Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von Acten; indem Sie aber dieses Wort als den Ausdruck einer Gesinnung,
einer Ansicht gebrauchen, schieben Sie wenigstens dem größer" Publicum die
Vorstellung unter, die Sie doch selber nicht theilen, daß der Act der Revolution
mit der Gesinnung des Liberalismus unzertrennlich verbunden sei. Wenn Sie
diese Mischung verschiedenartiger Vorstellungen, so wie einzelne rhetorische Wen¬
dungen, die zu der eigentlichen Deduction Nichts beitragen, z. B. die Prophe¬
zeiungen von der apokalyptischen Zeit, auf das bestimmte Publicum berechnet
haben, vor dem Sie sprachen, welches nicht belehrt, sondern nur in seinem Pathos
bestärkt werden will, so muß diese Rücksicht wegfallen, sobald Sie sich als Schrift¬
steller dem Volke zuwenden.

Dieselbe Vermischung von Vorstellungen, die nicht zusammengehören, findet
sich in den sieben Cardinalpnnkten wieder, welche Sie als Glaubenssätze des
Liberalismus'zusammenstellen. Ich will versuchen, Ihnen das bei jedem dieser
Punkte nachzuweisen.

Erstens. Die Theorie der "VolkSsonveraiuetät" gehört nicht oder nicht mehr
dem gesammten Liberalismus an, sondern nur der Demokratie. Wir haben in
der Zeit, wo es nöthig war,") diesen absurden Begriff eben so entschieden be¬
kämpft, als die Schriftsteller Ihrer Partei. Er ist absurd, weil er in seiner Art
eben so supranaturalistisch ist, wie die Herleitung der Staatsgewalt ans überirdischen
Motiven. Die Individualisirung eines Collcctivbegrisss und die Verherrlichung
desselben durch Attribute, die uur einer wirklichen Individualität zukommen, führt
in der Theorie, weil sie kein reales Verhältniß ausdrückt, zu schwärmerischer
Unklarheit, in der Praxis zu schädlichen Versuchen, z. B. Fragen, die über das
Verständniß der Mehrzahl hinausgehn, durch eine Zahlung der verschiedenen im
Staate vorhandenen Individuen entscheiden zu lassen.

Die Idee der Volkssouverainetät sündigt auf eine doppelte Weise, einmal
indem sie einer fingirten Einheit Willen, Verstand und Macht beilegt, sodann in¬
dem sie zur Herstellung dieser Einheit, der Einheit des Volks, diejenigen Kräfte,
die charakteristisch für das Volk sind, entweder geradezu ausschließt, oder sie
wenigstens in der Masse erdrückt. Ob in diesem Sinn die Demokratie noch
an dem Begriff der Volkssouverainetät festhält, ist uns nicht bekannt. Der Libe¬
ralismus hat mit solchen Abstractionen Nichts mehr zu' thun.

Wir wissen wohl, daß eine Autorität, über die man nicht reflectirt, sondern
der man ohne weiteres gehorcht, ein sehr nützliches und bis zu einem gewissen
Grad unentbehrliches Mittel für das Gedeihen des Staates ist. -- Das Volk
thut viel lieber, was es muß, als was es will, und es fügt sich viel lieber einer
Autorität, die ihm äußerlich gegeben ist, als einer, die es sich selbst gesetzt hat.
Ein königlicher Amtmann wird mit den Bauern stets besser fertig, als ein selbst-



'" U, a. Schreiber dieses in den Grzb. -I8i8, Hast 33.

von Acten; indem Sie aber dieses Wort als den Ausdruck einer Gesinnung,
einer Ansicht gebrauchen, schieben Sie wenigstens dem größer» Publicum die
Vorstellung unter, die Sie doch selber nicht theilen, daß der Act der Revolution
mit der Gesinnung des Liberalismus unzertrennlich verbunden sei. Wenn Sie
diese Mischung verschiedenartiger Vorstellungen, so wie einzelne rhetorische Wen¬
dungen, die zu der eigentlichen Deduction Nichts beitragen, z. B. die Prophe¬
zeiungen von der apokalyptischen Zeit, auf das bestimmte Publicum berechnet
haben, vor dem Sie sprachen, welches nicht belehrt, sondern nur in seinem Pathos
bestärkt werden will, so muß diese Rücksicht wegfallen, sobald Sie sich als Schrift¬
steller dem Volke zuwenden.

Dieselbe Vermischung von Vorstellungen, die nicht zusammengehören, findet
sich in den sieben Cardinalpnnkten wieder, welche Sie als Glaubenssätze des
Liberalismus'zusammenstellen. Ich will versuchen, Ihnen das bei jedem dieser
Punkte nachzuweisen.

