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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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einer in der Sprache wirklich ausgedrückten Poesie zu betrachten: -- ein Resultat,
mit welchem die Oper anfängt.

Das Verdammungsurtheil über die Oper selbst leidet wieder an einem wunder¬
lichen Widerspruch. Die Verirrungen derselben werden fast ausschließlich den
Componisten aufgebürdet, obgleich die wenigsten derselben, namentlich die älteren,
sich auf die Conception des Textes einen Einfluß erlaubten. Nun wird aber in
einer ganz vortrefflichen Exposition, mit der wir vollständig übereinstimmen, von
Mozart nachgewiesen, daß er, der sich lediglich darauf beschränkt habe, für die
ihm zufällig in die Hände gefallenen Texte den entsprechenden Ausdruck zu finden,
das Höchste in der Kunst geleistet habe, und daß, was in seinen Opern mangel¬
haft sei, lediglich dem Text zur Last falle. Es scheint also doch, als sei die Kunst
des musikalischen Ausdrucks nicht eine neue, die man erst zu erfinden habe, son¬
dern die wenigstens von diesem einen Künstler, dem sich doch noch einige andere
beigesellen werden (es ist z. B. auffallend, daß von Fidelio gar keine Rede ist),
vollkommen erreicht ist, daß mau also, um die Oper zu reformiren, weniger auf
die Regeln der Komposition, als auf die Regeln einer besondern Gattung der
Poesie sein Augenmerk zu richten habe, durch welche Ansicht eigentlich die ganze
Exposition des ersten Bandes vollständig zusammenstürzt. Nur ist dabei noch ein
anderes Mißverständniß zu beachten. Es sieht nämlich fast so aus, als ob Mozart
weiter Nichts gethan habe, als das, was ihm der Librettodichter auszudrücken
gab, wirklich auszudrücken, ungefähr wie Kind behauptete, daß die Weber'sche
Melodie zum Jungfernkranz bereits vollständig in seinem Text liege, und daß
man diesen nur richtig auszusprechen habe, um jene zu singen. Ich sage, fast
sieht es so aus, und man wird in. dieser Vermuthung noch bestärkt durch die
spätere Exposition des Kunstwerks der Zukunft, in welcher der Dichter mit der
Erfindung der Melodien beauftragt wird, während dem Componisten nur die
Aufgabe bleibt, die in dieser Melodie implicite bereits enthaltene Harmonie zu
finden. Einer solchen Ansicht gegenüber ist man aber wol nicht zu stark, wenn
mau behauptet, es seien nichts als leere Worte. Es wird zwar ziemlich weit¬
läufig das Liebesverhältniß ausgemalt, welches zwischen dem Dichter und dem
Componisten stattfinden müsse, aber diese Ausmalung giebt zwar eine Reihe von
Bildern, allein nicht den geringsten bestimmten Gedanken. Freilich wird nur der¬
jenige Componist eine gute Oper zu Stande bringen, der von seinem Text we¬
nigstens bis zu einem gewissen Grade begeistert ist; aber die brennende Frage
bleibt immer die: Wie muß ein solcher Text beschaffen sein, um einen verständigen,
über das Wesen seiner Kunst klaren Componisten zu begeistern, und wie muß
sich ein solcher Text von einem Drama, wie muß sich die Komposition einer Oper
von einer Symphonie u. s. w. unterscheiden?

Zwar macht Wagner von Zeit zu Zeit einen Anlauf, um für diese Fragen
Irgend eine Antwort zu finden, aber wenn man ihn zu fassen glaubt, entschlüpft


einer in der Sprache wirklich ausgedrückten Poesie zu betrachten: — ein Resultat,
mit welchem die Oper anfängt.

Das Verdammungsurtheil über die Oper selbst leidet wieder an einem wunder¬
lichen Widerspruch. Die Verirrungen derselben werden fast ausschließlich den
Componisten aufgebürdet, obgleich die wenigsten derselben, namentlich die älteren,
sich auf die Conception des Textes einen Einfluß erlaubten. Nun wird aber in
einer ganz vortrefflichen Exposition, mit der wir vollständig übereinstimmen, von
Mozart nachgewiesen, daß er, der sich lediglich darauf beschränkt habe, für die
ihm zufällig in die Hände gefallenen Texte den entsprechenden Ausdruck zu finden,
das Höchste in der Kunst geleistet habe, und daß, was in seinen Opern mangel¬
haft sei, lediglich dem Text zur Last falle. Es scheint also doch, als sei die Kunst
des musikalischen Ausdrucks nicht eine neue, die man erst zu erfinden habe, son¬
dern die wenigstens von diesem einen Künstler, dem sich doch noch einige andere
beigesellen werden (es ist z. B. auffallend, daß von Fidelio gar keine Rede ist),
vollkommen erreicht ist, daß mau also, um die Oper zu reformiren, weniger auf
die Regeln der Komposition, als auf die Regeln einer besondern Gattung der
Poesie sein Augenmerk zu richten habe, durch welche Ansicht eigentlich die ganze
Exposition des ersten Bandes vollständig zusammenstürzt. Nur ist dabei noch ein
anderes Mißverständniß zu beachten. Es sieht nämlich fast so aus, als ob Mozart
weiter Nichts gethan habe, als das, was ihm der Librettodichter auszudrücken
gab, wirklich auszudrücken, ungefähr wie Kind behauptete, daß die Weber'sche
Melodie zum Jungfernkranz bereits vollständig in seinem Text liege, und daß
man diesen nur richtig auszusprechen habe, um jene zu singen. Ich sage, fast
sieht es so aus, und man wird in. dieser Vermuthung noch bestärkt durch die
spätere Exposition des Kunstwerks der Zukunft, in welcher der Dichter mit der
Erfindung der Melodien beauftragt wird, während dem Componisten nur die
Aufgabe bleibt, die in dieser Melodie implicite bereits enthaltene Harmonie zu
finden. Einer solchen Ansicht gegenüber ist man aber wol nicht zu stark, wenn
mau behauptet, es seien nichts als leere Worte. Es wird zwar ziemlich weit¬
läufig das Liebesverhältniß ausgemalt, welches zwischen dem Dichter und dem
Componisten stattfinden müsse, aber diese Ausmalung giebt zwar eine Reihe von
Bildern, allein nicht den geringsten bestimmten Gedanken. Freilich wird nur der¬
jenige Componist eine gute Oper zu Stande bringen, der von seinem Text we¬
nigstens bis zu einem gewissen Grade begeistert ist; aber die brennende Frage
bleibt immer die: Wie muß ein solcher Text beschaffen sein, um einen verständigen,
über das Wesen seiner Kunst klaren Componisten zu begeistern, und wie muß
sich ein solcher Text von einem Drama, wie muß sich die Komposition einer Oper
von einer Symphonie u. s. w. unterscheiden?

Zwar macht Wagner von Zeit zu Zeit einen Anlauf, um für diese Fragen
Irgend eine Antwort zu finden, aber wenn man ihn zu fassen glaubt, entschlüpft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/95>, abgerufen am 22.07.2024.