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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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von solchen Werken, welche mehr der Schönheit, als dem unmittelbaren prak¬
tischen Nutzen dienen, ist leider noch sehr unsicher, und der Sinn für Lecture
gerade bei den Genießenden noch sehr wenig ausgebildet. Derselbe Mann, wel¬
cher ohne das geringste Bedenken ein Dutzend Thaler für einige Flaschen Cham¬
pagner oder ein Ansternfrühstück hinwirft, und der im Stande ist, dies öfter zu
thun, ohne seine Verhältnisse zu derangiren, wird sich sehr hüten, ein gutes oder
interessantes Buch zu kaufen, er wird die Gelegenheit abwarten, es zu leihen,
vielleicht gar von dem Buchhändler selbst, denn er wird es für eine unerhörte
Verschwendung halten, neben seinen starken Ausgabeposten für Delicatessen oder
Sport-Freuden auch noch eine Bücherrechnung am Ende des Jahres zu bezahlen.
Und dieselbe Dame, welche für eine Balltoilette zehn Lonisd'or ihres Taschen¬
geldes auszugeben pflegt, würde vielleicht sehr entrüstet sein, wenn man ihr zu-
muthete, Macaulay's Geschichtswerk oder Burmeister's geologische Briefe für ihre"
Büchertisch zu kaufen und von ihrem Taschengelde zu bezahlen. -- Doch in der
That, einmal im Jahre, zur Weihnachtszeit, wo die Herren in Verlegenheit sind,
was sie den Frauen und Kindern schenken sollen, werden hübsch aussehende, stark
vergoldete Bücher fast von allen reichen Herren eingekauft und zum Geschenk ge¬
macht. Diese haben dann die Bestimmung, ein Jahr lang auf dem Toilettentisch
zu liegen. Die laufenden literarischen Bedürfnisse der übrigen Zeit befriedigen
die Leihinstitute.

Dieses knickerige Verhalten sehr vieler wohlhabender Privatleute hat auf die
gesammte deutsche Literatur großen Einfluß ausgeübt, und viel dazu beigetragen, die
Schriftsteller sowol, als den Buchhandel zu drücken, ja zuweilen zu corrumpiren und
auf Abwege zu führen; ferner aber hat es einen eigenthümlichen Industriezweig zu
großer Ausdehnung gebracht, die Leihinstitute für Bücher, Zeitschriften u. f. w.
Der große Nutzen dieser Leihanstalten soll hier nicht verkannt werden, aber ihre
Stellung zum deutschen Bücherverkauf ist eine sehr gefährliche geworden. Für Werke,
welche nicht dem praktischen Nutzen oder der Wissenschaft unmittelbar dienen, z. B.
für belletristische Werke, Reisebeschreibungen, so wie für periodische Zeitschriften, sind
dergleichen Institute in Deutschland, die Hauptabnehmer, oft die alleinigen Käufer.
Wer ein Buch dieser Art verlegt, oder eine periodische Zeitschrift hcrausgiebr, muß vor
Allem diesen Instituten zu gefallen suchen. In ihnen aber gefällt zunächst, was dem
Geschmack der großen Masse am meisten entspricht, häufig das Mittelmäßige/ oft das
Gemeine, und so kommt es, daß bei uns von Schriftstellern und Verlegern häufig so
Schlechtes, Wüstes und Abgeschmacktes producirt werden kann, daß einem Ge¬
bildeten davor grauen kann. Auf der andern Seite aber werden viele solche
Erzeugnisse welche auf den Beifall kleinerer Kreise von Gebildeten berechnet sind
z. B. lyrische Gedichte, Schauspiele, manche Arten populairer, wissenschaftlicher
Werke, Reisebeschreibungen, Kupferwerke, in ihrer Wirkung aufgehalten und ihre Ver¬
fasser entmuthigt, weil die Verleger bei jedem solchen Buche gezwungen sind, zu


von solchen Werken, welche mehr der Schönheit, als dem unmittelbaren prak¬
tischen Nutzen dienen, ist leider noch sehr unsicher, und der Sinn für Lecture
gerade bei den Genießenden noch sehr wenig ausgebildet. Derselbe Mann, wel¬
cher ohne das geringste Bedenken ein Dutzend Thaler für einige Flaschen Cham¬
pagner oder ein Ansternfrühstück hinwirft, und der im Stande ist, dies öfter zu
thun, ohne seine Verhältnisse zu derangiren, wird sich sehr hüten, ein gutes oder
interessantes Buch zu kaufen, er wird die Gelegenheit abwarten, es zu leihen,
vielleicht gar von dem Buchhändler selbst, denn er wird es für eine unerhörte
Verschwendung halten, neben seinen starken Ausgabeposten für Delicatessen oder
Sport-Freuden auch noch eine Bücherrechnung am Ende des Jahres zu bezahlen.
Und dieselbe Dame, welche für eine Balltoilette zehn Lonisd'or ihres Taschen¬
geldes auszugeben pflegt, würde vielleicht sehr entrüstet sein, wenn man ihr zu-
muthete, Macaulay's Geschichtswerk oder Burmeister's geologische Briefe für ihre»
Büchertisch zu kaufen und von ihrem Taschengelde zu bezahlen. — Doch in der
That, einmal im Jahre, zur Weihnachtszeit, wo die Herren in Verlegenheit sind,
was sie den Frauen und Kindern schenken sollen, werden hübsch aussehende, stark
vergoldete Bücher fast von allen reichen Herren eingekauft und zum Geschenk ge¬
macht. Diese haben dann die Bestimmung, ein Jahr lang auf dem Toilettentisch
zu liegen. Die laufenden literarischen Bedürfnisse der übrigen Zeit befriedigen
die Leihinstitute.

