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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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vom Standpunkt des Rechts noch der Politik zu entschuldigender Schritt. Seitdem
der westphälische Frieden dnrch den Eintritt fremder Fürsten in den deutschen Reichstag
die politische Vernichtung Deutschlands besiegelte, mußte es das Ziel jedes deutschen
Staatsmannes sein, aus dem Fürstenrathe des deutschen Volkes jede Stimme zu ent¬
fernen, die durch ihren Zusammenhang mit einer fremden Krone unsell'stständig ist.
Schweden wurde allmählich wieder aus Deutschland hinausgedrängt, und seit der Stif¬
tung des deutschen Bundes ist auch Hannover von England unabhängig geworden.
Jetzt bietet sich in gleicher Weise eine Gelegenheit, Holstein ganz für uns zu gewinnen,
und im Norden einen Staat zu begründen, der naturgemäß an Preußens Politik ge¬
wiesen ist. Anstatt dessen wollte Preußen Dänemark einen Keil in das Herz Deutsch¬
lands treiben lassen, der unsren wichtigsten Strom beherrscht, unsren bedeutendsten
Seeplatz von dem deutschen Handelsgebiet fast ganz absperrt und unter fremden Ein¬
fluß bringt, und unsrem Erbfeinde ein Angriffsterrain schafft, auf dem er von einer
deutschen Festung aus immer im Rücken Preußens lauert, und ihm verrätherisch in die
Flanke fällt, wenn es Deutschlands Schlachten im, Westen oder im Osten schlagen
muß? Das wollen wir selbst von Herrn von Manteuffel noch nicht glauben!





Agnes Bernauer von Hebbel und die Amtsthätigkeit
von Dr. Dingelstedt.

In diesen Tagen kam das neue Trauerspiel von Friedrich Hebbel hier zum
ersten Male zur Aufführung. Der Gang der Handlung ist in kurzen Zügen folgender:

Im ersten Acte gewahren wir die durch ihre Schönheit als der "Engel von
Augsburg" bekannte Agnes Bernaucrin in der Wohnung ihres Vaters, des ehrsamen
Bürgers und Badermeisters Bernauer, einen Gegenstand des Neides ihrer Freundinnen
und der Sehnsucht des Badergehilscn Theobald. Sie geht zu einem großen Turnier,
welches die Augsburger Patricier dem Herzog Albrecht, Sohn des regierenden Herzogs
Ernst von Bayern, veranstaltet haben. Die Scene wechselt, das Turnier ist vorüber,
Albrecht hat Agnes gesehen und steht in hellen Liebesflammen. Eine ihm verlobte
württembergische Prinzessin ist ihm entlaufen; das ficht ihn Nichts an; nachdem er den
Augsburger Rath kurz abgefertigt, wirst er Harnisch und Weinbergen mit den Worten:
"da liegt der Herzog! und da der Ritter!" von sich, um incognito nach dem "Engel"
zu fahnden. Seine Freunde warnen ihn vergeblich. Abends großer Ball; die Ritter
haben das Mädchen bei dem Barbier entdeckt, von dem sie sich die Bärte stützen
ließen; sie erscheint selbst und Albrecht nähert sich ihr leidenschaftlich wie Romeo. Der
Alte will sie wegführen; er intervenirt jedoch mit den Worten: "noch sind nicht alle
Buchstaben über ihre Lippen gegangen," und bietet Herz und Hand an. Allgemeine
Ueberraschung und Freude.

Im zweiten Acte Besprechung der Freunde Albrechts, die den Zorn seines Vaters
fürchten. Einer von ihnen meint, das Mädchen sei um einen leichtern Preis zu haben,
und geht auf eigene Hand zu ihr, um das, Geschäft ins Reine zu bringen. Er trifft


vom Standpunkt des Rechts noch der Politik zu entschuldigender Schritt. Seitdem
der westphälische Frieden dnrch den Eintritt fremder Fürsten in den deutschen Reichstag
die politische Vernichtung Deutschlands besiegelte, mußte es das Ziel jedes deutschen
Staatsmannes sein, aus dem Fürstenrathe des deutschen Volkes jede Stimme zu ent¬
fernen, die durch ihren Zusammenhang mit einer fremden Krone unsell'stständig ist.
Schweden wurde allmählich wieder aus Deutschland hinausgedrängt, und seit der Stif¬
tung des deutschen Bundes ist auch Hannover von England unabhängig geworden.
Jetzt bietet sich in gleicher Weise eine Gelegenheit, Holstein ganz für uns zu gewinnen,
und im Norden einen Staat zu begründen, der naturgemäß an Preußens Politik ge¬
wiesen ist. Anstatt dessen wollte Preußen Dänemark einen Keil in das Herz Deutsch¬
lands treiben lassen, der unsren wichtigsten Strom beherrscht, unsren bedeutendsten
Seeplatz von dem deutschen Handelsgebiet fast ganz absperrt und unter fremden Ein¬
fluß bringt, und unsrem Erbfeinde ein Angriffsterrain schafft, auf dem er von einer
deutschen Festung aus immer im Rücken Preußens lauert, und ihm verrätherisch in die
Flanke fällt, wenn es Deutschlands Schlachten im, Westen oder im Osten schlagen
muß? Das wollen wir selbst von Herrn von Manteuffel noch nicht glauben!





Agnes Bernauer von Hebbel und die Amtsthätigkeit
von Dr. Dingelstedt.

