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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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und Erzbischof von Paris höflich genug, den ihm angebotenen Scnatorfautcuil
nicht zurückzuweisen. Also, haben wir nur etwas Geduld, die Diplomatie, welche,
wie Bonaparte sagt, seine Mäßigung bewundert, wird bald auch Gelegenheit
haben, seine Konsequenz anzustaunen, wenn sie nicht feinnasig genng sein sollte,
diese zu erwarten. Es bleibt darum nicht minder komisch, daß man mit der
Republik so viel Umstände macht und ihr so viel Schonung bezeugt, wie keiner
Regierungsform vorher. Die besiegte Todte wird uoch mehr gefürchtet, als die
früheren Regierungen, als sie am Leben waren. Sie existirt freilich nur im Briefe,
wie jene Krebse des Zigeuners, allein auch der Name verdient unsre Beachtung
zu eiuer Zeit, wo eben die Republik an einem andern Namen zu Grunde
gegangen.

Wenn man sich nun aber ins Gewissen frägt, was Frankreich zu all dem
sage und denke, so wird die Antwort nicht leicht. Aus einzelnen Erscheinungen
zu schließen, glaubt das Laud selber, es habe das Alles verdient, und diese Lehre
werde den Parteien nutzbringend sein. Die unteren Volksklassen namentlich sehen
vielfach in Louis Buonaparte einen Rächer, als wäre er, der Prätendent, ein
Spartacus, der sie zu rächen übernommen hat. Aus der audern Seite aber
werden so viele oppositionelle Kundgebungen kund, daß man nicht recht weiß,
welche Wagschale schwerer wiegt. Nur in Paris ist die Opposition, d. h. die
Opposition der Gefühle und der Gedanken, in der Mehrheit, da selbst die revo-
lutionaire Partei Louis Bonaparte blos als ein von der Vorsehung auserseheues
Mittel betrachtet. Die zweckmäßigen Veränderungen und die mitunter lobenswer-
then Bestrebungen des Präsidenten sind ihr zwar willkommen, aber fast eben so
sehr, weil sie eine Strafe und ein Sporn für die reactivnaire und stetige Bour^
geoisie und Finanzwelt, als weil sie wirkliche Fortschritte verheißen. In den Sa¬
lons hat man es längst aufgegeben, von Politik zu sprechen, und dies geschieht
uur in den vertrautesten Kreisen; es ist also schwerer denn je, die eigentliche
Meinung der mittlern und höhern Stände zu erfahren. Eigentliche Salons giebt
es auch nicht mehr, und das gesellige Leben mit dem regen Wechselverkehre aller
Meinungen und Klassen hat mit dem zweiten December zu athmen aufgehört.
Bisher war die Schwelle des Salons ein Bad im Styx, über dem man sein, po¬
litisches Glaubensbekenntniß vergaß und blos an seine geselligen und geistigen
Eigenschaften und Forderungen dachte. Selbst die Februarrevolution hatte in
den Gewohnheiten der französischen Gesellschaft, oder besser der französischen Ge¬
selligkeit keine besondere Veränderung hervorgebracht, und einige wenige legiti-
mistische Familien, einige wenige anderweitige Ausnahmen abgerechnet, behielt der
Salon seine gewohnte Physiognomie. Der Unterschied war blos der, daß man
sich in anderen Räumen sah, aber man sah sich, und es waren dieselben Männer,
die sich sahen. Jetzt ist es anders geworden und es giebt eigentlich blos bona¬
partistische Salons. Die anderen haben aufgehört und diese stehen entweder ganz


und Erzbischof von Paris höflich genug, den ihm angebotenen Scnatorfautcuil
nicht zurückzuweisen. Also, haben wir nur etwas Geduld, die Diplomatie, welche,
wie Bonaparte sagt, seine Mäßigung bewundert, wird bald auch Gelegenheit
haben, seine Konsequenz anzustaunen, wenn sie nicht feinnasig genng sein sollte,
diese zu erwarten. Es bleibt darum nicht minder komisch, daß man mit der
Republik so viel Umstände macht und ihr so viel Schonung bezeugt, wie keiner
Regierungsform vorher. Die besiegte Todte wird uoch mehr gefürchtet, als die
früheren Regierungen, als sie am Leben waren. Sie existirt freilich nur im Briefe,
wie jene Krebse des Zigeuners, allein auch der Name verdient unsre Beachtung
zu eiuer Zeit, wo eben die Republik an einem andern Namen zu Grunde
gegangen.

Wenn man sich nun aber ins Gewissen frägt, was Frankreich zu all dem
sage und denke, so wird die Antwort nicht leicht. Aus einzelnen Erscheinungen
zu schließen, glaubt das Laud selber, es habe das Alles verdient, und diese Lehre
werde den Parteien nutzbringend sein. Die unteren Volksklassen namentlich sehen
vielfach in Louis Buonaparte einen Rächer, als wäre er, der Prätendent, ein
Spartacus, der sie zu rächen übernommen hat. Aus der audern Seite aber
werden so viele oppositionelle Kundgebungen kund, daß man nicht recht weiß,
welche Wagschale schwerer wiegt. Nur in Paris ist die Opposition, d. h. die
Opposition der Gefühle und der Gedanken, in der Mehrheit, da selbst die revo-
lutionaire Partei Louis Bonaparte blos als ein von der Vorsehung auserseheues
Mittel betrachtet. Die zweckmäßigen Veränderungen und die mitunter lobenswer-
then Bestrebungen des Präsidenten sind ihr zwar willkommen, aber fast eben so
sehr, weil sie eine Strafe und ein Sporn für die reactivnaire und stetige Bour^
geoisie und Finanzwelt, als weil sie wirkliche Fortschritte verheißen. In den Sa¬
lons hat man es längst aufgegeben, von Politik zu sprechen, und dies geschieht
uur in den vertrautesten Kreisen; es ist also schwerer denn je, die eigentliche
Meinung der mittlern und höhern Stände zu erfahren. Eigentliche Salons giebt
es auch nicht mehr, und das gesellige Leben mit dem regen Wechselverkehre aller
Meinungen und Klassen hat mit dem zweiten December zu athmen aufgehört.
Bisher war die Schwelle des Salons ein Bad im Styx, über dem man sein, po¬
litisches Glaubensbekenntniß vergaß und blos an seine geselligen und geistigen
Eigenschaften und Forderungen dachte. Selbst die Februarrevolution hatte in
den Gewohnheiten der französischen Gesellschaft, oder besser der französischen Ge¬
selligkeit keine besondere Veränderung hervorgebracht, und einige wenige legiti-
mistische Familien, einige wenige anderweitige Ausnahmen abgerechnet, behielt der
Salon seine gewohnte Physiognomie. Der Unterschied war blos der, daß man
sich in anderen Räumen sah, aber man sah sich, und es waren dieselben Männer,
die sich sahen. Jetzt ist es anders geworden und es giebt eigentlich blos bona¬
partistische Salons. Die anderen haben aufgehört und diese stehen entweder ganz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/120>, abgerufen am 24.07.2024.