Dieses knickerige Verhalten sehr vieler wohlhabender Privatleute hat auf die
gesammte deutsche Literatur großen Einfluß ausgeübt, und viel dazu beigetragen, die
Schriftsteller sowol, als den Buchhandel zu drücken, ja zuweilen zu corrumpiren und
auf Abwege zu führen; ferner aber hat es einen eigenthümlichen Industriezweig zu
großer Ausdehnung gebracht, die Leihinstitute für Bücher, Zeitschriften u. f. w.
Der große Nutzen dieser Leihanstalten soll hier nicht verkannt werden, aber ihre
Stellung zum deutschen Bücherverkauf ist eine sehr gefährliche geworden. Für Werke,
welche nicht dem praktischen Nutzen oder der Wissenschaft unmittelbar dienen, z. B.
für belletristische Werke, Reisebeschreibungen, so wie für periodische Zeitschriften, sind
dergleichen Institute in Deutschland, die Hauptabnehmer, oft die alleinigen Käufer.
Wer ein Buch dieser Art verlegt, oder eine periodische Zeitschrift hcrausgiebr, muß vor
Allem diesen Instituten zu gefallen suchen. In ihnen aber gefällt zunächst, was dem
Geschmack der großen Masse am meisten entspricht, häufig das Mittelmäßige/ oft das
Gemeine, und so kommt es, daß bei uns von Schriftstellern und Verlegern häufig so
Schlechtes, Wüstes und Abgeschmacktes producirt werden kann, daß einem Ge¬
bildeten davor grauen kann. Auf der andern Seite aber werden viele solche
Erzeugnisse welche auf den Beifall kleinerer Kreise von Gebildeten berechnet sind
z. B. lyrische Gedichte, Schauspiele, manche Arten populairer, wissenschaftlicher
Werke, Reisebeschreibungen, Kupferwerke, in ihrer Wirkung aufgehalten und ihre Ver¬
fasser entmuthigt, weil die Verleger bei jedem solchen Buche gezwungen sind, zu


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[0114] von solchen Werken, welche mehr der Schönheit, als dem unmittelbaren prak¬ tischen Nutzen dienen, ist leider noch sehr unsicher, und der Sinn für Lecture gerade bei den Genießenden noch sehr wenig ausgebildet. Derselbe Mann, wel¬ cher ohne das geringste Bedenken ein Dutzend Thaler für einige Flaschen Cham¬ pagner oder ein Ansternfrühstück hinwirft, und der im Stande ist, dies öfter zu thun, ohne seine Verhältnisse zu derangiren, wird sich sehr hüten, ein gutes oder interessantes Buch zu kaufen, er wird die Gelegenheit abwarten, es zu leihen, vielleicht gar von dem Buchhändler selbst, denn er wird es für eine unerhörte Verschwendung halten, neben seinen starken Ausgabeposten für Delicatessen oder Sport-Freuden auch noch eine Bücherrechnung am Ende des Jahres zu bezahlen. Und dieselbe Dame, welche für eine Balltoilette zehn Lonisd'or ihres Taschen¬ geldes auszugeben pflegt, würde vielleicht sehr entrüstet sein, wenn man ihr zu- muthete, Macaulay's Geschichtswerk oder Burmeister's geologische Briefe für ihre» Büchertisch zu kaufen und von ihrem Taschengelde zu bezahlen. — Doch in der That, einmal im Jahre, zur Weihnachtszeit, wo die Herren in Verlegenheit sind, was sie den Frauen und Kindern schenken sollen, werden hübsch aussehende, stark vergoldete Bücher fast von allen reichen Herren eingekauft und zum Geschenk ge¬ macht. Diese haben dann die Bestimmung, ein Jahr lang auf dem Toilettentisch zu liegen. Die laufenden literarischen Bedürfnisse der übrigen Zeit befriedigen die Leihinstitute. Dieses knickerige Verhalten sehr vieler wohlhabender Privatleute hat auf die gesammte deutsche Literatur großen Einfluß ausgeübt, und viel dazu beigetragen, die Schriftsteller sowol, als den Buchhandel zu drücken, ja zuweilen zu corrumpiren und auf Abwege zu führen; ferner aber hat es einen eigenthümlichen Industriezweig zu großer Ausdehnung gebracht, die Leihinstitute für Bücher, Zeitschriften u. f. w. Der große Nutzen dieser Leihanstalten soll hier nicht verkannt werden, aber ihre Stellung zum deutschen Bücherverkauf ist eine sehr gefährliche geworden. Für Werke, welche nicht dem praktischen Nutzen oder der Wissenschaft unmittelbar dienen, z. B. für belletristische Werke, Reisebeschreibungen, so wie für periodische Zeitschriften, sind dergleichen Institute in Deutschland, die Hauptabnehmer, oft die alleinigen Käufer. Wer ein Buch dieser Art verlegt, oder eine periodische Zeitschrift hcrausgiebr, muß vor Allem diesen Instituten zu gefallen suchen. In ihnen aber gefällt zunächst, was dem Geschmack der großen Masse am meisten entspricht, häufig das Mittelmäßige/ oft das Gemeine, und so kommt es, daß bei uns von Schriftstellern und Verlegern häufig so Schlechtes, Wüstes und Abgeschmacktes producirt werden kann, daß einem Ge¬ bildeten davor grauen kann. Auf der andern Seite aber werden viele solche Erzeugnisse welche auf den Beifall kleinerer Kreise von Gebildeten berechnet sind z. B. lyrische Gedichte, Schauspiele, manche Arten populairer, wissenschaftlicher Werke, Reisebeschreibungen, Kupferwerke, in ihrer Wirkung aufgehalten und ihre Ver¬ fasser entmuthigt, weil die Verleger bei jedem solchen Buche gezwungen sind, zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/114>, abgerufen am 24.07.2024.