter Scott, dessen bekanntes Ave Maria wir auch wieder
treffen. Aber wenn der englische Dichter seine mittelalterlichen Bilder, auch wo
er der Geschichte untreu wird, mit einer so derben und gesunden Realität aus¬
stattet, daß wir uns immer unter lebendigen Menschen fühlen, so giebt uns Red¬
witz Nichts als die blasse Abstraction; seine Personen sind marklose Tendenz-
fignrcn, und die Ereignisse, die er darstellt, nur von symbolischer Bedeutung.

Auch der Hautgout des Pietismus, der sich über dieses Ragout aus allen
möglichen Ingredienzien verbreitet, ist nichts Neues; es ist der alte Fouquö, wie
er leibt und lebt, nnr mit etwas weniger Plastik und Natürlichkeit und etwas
mehr Bildung und Geschmack, wie es der Unterschied der Zeiten mit sich
bringt. --

Ein junger Edelmann aus den Zeiten der Kreuzzüge, Walter, spricht zuerst
in zierlichen Quatrcnns seine christlichen Gesinnungen aus. Er malt sich das Ideal
seiner künftigen Geliebten. Sie darf nicht reizend sein, nur friedlich, gläubig und
fromm. Er ist auch überzeugt, daß man kein Held sein kaun, wenn man ein
Ungläubiger ist:


Und könnt' ich, wie der Herrgott kann,
Ich ließ' ihm alle Kraft vergehn,
Im stärksten Streite, Mann an Mann,
Er müßt' mir knien und Gnade flehn. --

In einer andern Gegend Deutschlands lebt ein eben so sittliches und frommes
Edelfräulein, Amarant!), die viel betet, viel Almosen austheilt, und uns ebenfalls
mit einer Reihe von Geständnissen einer schonen Seele bereichert. Sie denkt
unter Anderm über ihre künftigen Mutterpflichten nach:
'


Mit Sünde tritt das Kind ins Leben,
Es wäscht sie ab des Heilands Blut,
Doch neue Makel dran zu kleben,
Der Feind des Heilands nimmer ruht.

hohlen Ausdruck verliehen; er hat im Gegentheil so ziemlich jede lyrische Manier,
die seit Uhland bei uns im Gange gewesen ist, angewendet. Er giebt uns Uhland'sche
Balladen und Frühlingslieder, Fouauesche und Ernst Schütze'sche Stanzen, Stol-
berg'sche Ritterbilder in jeuer durch die Düsseldorfer und Münchener Maler ver¬
breiteten leidigen Manier, die eigentlich nicht an das mittelalterliche Ritterthum,
sondern an das komödienhafte Wesen des jungen Studenten erinnert, der nach
der ersten überwundenen Pfeife das stolze Gefühl hat, ein Held und ein Sohn
des deutschen Vaterlands zu sein. Er giebt stille Lieder, nach Schwab und
Kerner, Arabesken nach Reinick, Barcarolen nach Rückert, wir stoßen auf Remi¬
niscenzen an den Handschuh :c., ja selbst Herwegh hat im Neiterlied sein Kontin¬
gent stellen müssen: der Rhythums desselben ist vollständig beibehalten, nur ist
der Refrain: „Zu sterben, zu sterben!" in den zahmeren: „Wir reiten, wir rei¬
ten!" abgeschwächt. Die allgemeine Form des Gedichtes erinnert, aber freilich
nur sehr leise, an Walter Scott, dessen bekanntes Ave Maria wir auch wieder
treffen. Aber wenn der englische Dichter seine mittelalterlichen Bilder, auch wo
er der Geschichte untreu wird, mit einer so derben und gesunden Realität aus¬
stattet, daß wir uns immer unter lebendigen Menschen fühlen, so giebt uns Red¬
witz Nichts als die blasse Abstraction; seine Personen sind marklose Tendenz-
fignrcn, und die Ereignisse, die er darstellt, nur von symbolischer Bedeutung.