In diesen Tagen kam das neue Trauerspiel von Friedrich Hebbel hier zum
ersten Male zur Aufführung. Der Gang der Handlung ist in kurzen Zügen folgender:

Im ersten Acte gewahren wir die durch ihre Schönheit als der „Engel von
Augsburg" bekannte Agnes Bernaucrin in der Wohnung ihres Vaters, des ehrsamen
Bürgers und Badermeisters Bernauer, einen Gegenstand des Neides ihrer Freundinnen
und der Sehnsucht des Badergehilscn Theobald. Sie geht zu einem großen Turnier,
welches die Augsburger Patricier dem Herzog Albrecht, Sohn des regierenden Herzogs
Ernst von Bayern, veranstaltet haben. Die Scene wechselt, das Turnier ist vorüber,
Albrecht hat Agnes gesehen und steht in hellen Liebesflammen. Eine ihm verlobte
württembergische Prinzessin ist ihm entlaufen; das ficht ihn Nichts an; nachdem er den
Augsburger Rath kurz abgefertigt, wirst er Harnisch und Weinbergen mit den Worten:
„da liegt der Herzog! und da der Ritter!" von sich, um incognito nach dem „Engel"
zu fahnden. Seine Freunde warnen ihn vergeblich. Abends großer Ball; die Ritter
haben das Mädchen bei dem Barbier entdeckt, von dem sie sich die Bärte stützen
ließen; sie erscheint selbst und Albrecht nähert sich ihr leidenschaftlich wie Romeo. Der
Alte will sie wegführen; er intervenirt jedoch mit den Worten: „noch sind nicht alle
Buchstaben über ihre Lippen gegangen," und bietet Herz und Hand an. Allgemeine
Ueberraschung und Freude.

Im zweiten Acte Besprechung der Freunde Albrechts, die den Zorn seines Vaters
fürchten. Einer von ihnen meint, das Mädchen sei um einen leichtern Preis zu haben,
und geht auf eigene Hand zu ihr, um das, Geschäft ins Reine zu bringen. Er trifft


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[0127] vom Standpunkt des Rechts noch der Politik zu entschuldigender Schritt. Seitdem der westphälische Frieden dnrch den Eintritt fremder Fürsten in den deutschen Reichstag die politische Vernichtung Deutschlands besiegelte, mußte es das Ziel jedes deutschen Staatsmannes sein, aus dem Fürstenrathe des deutschen Volkes jede Stimme zu ent¬ fernen, die durch ihren Zusammenhang mit einer fremden Krone unsell'stständig ist. Schweden wurde allmählich wieder aus Deutschland hinausgedrängt, und seit der Stif¬ tung des deutschen Bundes ist auch Hannover von England unabhängig geworden. Jetzt bietet sich in gleicher Weise eine Gelegenheit, Holstein ganz für uns zu gewinnen, und im Norden einen Staat zu begründen, der naturgemäß an Preußens Politik ge¬ wiesen ist. Anstatt dessen wollte Preußen Dänemark einen Keil in das Herz Deutsch¬ lands treiben lassen, der unsren wichtigsten Strom beherrscht, unsren bedeutendsten Seeplatz von dem deutschen Handelsgebiet fast ganz absperrt und unter fremden Ein¬ fluß bringt, und unsrem Erbfeinde ein Angriffsterrain schafft, auf dem er von einer deutschen Festung aus immer im Rücken Preußens lauert, und ihm verrätherisch in die Flanke fällt, wenn es Deutschlands Schlachten im, Westen oder im Osten schlagen muß? Das wollen wir selbst von Herrn von Manteuffel noch nicht glauben! Agnes Bernauer von Hebbel und die Amtsthätigkeit von Dr. Dingelstedt. In diesen Tagen kam das neue Trauerspiel von Friedrich Hebbel hier zum ersten Male zur Aufführung. Der Gang der Handlung ist in kurzen Zügen folgender: Im ersten Acte gewahren wir die durch ihre Schönheit als der „Engel von Augsburg" bekannte Agnes Bernaucrin in der Wohnung ihres Vaters, des ehrsamen Bürgers und Badermeisters Bernauer, einen Gegenstand des Neides ihrer Freundinnen und der Sehnsucht des Badergehilscn Theobald. Sie geht zu einem großen Turnier, welches die Augsburger Patricier dem Herzog Albrecht, Sohn des regierenden Herzogs Ernst von Bayern, veranstaltet haben. Die Scene wechselt, das Turnier ist vorüber, Albrecht hat Agnes gesehen und steht in hellen Liebesflammen. Eine ihm verlobte württembergische Prinzessin ist ihm entlaufen; das ficht ihn Nichts an; nachdem er den Augsburger Rath kurz abgefertigt, wirst er Harnisch und Weinbergen mit den Worten: „da liegt der Herzog! und da der Ritter!" von sich, um incognito nach dem „Engel" zu fahnden. Seine Freunde warnen ihn vergeblich. Abends großer Ball; die Ritter haben das Mädchen bei dem Barbier entdeckt, von dem sie sich die Bärte stützen ließen; sie erscheint selbst und Albrecht nähert sich ihr leidenschaftlich wie Romeo. Der Alte will sie wegführen; er intervenirt jedoch mit den Worten: „noch sind nicht alle Buchstaben über ihre Lippen gegangen," und bietet Herz und Hand an. Allgemeine Ueberraschung und Freude. Im zweiten Acte Besprechung der Freunde Albrechts, die den Zorn seines Vaters fürchten. Einer von ihnen meint, das Mädchen sei um einen leichtern Preis zu haben, und geht auf eigene Hand zu ihr, um das, Geschäft ins Reine zu bringen. Er trifft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/127>, abgerufen am 24.07.2024.