Erstens. Die Theorie der „VolkSsonveraiuetät" gehört nicht oder nicht mehr
dem gesammten Liberalismus an, sondern nur der Demokratie. Wir haben in
der Zeit, wo es nöthig war,") diesen absurden Begriff eben so entschieden be¬
kämpft, als die Schriftsteller Ihrer Partei. Er ist absurd, weil er in seiner Art
eben so supranaturalistisch ist, wie die Herleitung der Staatsgewalt ans überirdischen
Motiven. Die Individualisirung eines Collcctivbegrisss und die Verherrlichung
desselben durch Attribute, die uur einer wirklichen Individualität zukommen, führt
in der Theorie, weil sie kein reales Verhältniß ausdrückt, zu schwärmerischer
Unklarheit, in der Praxis zu schädlichen Versuchen, z. B. Fragen, die über das
Verständniß der Mehrzahl hinausgehn, durch eine Zahlung der verschiedenen im
Staate vorhandenen Individuen entscheiden zu lassen.

Die Idee der Volkssouverainetät sündigt auf eine doppelte Weise, einmal
indem sie einer fingirten Einheit Willen, Verstand und Macht beilegt, sodann in¬
dem sie zur Herstellung dieser Einheit, der Einheit des Volks, diejenigen Kräfte,
die charakteristisch für das Volk sind, entweder geradezu ausschließt, oder sie
wenigstens in der Masse erdrückt. Ob in diesem Sinn die Demokratie noch
an dem Begriff der Volkssouverainetät festhält, ist uns nicht bekannt. Der Libe¬
ralismus hat mit solchen Abstractionen Nichts mehr zu' thun.

Wir wissen wohl, daß eine Autorität, über die man nicht reflectirt, sondern
der man ohne weiteres gehorcht, ein sehr nützliches und bis zu einem gewissen
Grad unentbehrliches Mittel für das Gedeihen des Staates ist. — Das Volk
thut viel lieber, was es muß, als was es will, und es fügt sich viel lieber einer
Autorität, die ihm äußerlich gegeben ist, als einer, die es sich selbst gesetzt hat.
Ein königlicher Amtmann wird mit den Bauern stets besser fertig, als ein selbst-