Auch der Hautgout des Pietismus, der sich über dieses Ragout aus allen
möglichen Ingredienzien verbreitet, ist nichts Neues; es ist der alte Fouquö, wie
er leibt und lebt, nnr mit etwas weniger Plastik und Natürlichkeit und etwas
mehr Bildung und Geschmack, wie es der Unterschied der Zeiten mit sich
bringt. —

Ein junger Edelmann aus den Zeiten der Kreuzzüge, Walter, spricht zuerst
in zierlichen Quatrcnns seine christlichen Gesinnungen aus. Er malt sich das Ideal
seiner künftigen Geliebten. Sie darf nicht reizend sein, nur friedlich, gläubig und
fromm. Er ist auch überzeugt, daß man kein Held sein kaun, wenn man ein
Ungläubiger ist:


Und könnt' ich, wie der Herrgott kann,
Ich ließ' ihm alle Kraft vergehn,
Im stärksten Streite, Mann an Mann,
Er müßt' mir knien und Gnade flehn. —

In einer andern Gegend Deutschlands lebt ein eben so sittliches und frommes
Edelfräulein, Amarant!), die viel betet, viel Almosen austheilt, und uns ebenfalls
mit einer Reihe von Geständnissen einer schonen Seele bereichert. Sie denkt
unter Anderm über ihre künftigen Mutterpflichten nach:
'


Mit Sünde tritt das Kind ins Leben,
Es wäscht sie ab des Heilands Blut,
Doch neue Makel dran zu kleben,
Der Feind des Heilands nimmer ruht.

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[0016] hohlen Ausdruck verliehen; er hat im Gegentheil so ziemlich jede lyrische Manier, die seit Uhland bei uns im Gange gewesen ist, angewendet. Er giebt uns Uhland'sche Balladen und Frühlingslieder, Fouauesche und Ernst Schütze'sche Stanzen, Stol- berg'sche Ritterbilder in jeuer durch die Düsseldorfer und Münchener Maler ver¬ breiteten leidigen Manier, die eigentlich nicht an das mittelalterliche Ritterthum, sondern an das komödienhafte Wesen des jungen Studenten erinnert, der nach der ersten überwundenen Pfeife das stolze Gefühl hat, ein Held und ein Sohn des deutschen Vaterlands zu sein. Er giebt stille Lieder, nach Schwab und Kerner, Arabesken nach Reinick, Barcarolen nach Rückert, wir stoßen auf Remi¬ niscenzen an den Handschuh :c., ja selbst Herwegh hat im Neiterlied sein Kontin¬ gent stellen müssen: der Rhythums desselben ist vollständig beibehalten, nur ist der Refrain: „Zu sterben, zu sterben!" in den zahmeren: „Wir reiten, wir rei¬ ten!" abgeschwächt. Die allgemeine Form des Gedichtes erinnert, aber freilich nur sehr leise, an Walter Scott, dessen bekanntes Ave Maria wir auch wieder treffen. Aber wenn der englische Dichter seine mittelalterlichen Bilder, auch wo er der Geschichte untreu wird, mit einer so derben und gesunden Realität aus¬ stattet, daß wir uns immer unter lebendigen Menschen fühlen, so giebt uns Red¬ witz Nichts als die blasse Abstraction; seine Personen sind marklose Tendenz- fignrcn, und die Ereignisse, die er darstellt, nur von symbolischer Bedeutung. Auch der Hautgout des Pietismus, der sich über dieses Ragout aus allen möglichen Ingredienzien verbreitet, ist nichts Neues; es ist der alte Fouquö, wie er leibt und lebt, nnr mit etwas weniger Plastik und Natürlichkeit und etwas mehr Bildung und Geschmack, wie es der Unterschied der Zeiten mit sich bringt. — Ein junger Edelmann aus den Zeiten der Kreuzzüge, Walter, spricht zuerst in zierlichen Quatrcnns seine christlichen Gesinnungen aus. Er malt sich das Ideal seiner künftigen Geliebten. Sie darf nicht reizend sein, nur friedlich, gläubig und fromm. Er ist auch überzeugt, daß man kein Held sein kaun, wenn man ein Ungläubiger ist: Und könnt' ich, wie der Herrgott kann, Ich ließ' ihm alle Kraft vergehn, Im stärksten Streite, Mann an Mann, Er müßt' mir knien und Gnade flehn. — In einer andern Gegend Deutschlands lebt ein eben so sittliches und frommes Edelfräulein, Amarant!), die viel betet, viel Almosen austheilt, und uns ebenfalls mit einer Reihe von Geständnissen einer schonen Seele bereichert. Sie denkt unter Anderm über ihre künftigen Mutterpflichten nach: ' Mit Sünde tritt das Kind ins Leben, Es wäscht sie ab des Heilands Blut, Doch neue Makel dran zu kleben, Der Feind des Heilands nimmer ruht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/16>, abgerufen am 24.07.2024.