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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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daß sie dem klaren Verstand der christlichen-Muse das Amt überträgt, mit dem
flammenden Chernbschwert der Nüchternheit die dämonischen Phantasiegebilde der
Hegelianischen bacchischen Begeisterung von dem Paradiese der k. k. Unschuld ab--
znwehren.

Wenn auch die Rechnung, welche die Verleger von Gedichten bei ihren Auf¬
lagen anwenden, nicht immer mit dem gewöhnlichen Zahlensystem übereinstimmt, so
ist doch an der ungeheuren Verbreitung dieses Gedichts uicht zu zweifeln. Dieser
Erfolg läßt sich nur mit demjenigen vergleichen, den vor zehn oder elf Jahren die
"Lieder eines Lebendigen" davon trugen. Damals war die herrschende Stimmung
kriegerisch und revolntionair, jetzt ist sie ergeben und milde verklärt. Es ist nicht
blos die politisch-religiöse Gesinnung, sondern namentlich die sanften Züge dieser
blonden, blauäugigen Muse, was die Herzen der frommen Seelen gewonnen hat.
Es sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe reactivnairer Gedichtsammlungen
erschienen, unter denen einzelne, z. B. die Gedichte von Strachwitz, sich an poeti¬
schem Werth wenigstens mit dem Amaranth messen können; aber sie haben keinen so gro¬
ßen Erfolg gehabt, denn sie waren herausfordernd, ungestüm, kampfbegierig, und das
Publicum, so sehr es von der Süßigkeit der bestehenden Verhältnisse durchdrungen
ist, hat doch keine Lust, sich deshalb großen Anstrengungen zu unterziehen; es will
fromm und sanft sein, es will den Kampf gegen die Ungeheuer der Revolution
den Regierungen überlassen und sich in stiller Unschuld an den Wonnen eines
neumodischen ritterlichen Schäfcrlebens weiden, ohne daran erinnert zu werden, daß
es draußen noch immer ungestüm, verworren nud unzweckmäßig zugeht.

Eben so war es damals mit Georg Herwegh gewesen. Seine Lieder waren
zwar sehr liberal, etwas republikanisch ze., aber dieser dogmatische Inhalt war
doch das Unbedeutendste an ihnen. Was die Jugend elektrisirte, war dieser un-,
gestüme Kampfesdrang, der nach irgend einem beliebigen Gegenstande suchte, dem
es einerlei war, ob er sich gegen den Schwager von Nußland, oder gegen das
Frankenkind, oder gegen den Papst in Rom auflohte, wenn er sich nur über¬
haupt austoben konnte. Der Refrain der sämmtlichen Lieder eines Lebendigen
war: Wir haben lang genug geliebt, wir wollen endlich hassen. Nach drei Jah¬
ren unruhiger Anstrengung ist jetzt das umgekehrte Gefühl die, Modesehusucht
geworden.

Wie sehr auch Herwegh seiner Zeit überschätzt worden ist, so darf man'doch
jetzt bei ruhiger Ueberlegung seinen Werth nicht zu gering anschlagen. Er hat
einzelne Strophen gefunden, in denen die Stimmung der Zeit den höchsten poe¬
tischen Ausdruck gewann, dessen sie überhaupt sähig war, und er hat eine wenig¬
stens für Deutschland noch neue Form der Lyrik zu Ansehen gebracht, die als
eine Bereicherung der Poesie betrachtet werden muß.

Ein solches Verdienst kann Redwitz nicht in Anspruch nehmen. Er hat der
Poesie keine neuen Formen gewonnen, er hat der Stimmung keinen poetisch er-


daß sie dem klaren Verstand der christlichen-Muse das Amt überträgt, mit dem
flammenden Chernbschwert der Nüchternheit die dämonischen Phantasiegebilde der
Hegelianischen bacchischen Begeisterung von dem Paradiese der k. k. Unschuld ab--
znwehren.

Wenn auch die Rechnung, welche die Verleger von Gedichten bei ihren Auf¬
lagen anwenden, nicht immer mit dem gewöhnlichen Zahlensystem übereinstimmt, so
ist doch an der ungeheuren Verbreitung dieses Gedichts uicht zu zweifeln. Dieser
Erfolg läßt sich nur mit demjenigen vergleichen, den vor zehn oder elf Jahren die
„Lieder eines Lebendigen" davon trugen. Damals war die herrschende Stimmung
kriegerisch und revolntionair, jetzt ist sie ergeben und milde verklärt. Es ist nicht
blos die politisch-religiöse Gesinnung, sondern namentlich die sanften Züge dieser
blonden, blauäugigen Muse, was die Herzen der frommen Seelen gewonnen hat.
Es sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe reactivnairer Gedichtsammlungen
erschienen, unter denen einzelne, z. B. die Gedichte von Strachwitz, sich an poeti¬
schem Werth wenigstens mit dem Amaranth messen können; aber sie haben keinen so gro¬
ßen Erfolg gehabt, denn sie waren herausfordernd, ungestüm, kampfbegierig, und das
Publicum, so sehr es von der Süßigkeit der bestehenden Verhältnisse durchdrungen
ist, hat doch keine Lust, sich deshalb großen Anstrengungen zu unterziehen; es will
fromm und sanft sein, es will den Kampf gegen die Ungeheuer der Revolution
den Regierungen überlassen und sich in stiller Unschuld an den Wonnen eines
neumodischen ritterlichen Schäfcrlebens weiden, ohne daran erinnert zu werden, daß
es draußen noch immer ungestüm, verworren nud unzweckmäßig zugeht.

Eben so war es damals mit Georg Herwegh gewesen. Seine Lieder waren
zwar sehr liberal, etwas republikanisch ze., aber dieser dogmatische Inhalt war
doch das Unbedeutendste an ihnen. Was die Jugend elektrisirte, war dieser un-,
gestüme Kampfesdrang, der nach irgend einem beliebigen Gegenstande suchte, dem
es einerlei war, ob er sich gegen den Schwager von Nußland, oder gegen das
Frankenkind, oder gegen den Papst in Rom auflohte, wenn er sich nur über¬
haupt austoben konnte. Der Refrain der sämmtlichen Lieder eines Lebendigen
war: Wir haben lang genug geliebt, wir wollen endlich hassen. Nach drei Jah¬
ren unruhiger Anstrengung ist jetzt das umgekehrte Gefühl die, Modesehusucht
geworden.

Wie sehr auch Herwegh seiner Zeit überschätzt worden ist, so darf man'doch
jetzt bei ruhiger Ueberlegung seinen Werth nicht zu gering anschlagen. Er hat
einzelne Strophen gefunden, in denen die Stimmung der Zeit den höchsten poe¬
tischen Ausdruck gewann, dessen sie überhaupt sähig war, und er hat eine wenig¬
stens für Deutschland noch neue Form der Lyrik zu Ansehen gebracht, die als
eine Bereicherung der Poesie betrachtet werden muß.

Ein solches Verdienst kann Redwitz nicht in Anspruch nehmen. Er hat der
Poesie keine neuen Formen gewonnen, er hat der Stimmung keinen poetisch er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/15>, abgerufen am 24.07.2024.