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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Das erste ist Sir William Crichton. Die Komposition dieses Stücks
ist sehr schwach, die einzelnen Scenen hängen nur lose zusammen. Die Geschichte'
gehört zu den zahlreichen Liebesverhältnissen zwischen zwei feindlichen Stämmen,
für die Romeo und Julie das erste Vorbild ist. Der junge Douglas liebt ein
Mädchen, Margarethe, von der sich nachträglich ergiebt, daß sie die Tochter des
allmächtigen Ministers Crichton ist, der Douglas' Vater und seine ganze übrige
Familie auf eine verrätherische Weise ermordet hat. Nach dieser Entdeckung geht
Douglas auf sein Schloß zurück; Margarethe, die ihr Vater zu einer Convenienz-
heirath zwingen will, flieht in Pagenkleidern zu ihrem Geliebten, den sie vor den
schwarzen Anschlägen ihres Vaters warnt. Hier werden sie durch die königlichen
Truppen überfallen, an deren Spitze Crichton selbst steht; Margarethe, um das
Leben ihres Geliebten zu retten, wirst sich den Schwertern entgegen und wird in
der Gegenwart ihres Vaters umgebracht, dem endlich nichts Anderes übrig bleibt,
als sich selbst zu tödten. -- Diese einfache Handlung führt aber zu einzelnen sehr
interessanten Charakterzügen. Crichton wird nicht als ein gewöhnlicher Bösewicht
dargestellt, sondern als ein Staatsmann von großen Anlagen, der, schon unter
dem vorigen König an der Spitze der Geschäfte, bei der Unmündigkeit des gegen¬
wärtigen jungen Königs es als seinen Beruf ansieht, die schottische Monarchie
durch Unterdrückung des übermächtigen Adels herzustellen, und der bei der Wild¬
heit der Zeiten ldaS Stück spielt im Is. Jahrhundert) diesen Plan nur durch
eine Reihe von Verbrechen ausführen kann. Diese Anlage des Charakters ist
nicht nen, aber sie ist mit einer nicht gemeinen Kühnheit durchgeführt. In einem
Gespräch mit dem jungen König, der bei der Schwäche seines Gemüths von
Gewissensbissen heimgesucht wird, sagt er ihm sehr kaltblütig: "Wenn jetzt ein
Priester bei der Hand wäre, so würde er auf die Natur des bestimmten Ge¬
wissens, das er vor sich hat, Rücksicht nehmen und mit demselben die Nothwen¬
digkeit unsrer Handlungsweise vermitteln. Ich bin in dergleichen psychologischen
Feinheiten nicht zu Hause, ich sehe nur das Ziel vor uns, welches wir erreichen
müssen, ich weiß, daß ich nicht durch persönliche Motive, sondern durch allgemeine
Rücksichten dahin getrieben werde, und wiederhole daher einfach, das Haus der
Douglas muß fallen." -- In dieser Art sich auszudrücken, sehen wir freilich mehr
den über feine Intentionen reflectirenden Dichter, als den Charakter selbst, und
das ist ein Fehler, der sast bei allen englischen Dramatikern wiederkehrt; aber
wenigstens können wir die Intentionen selbst billigen. -- Auch als sich die Fol¬
gen seiner Thaten gegen ihn selber wenden und ihn zum Selbstmord treiben,
verfällt er nicht in feige Rene. "Ich hatte eine Mission zu erfüllen, ich habe sie,
erfüllt; wozu sollte ich noch weiter leben? Etwa warten, daß die Gespenster mei¬
ner Thaten sich um mich sammeln und vielleicht auch mein alterndes Gewissen
verwirren? Lieber bringe ich dem Vaterlande, dem ich so viele blutige Opfer ge¬
schlachtet, auch dieses letzte Opfer meines Lebens." -- Diesem entschlossenen


Das erste ist Sir William Crichton. Die Komposition dieses Stücks
ist sehr schwach, die einzelnen Scenen hängen nur lose zusammen. Die Geschichte'
gehört zu den zahlreichen Liebesverhältnissen zwischen zwei feindlichen Stämmen,
für die Romeo und Julie das erste Vorbild ist. Der junge Douglas liebt ein
Mädchen, Margarethe, von der sich nachträglich ergiebt, daß sie die Tochter des
allmächtigen Ministers Crichton ist, der Douglas' Vater und seine ganze übrige
Familie auf eine verrätherische Weise ermordet hat. Nach dieser Entdeckung geht
Douglas auf sein Schloß zurück; Margarethe, die ihr Vater zu einer Convenienz-
heirath zwingen will, flieht in Pagenkleidern zu ihrem Geliebten, den sie vor den
schwarzen Anschlägen ihres Vaters warnt. Hier werden sie durch die königlichen
Truppen überfallen, an deren Spitze Crichton selbst steht; Margarethe, um das
Leben ihres Geliebten zu retten, wirst sich den Schwertern entgegen und wird in
der Gegenwart ihres Vaters umgebracht, dem endlich nichts Anderes übrig bleibt,
als sich selbst zu tödten. — Diese einfache Handlung führt aber zu einzelnen sehr
interessanten Charakterzügen. Crichton wird nicht als ein gewöhnlicher Bösewicht
dargestellt, sondern als ein Staatsmann von großen Anlagen, der, schon unter
dem vorigen König an der Spitze der Geschäfte, bei der Unmündigkeit des gegen¬
wärtigen jungen Königs es als seinen Beruf ansieht, die schottische Monarchie
durch Unterdrückung des übermächtigen Adels herzustellen, und der bei der Wild¬
heit der Zeiten ldaS Stück spielt im Is. Jahrhundert) diesen Plan nur durch
eine Reihe von Verbrechen ausführen kann. Diese Anlage des Charakters ist
nicht nen, aber sie ist mit einer nicht gemeinen Kühnheit durchgeführt. In einem
Gespräch mit dem jungen König, der bei der Schwäche seines Gemüths von
Gewissensbissen heimgesucht wird, sagt er ihm sehr kaltblütig: „Wenn jetzt ein
Priester bei der Hand wäre, so würde er auf die Natur des bestimmten Ge¬
wissens, das er vor sich hat, Rücksicht nehmen und mit demselben die Nothwen¬
digkeit unsrer Handlungsweise vermitteln. Ich bin in dergleichen psychologischen
Feinheiten nicht zu Hause, ich sehe nur das Ziel vor uns, welches wir erreichen
müssen, ich weiß, daß ich nicht durch persönliche Motive, sondern durch allgemeine
Rücksichten dahin getrieben werde, und wiederhole daher einfach, das Haus der
Douglas muß fallen." — In dieser Art sich auszudrücken, sehen wir freilich mehr
den über feine Intentionen reflectirenden Dichter, als den Charakter selbst, und
das ist ein Fehler, der sast bei allen englischen Dramatikern wiederkehrt; aber
wenigstens können wir die Intentionen selbst billigen. — Auch als sich die Fol¬
gen seiner Thaten gegen ihn selber wenden und ihn zum Selbstmord treiben,
verfällt er nicht in feige Rene. „Ich hatte eine Mission zu erfüllen, ich habe sie,
erfüllt; wozu sollte ich noch weiter leben? Etwa warten, daß die Gespenster mei¬
ner Thaten sich um mich sammeln und vielleicht auch mein alterndes Gewissen
verwirren? Lieber bringe ich dem Vaterlande, dem ich so viele blutige Opfer ge¬
schlachtet, auch dieses letzte Opfer meines Lebens." — Diesem entschlossenen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/100>, abgerufen am 24.07.2024.