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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Ist so nachgewiesen, daß eine ertragvolle Produktion eine zahlreiche Be¬
völkerung voraussetzt, daß aber auch die Vermehrung der Bevölkerung eine, immer
vermehrte Production eines Landes hervorruft und verlangt, ist serner unzweifel¬
haft, daß jede productive Arbeit eiuen Werth giebt, und zwar einen höhern, als
welcher zu ihrer Hervorbringung consumirt worden ist, und ist endlich nicht zu
bestreiten, daß jeder Werth im Besitze der Person ein Product der Arbeit ist,
so vermag man nicht zu begreifen, wie Uebervölkerung und Ueberproduction Ur¬
sachen eines Nothstandes sein sollen. Wird doch damit im Grunde nichts Anderes
gesagt, als Reichthum an Kraft und Werth sei der Grund der Armuth eines
Volkes.

Und doch hat die weit verbreitete Klage, daß wir an Uebervölkerung leiden,
ihre Gründe. Der erste ist der nicht wegzuläugnende häufige Nothstand selbst, und
der zweite, daß Niemand weiß, wie ihm abzuhelfen.

Leidet der Mensch an einer Krankheit, so sucht er, eifriger beinahe als nach
dem Mittel zur Genesung, nach der Ursache des Schmerzes. Das Auffinden
der Veranlassung dünkt ihm eine Erleichterung. Unter mehreren Ursachen, die
er grübelnd findet, wird er der einen entschiedenen Vorzug geben, welche ihn
selbst jeder Schuld an seinem Leiden enthebt, oder diese doch so gering als möglich
macht. Erkennt der verständige Arzt den wahren Grund des Uebels, so wird
er ihn dem Kranken in der Regel mittheilen, um ihn gegen die Rückkehr des
Leidens, zu schützen.,

Wie mit dem kranken Menschen, ist es mit dem leidenden Theile der arbei¬
tenden Klassen. Daß manche Theile von diesen sehr krank sind, wer wollte es
läugnen? Suchen sie nach der Ursache ihrer Leiden, was liegt dann dem Arbeiter,
welcher aus seiner Stelle durch einen geschicktem seines gleichen verdrängt worden,
dem Fabrikanten, welcher durch seinen der Zeit folgenden Nachbar überflügelt
worden, dom Zunstmann*) vor Allem in seinem gemüthlichen Mvrgenrocke, welchem
der unprivilegirte, aber auch unverrostete und thätige Arbeitsmann Concurrenz
macht, was liegt allen diesen näher, als jede Ursache ihrer Leiden in der von
ihnen unverschuldeten Thatsache zu finden, daß neben ihnen noch Andere leben,
welche arbeiten, "in der Uebervölkerung," und daß noch Andere arbeiten, welche
leben "in der Ueberproduction."

Die Aerzte, welche dem Leidenden diese falsche Ansicht nehmen sollten, find
bei uns vor Allem die zur Regierung Berufenen, mit der Vertretung der höchsten
Interessen des Volkes Betrauten.

Freilich ist Thorheit zu klagen, daß unsre Staatsmänner noch keine Mittel auf¬
fanden, allem Unglück in ihren Staaten, aller Noth unter den arbeitenden Klassen zu
steuern. Die Menschen, die regierenden, wie die regierten, sind nur Menschen,



Z. B. im Königreich Sachsen.
GrenMen. II. -I8S2.18

Ist so nachgewiesen, daß eine ertragvolle Produktion eine zahlreiche Be¬
völkerung voraussetzt, daß aber auch die Vermehrung der Bevölkerung eine, immer
vermehrte Production eines Landes hervorruft und verlangt, ist serner unzweifel¬
haft, daß jede productive Arbeit eiuen Werth giebt, und zwar einen höhern, als
welcher zu ihrer Hervorbringung consumirt worden ist, und ist endlich nicht zu
bestreiten, daß jeder Werth im Besitze der Person ein Product der Arbeit ist,
so vermag man nicht zu begreifen, wie Uebervölkerung und Ueberproduction Ur¬
sachen eines Nothstandes sein sollen. Wird doch damit im Grunde nichts Anderes
gesagt, als Reichthum an Kraft und Werth sei der Grund der Armuth eines
Volkes.

Und doch hat die weit verbreitete Klage, daß wir an Uebervölkerung leiden,
ihre Gründe. Der erste ist der nicht wegzuläugnende häufige Nothstand selbst, und
der zweite, daß Niemand weiß, wie ihm abzuhelfen.