'» U, a. Schreiber dieses in den Grzb. -I8i8, Hast 33.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/355297"/>
          <p xml:id="ID_337" prev="#ID_336"> von Acten; indem Sie aber dieses Wort als den Ausdruck einer Gesinnung,<lb/>
einer Ansicht gebrauchen, schieben Sie wenigstens dem größer» Publicum die<lb/>
Vorstellung unter, die Sie doch selber nicht theilen, daß der Act der Revolution<lb/>
mit der Gesinnung des Liberalismus unzertrennlich verbunden sei. Wenn Sie<lb/>
diese Mischung verschiedenartiger Vorstellungen, so wie einzelne rhetorische Wen¬<lb/>
dungen, die zu der eigentlichen Deduction Nichts beitragen, z. B. die Prophe¬<lb/>
zeiungen von der apokalyptischen Zeit, auf das bestimmte Publicum berechnet<lb/>
haben, vor dem Sie sprachen, welches nicht belehrt, sondern nur in seinem Pathos<lb/>
bestärkt werden will, so muß diese Rücksicht wegfallen, sobald Sie sich als Schrift¬<lb/>
steller dem Volke zuwenden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_338"> Dieselbe Vermischung von Vorstellungen, die nicht zusammengehören, findet<lb/>
sich in den sieben Cardinalpnnkten wieder, welche Sie als Glaubenssätze des<lb/>
Liberalismus'zusammenstellen. Ich will versuchen, Ihnen das bei jedem dieser<lb/>
Punkte nachzuweisen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_339"> Erstens. Die Theorie der &#x201E;VolkSsonveraiuetät" gehört nicht oder nicht mehr<lb/>
dem gesammten Liberalismus an, sondern nur der Demokratie. Wir haben in<lb/>
der Zeit, wo es nöthig war,") diesen absurden Begriff eben so entschieden be¬<lb/>
kämpft, als die Schriftsteller Ihrer Partei. Er ist absurd, weil er in seiner Art<lb/>
eben so supranaturalistisch ist, wie die Herleitung der Staatsgewalt ans überirdischen<lb/>
Motiven. Die Individualisirung eines Collcctivbegrisss und die Verherrlichung<lb/>
desselben durch Attribute, die uur einer wirklichen Individualität zukommen, führt<lb/>
in der Theorie, weil sie kein reales Verhältniß ausdrückt, zu schwärmerischer<lb/>
Unklarheit, in der Praxis zu schädlichen Versuchen, z. B. Fragen, die über das<lb/>
Verständniß der Mehrzahl hinausgehn, durch eine Zahlung der verschiedenen im<lb/>
Staate vorhandenen Individuen entscheiden zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_340"> Die Idee der Volkssouverainetät sündigt auf eine doppelte Weise, einmal<lb/>
indem sie einer fingirten Einheit Willen, Verstand und Macht beilegt, sodann in¬<lb/>
dem sie zur Herstellung dieser Einheit, der Einheit des Volks, diejenigen Kräfte,<lb/>
die charakteristisch für das Volk sind, entweder geradezu ausschließt, oder sie<lb/>
wenigstens in der Masse erdrückt. Ob in diesem Sinn die Demokratie noch<lb/>
an dem Begriff der Volkssouverainetät festhält, ist uns nicht bekannt. Der Libe¬<lb/>
ralismus hat mit solchen Abstractionen Nichts mehr zu' thun.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_341" next="#ID_342"> Wir wissen wohl, daß eine Autorität, über die man nicht reflectirt, sondern<lb/>
der man ohne weiteres gehorcht, ein sehr nützliches und bis zu einem gewissen<lb/>
Grad unentbehrliches Mittel für das Gedeihen des Staates ist. &#x2014; Das Volk<lb/>
thut viel lieber, was es muß, als was es will, und es fügt sich viel lieber einer<lb/>
Autorität, die ihm äußerlich gegeben ist, als einer, die es sich selbst gesetzt hat.<lb/>
Ein königlicher Amtmann wird mit den Bauern stets besser fertig, als ein selbst-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_14" place="foot"> '» U, a. Schreiber dieses in den Grzb. -I8i8, Hast 33.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0132] von Acten; indem Sie aber dieses Wort als den Ausdruck einer Gesinnung, einer Ansicht gebrauchen, schieben Sie wenigstens dem größer» Publicum die Vorstellung unter, die Sie doch selber nicht theilen, daß der Act der Revolution mit der Gesinnung des Liberalismus unzertrennlich verbunden sei. Wenn Sie diese Mischung verschiedenartiger Vorstellungen, so wie einzelne rhetorische Wen¬ dungen, die zu der eigentlichen Deduction Nichts beitragen, z. B. die Prophe¬ zeiungen von der apokalyptischen Zeit, auf das bestimmte Publicum berechnet haben, vor dem Sie sprachen, welches nicht belehrt, sondern nur in seinem Pathos bestärkt werden will, so muß diese Rücksicht wegfallen, sobald Sie sich als Schrift¬ steller dem Volke zuwenden. Dieselbe Vermischung von Vorstellungen, die nicht zusammengehören, findet sich in den sieben Cardinalpnnkten wieder, welche Sie als Glaubenssätze des Liberalismus'zusammenstellen. Ich will versuchen, Ihnen das bei jedem dieser Punkte nachzuweisen. Erstens. Die Theorie der „VolkSsonveraiuetät" gehört nicht oder nicht mehr dem gesammten Liberalismus an, sondern nur der Demokratie. Wir haben in der Zeit, wo es nöthig war,") diesen absurden Begriff eben so entschieden be¬ kämpft, als die Schriftsteller Ihrer Partei. Er ist absurd, weil er in seiner Art eben so supranaturalistisch ist, wie die Herleitung der Staatsgewalt ans überirdischen Motiven. Die Individualisirung eines Collcctivbegrisss und die Verherrlichung desselben durch Attribute, die uur einer wirklichen Individualität zukommen, führt in der Theorie, weil sie kein reales Verhältniß ausdrückt, zu schwärmerischer Unklarheit, in der Praxis zu schädlichen Versuchen, z. B. Fragen, die über das Verständniß der Mehrzahl hinausgehn, durch eine Zahlung der verschiedenen im Staate vorhandenen Individuen entscheiden zu lassen. Die Idee der Volkssouverainetät sündigt auf eine doppelte Weise, einmal indem sie einer fingirten Einheit Willen, Verstand und Macht beilegt, sodann in¬ dem sie zur Herstellung dieser Einheit, der Einheit des Volks, diejenigen Kräfte, die charakteristisch für das Volk sind, entweder geradezu ausschließt, oder sie wenigstens in der Masse erdrückt. Ob in diesem Sinn die Demokratie noch an dem Begriff der Volkssouverainetät festhält, ist uns nicht bekannt. Der Libe¬ ralismus hat mit solchen Abstractionen Nichts mehr zu' thun. Wir wissen wohl, daß eine Autorität, über die man nicht reflectirt, sondern der man ohne weiteres gehorcht, ein sehr nützliches und bis zu einem gewissen Grad unentbehrliches Mittel für das Gedeihen des Staates ist. — Das Volk thut viel lieber, was es muß, als was es will, und es fügt sich viel lieber einer Autorität, die ihm äußerlich gegeben ist, als einer, die es sich selbst gesetzt hat. Ein königlicher Amtmann wird mit den Bauern stets besser fertig, als ein selbst- '» U, a. Schreiber dieses in den Grzb. -I8i8, Hast 33.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/132
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/132>, abgerufen am 24.07.2024.