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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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fragen: Wie wird es unsrem Hauptkäuser, dem Publicum der Leihbibliotheken,
gefallen? Jedes andere Buch aber, welches nicht in den Kreis der Leihbiblio-
thekschriftcn gehört, auch nicht einer bestimmten Fachwissenschaft angehört, hat
unter solchen Umständen in Deutschland gar kein bestimmtes Publicum, und es
ist sast Sache des Zufalls und des Glücks, wenn es sich einbürgert und dem
Verleger Früchte trägt. Und doch giebt es viele wichtige, im besten Sinne
des Wortes populaire Unternehmungen, durch welche die Literatur wesentlich ge¬
fördert wird, und welche nur möglich sind bei stattlicher Betheiligung von Privat¬
leuten. Dahin gehören besonders alle Kupferwerke, welche bedeutende Auslagen
und Risico von Seiten des Verlegers erfordern. Fast alle solche Unternehmun¬
gen kränkeln in Deutschland, weil ihnen die nöthige Unterstützung fehlt.

Wer Geld hat, muß auch die Verpflichtung fühlen, etwas für die Literatur
seines Volkes zu thun. Es ist gar nicht nöthig, daß er ein leidenschaftliches
Interesse an all den guten Werken hat, welche er bezahlt', er soll sie bezahlen,
damit solche Unternehmungen rentiren und das Ganze den Vortheil davon habe.
Freilich wird es besser sein, wenn sein Geist ein lebhaftes Interesse an allem
Schönen und Großen, was in der Literatur zu Tage kommt, nehmen kann. Da
das aber nicht immer möglich ist, sehr oft beim besten Willen und guter Bil¬
dung nicht möglich ist, so soll er wenigstens eine Pflicht gegen seine Zeit erfüllen,
indem er Anderen die Möglichkeit offen erhält, solche Interessen zu verfolgen.
Das ist eine Anstandspflicht des reichen Mannes.

Und deshalb sollte jeder Wohlhabende- eine kleine feste Summe seines jähr¬
lichen Etats für Gründung und Erhaltung einer Hausbibliothek bestimmen, und
er sollte serner nicht seinen und seiner Familie Verkehr mit den bedeutenden
Schriftstellern aller Zeiten in einen entlegenen, staubigen Winkel seines Hauses
verweisen, sondern je nach seinen Verhältnissen einen größern oder kleinern Raum
mit entsprechender Decoration auswählen, welcher als das Bibliothekzimmer jedem
Familicnmitgliede offen steht und den Gästen einen erwünschten Ort der Samm-
lung, interessanter Unterhaltung und Belehrung darbietet. Eine solche Haus¬
bibliothek ist gegenwärtig nur in den wenigsten wohlhabenden Familien Deutsch¬
lands zu finden, und in sehr wenigen ist die etwa vorhandene zweckmäßig und
anständig ausgestellt. Aus vielen Schlössern unsrer großen Gutsbesitzer sind zwar
alte Büchersammlungen vorhanden, häufig aus der Zeit ihrer Großväter, welche
mit dem französischen Firniß auch den Respect vor den französischen Schriftstellern
des 17. und 18. Jahrhunderts erhalten hatten. Aber diese Büchersammlungen
sind in der Regel eine Beute der Spinnen und Bücherwürmer, im besten Falle
sind sie dürftig und schmucklos ausgestellt, und die Summe, welche für ihre Com-
pletirung verwandt wird, ist so gering, und der Mangel an Urtheil bei Aus¬
wahl neuer Bücher so groß, daß sie auf den Fremden, welcher sich zu ihnen
verirrt, oft einen unheimlichen Eindruck machen. Und doch ist gerade auf dem Lande,


Grenzboten. II. -18os, 14

fragen: Wie wird es unsrem Hauptkäuser, dem Publicum der Leihbibliotheken,
gefallen? Jedes andere Buch aber, welches nicht in den Kreis der Leihbiblio-
thekschriftcn gehört, auch nicht einer bestimmten Fachwissenschaft angehört, hat
unter solchen Umständen in Deutschland gar kein bestimmtes Publicum, und es
ist sast Sache des Zufalls und des Glücks, wenn es sich einbürgert und dem
Verleger Früchte trägt. Und doch giebt es viele wichtige, im besten Sinne
des Wortes populaire Unternehmungen, durch welche die Literatur wesentlich ge¬
fördert wird, und welche nur möglich sind bei stattlicher Betheiligung von Privat¬
leuten. Dahin gehören besonders alle Kupferwerke, welche bedeutende Auslagen
und Risico von Seiten des Verlegers erfordern. Fast alle solche Unternehmun¬
gen kränkeln in Deutschland, weil ihnen die nöthige Unterstützung fehlt.

Wer Geld hat, muß auch die Verpflichtung fühlen, etwas für die Literatur
seines Volkes zu thun. Es ist gar nicht nöthig, daß er ein leidenschaftliches
Interesse an all den guten Werken hat, welche er bezahlt', er soll sie bezahlen,
damit solche Unternehmungen rentiren und das Ganze den Vortheil davon habe.
Freilich wird es besser sein, wenn sein Geist ein lebhaftes Interesse an allem
Schönen und Großen, was in der Literatur zu Tage kommt, nehmen kann. Da
das aber nicht immer möglich ist, sehr oft beim besten Willen und guter Bil¬
dung nicht möglich ist, so soll er wenigstens eine Pflicht gegen seine Zeit erfüllen,
indem er Anderen die Möglichkeit offen erhält, solche Interessen zu verfolgen.
Das ist eine Anstandspflicht des reichen Mannes.

Und deshalb sollte jeder Wohlhabende- eine kleine feste Summe seines jähr¬
lichen Etats für Gründung und Erhaltung einer Hausbibliothek bestimmen, und
er sollte serner nicht seinen und seiner Familie Verkehr mit den bedeutenden
Schriftstellern aller Zeiten in einen entlegenen, staubigen Winkel seines Hauses
verweisen, sondern je nach seinen Verhältnissen einen größern oder kleinern Raum
mit entsprechender Decoration auswählen, welcher als das Bibliothekzimmer jedem
Familicnmitgliede offen steht und den Gästen einen erwünschten Ort der Samm-
lung, interessanter Unterhaltung und Belehrung darbietet. Eine solche Haus¬
bibliothek ist gegenwärtig nur in den wenigsten wohlhabenden Familien Deutsch¬
lands zu finden, und in sehr wenigen ist die etwa vorhandene zweckmäßig und
anständig ausgestellt. Aus vielen Schlössern unsrer großen Gutsbesitzer sind zwar
alte Büchersammlungen vorhanden, häufig aus der Zeit ihrer Großväter, welche
mit dem französischen Firniß auch den Respect vor den französischen Schriftstellern
des 17. und 18. Jahrhunderts erhalten hatten. Aber diese Büchersammlungen
sind in der Regel eine Beute der Spinnen und Bücherwürmer, im besten Falle
sind sie dürftig und schmucklos ausgestellt, und die Summe, welche für ihre Com-
pletirung verwandt wird, ist so gering, und der Mangel an Urtheil bei Aus¬
wahl neuer Bücher so groß, daß sie auf den Fremden, welcher sich zu ihnen
verirrt, oft einen unheimlichen Eindruck machen. Und doch ist gerade auf dem Lande,


Grenzboten. II. -18os, 14
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/115>, abgerufen am 24.07.2024.