Leidet der Mensch an einer Krankheit, so sucht er, eifriger beinahe als nach
dem Mittel zur Genesung, nach der Ursache des Schmerzes. Das Auffinden
der Veranlassung dünkt ihm eine Erleichterung. Unter mehreren Ursachen, die
er grübelnd findet, wird er der einen entschiedenen Vorzug geben, welche ihn
selbst jeder Schuld an seinem Leiden enthebt, oder diese doch so gering als möglich
macht. Erkennt der verständige Arzt den wahren Grund des Uebels, so wird
er ihn dem Kranken in der Regel mittheilen, um ihn gegen die Rückkehr des
Leidens, zu schützen.,

Wie mit dem kranken Menschen, ist es mit dem leidenden Theile der arbei¬
tenden Klassen. Daß manche Theile von diesen sehr krank sind, wer wollte es
läugnen? Suchen sie nach der Ursache ihrer Leiden, was liegt dann dem Arbeiter,
welcher aus seiner Stelle durch einen geschicktem seines gleichen verdrängt worden,
dem Fabrikanten, welcher durch seinen der Zeit folgenden Nachbar überflügelt
worden, dom Zunstmann*) vor Allem in seinem gemüthlichen Mvrgenrocke, welchem
der unprivilegirte, aber auch unverrostete und thätige Arbeitsmann Concurrenz
macht, was liegt allen diesen näher, als jede Ursache ihrer Leiden in der von
ihnen unverschuldeten Thatsache zu finden, daß neben ihnen noch Andere leben,
welche arbeiten, „in der Uebervölkerung," und daß noch Andere arbeiten, welche
leben „in der Ueberproduction."

Die Aerzte, welche dem Leidenden diese falsche Ansicht nehmen sollten, find
bei uns vor Allem die zur Regierung Berufenen, mit der Vertretung der höchsten
Interessen des Volkes Betrauten.

Freilich ist Thorheit zu klagen, daß unsre Staatsmänner noch keine Mittel auf¬
fanden, allem Unglück in ihren Staaten, aller Noth unter den arbeitenden Klassen zu
steuern. Die Menschen, die regierenden, wie die regierten, sind nur Menschen,



Z. B. im Königreich Sachsen.
GrenMen. II. -I8S2.18
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[0147] Ist so nachgewiesen, daß eine ertragvolle Produktion eine zahlreiche Be¬ völkerung voraussetzt, daß aber auch die Vermehrung der Bevölkerung eine, immer vermehrte Production eines Landes hervorruft und verlangt, ist serner unzweifel¬ haft, daß jede productive Arbeit eiuen Werth giebt, und zwar einen höhern, als welcher zu ihrer Hervorbringung consumirt worden ist, und ist endlich nicht zu bestreiten, daß jeder Werth im Besitze der Person ein Product der Arbeit ist, so vermag man nicht zu begreifen, wie Uebervölkerung und Ueberproduction Ur¬ sachen eines Nothstandes sein sollen. Wird doch damit im Grunde nichts Anderes gesagt, als Reichthum an Kraft und Werth sei der Grund der Armuth eines Volkes. Und doch hat die weit verbreitete Klage, daß wir an Uebervölkerung leiden, ihre Gründe. Der erste ist der nicht wegzuläugnende häufige Nothstand selbst, und der zweite, daß Niemand weiß, wie ihm abzuhelfen. Leidet der Mensch an einer Krankheit, so sucht er, eifriger beinahe als nach dem Mittel zur Genesung, nach der Ursache des Schmerzes. Das Auffinden der Veranlassung dünkt ihm eine Erleichterung. Unter mehreren Ursachen, die er grübelnd findet, wird er der einen entschiedenen Vorzug geben, welche ihn selbst jeder Schuld an seinem Leiden enthebt, oder diese doch so gering als möglich macht. Erkennt der verständige Arzt den wahren Grund des Uebels, so wird er ihn dem Kranken in der Regel mittheilen, um ihn gegen die Rückkehr des Leidens, zu schützen., Wie mit dem kranken Menschen, ist es mit dem leidenden Theile der arbei¬ tenden Klassen. Daß manche Theile von diesen sehr krank sind, wer wollte es läugnen? Suchen sie nach der Ursache ihrer Leiden, was liegt dann dem Arbeiter, welcher aus seiner Stelle durch einen geschicktem seines gleichen verdrängt worden, dem Fabrikanten, welcher durch seinen der Zeit folgenden Nachbar überflügelt worden, dom Zunstmann*) vor Allem in seinem gemüthlichen Mvrgenrocke, welchem der unprivilegirte, aber auch unverrostete und thätige Arbeitsmann Concurrenz macht, was liegt allen diesen näher, als jede Ursache ihrer Leiden in der von ihnen unverschuldeten Thatsache zu finden, daß neben ihnen noch Andere leben, welche arbeiten, „in der Uebervölkerung," und daß noch Andere arbeiten, welche leben „in der Ueberproduction." Die Aerzte, welche dem Leidenden diese falsche Ansicht nehmen sollten, find bei uns vor Allem die zur Regierung Berufenen, mit der Vertretung der höchsten Interessen des Volkes Betrauten. Freilich ist Thorheit zu klagen, daß unsre Staatsmänner noch keine Mittel auf¬ fanden, allem Unglück in ihren Staaten, aller Noth unter den arbeitenden Klassen zu steuern. Die Menschen, die regierenden, wie die regierten, sind nur Menschen, Z. B. im Königreich Sachsen. GrenMen. II. -I8S2.18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/147>, abgerufen am 04.07.2024.