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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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hat (mit diesem logischen Uubegriff übersetzt Wagner den Ausdruck "Effect");
dann aber ist ihm wieder daran gelegen, zu entwickeln, daß, um eine gute Mnsix
zu machen, Nichts weiter erforderlich ist, als sich mit gläubiger Begeisterung den
Intentionen der Dichtung hinzugeben; eine Ansicht, die keine Widerlegung ver¬
dient, denn man kann der größten Begeisterung fähig sein, ohne deshalb auch
nur die geringste Melodie zu Stande zu bringen, wenn man nicht das Talent
dazu hat.

So verkümmert Wagner durch eine falsche Verallgemeinerung überall das
zum Theil ganz Treffende seines Urtheils, und hebt dadurch den Nutzen, den seine
Erörterungen haben konnten, vollständig auf. Er begnügt sich uicht damit, an
den mit Recht getadelten Versuchen das Falsche nachzuweisen, sondern er trifft
alle Seiten derselben mit gleicher Verdammniß, und da eine concrete Erscheinung
nie ohne Positives sein kann, so wird der Consequenz wegen auch dieses Positive
verworfen. Mit großer Verachtung spricht er von der "staatsbürgerlichen" Kritik,
die, wie er ganz richtig bemerkt, überall conservativ zu verfahren sticht, d. h.
überall die Idee des Fortschritts an die wirklich vorhandenen Elemente anknüpft;
er macht ihr den Vorwurf, daß sie den Irrthum begünstige, weil sie nur an ihm
ihr Dasein habe. Aber dieses Verhältniß theilt die Kritik mit der Poesie, mit
dem Idealismus überhaupt, denn auch der letztere hat,sein Dasein uur an der
realen Welt, in welcher der Irrthum, das Uebermaß und die Unvollkommenheit
herrscht. Sobald die Kritik oder der Idealismus durch ein Wunder, d. h. dnrch
ein vollständiges Abbrechen mit den realen Bedingungen zu wirken sucht, so wird
ebeu Nichts erreicht, als zuerst eine fliegende Hitze und dann eine sehr uner¬
quickliche Ernüchterung. So geht es Wagner bei seiner Kritik der Oper und
des Drama's.

Im ersten Theile sucht er nämlich nachzuweisen, daß die Oper darum zu
keiner Kunstform kommen konnte, daß sie vielmehr naturgemäß immer ärger ver¬
wildern mußte, weil sie von einem absolut falschen Princip ausging. Die Oper
ertrage keine Reform, sie könne die Sünden ihrer Existenz nnr durch einen abso¬
luten Untergang büßen. Dasselbe wird im zweiten Bande vom Drama nach¬
gewiesen.

Aber damit ist es noch nicht genug. Innerhalb der ganzen Musik erscheint
die Oper immmer noch als der erträglichste Versuch. Die Orchester- wie die
Kammermusik fällt einer noch viel gründlichern Verdammniß anheim. -- Ebenso ist
es mit den übrigen Zweigen der Poesie. Wenn das Drama als eine Absurdität
angesehen werden muß, so gilt das in noch viel höherem Grade von der epischen
und lyrischen Poesie. -- Wir wollen versuchen, in diese Totalität der Verdamm¬
niß wenigstens einige Uebersicht zu bringen.

Als principieller Grund für die Verwerflichkeit der Oper wird angegeben,
daß in ihr die Musik, die nur Allsdruck sein kann, zugleich unternimmt, sich den


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hat (mit diesem logischen Uubegriff übersetzt Wagner den Ausdruck „Effect");
dann aber ist ihm wieder daran gelegen, zu entwickeln, daß, um eine gute Mnsix
zu machen, Nichts weiter erforderlich ist, als sich mit gläubiger Begeisterung den
Intentionen der Dichtung hinzugeben; eine Ansicht, die keine Widerlegung ver¬
dient, denn man kann der größten Begeisterung fähig sein, ohne deshalb auch
nur die geringste Melodie zu Stande zu bringen, wenn man nicht das Talent
dazu hat.

So verkümmert Wagner durch eine falsche Verallgemeinerung überall das
zum Theil ganz Treffende seines Urtheils, und hebt dadurch den Nutzen, den seine
Erörterungen haben konnten, vollständig auf. Er begnügt sich uicht damit, an
den mit Recht getadelten Versuchen das Falsche nachzuweisen, sondern er trifft
alle Seiten derselben mit gleicher Verdammniß, und da eine concrete Erscheinung
nie ohne Positives sein kann, so wird der Consequenz wegen auch dieses Positive
verworfen. Mit großer Verachtung spricht er von der „staatsbürgerlichen" Kritik,
die, wie er ganz richtig bemerkt, überall conservativ zu verfahren sticht, d. h.
überall die Idee des Fortschritts an die wirklich vorhandenen Elemente anknüpft;
er macht ihr den Vorwurf, daß sie den Irrthum begünstige, weil sie nur an ihm
ihr Dasein habe. Aber dieses Verhältniß theilt die Kritik mit der Poesie, mit
dem Idealismus überhaupt, denn auch der letztere hat,sein Dasein uur an der
realen Welt, in welcher der Irrthum, das Uebermaß und die Unvollkommenheit
herrscht. Sobald die Kritik oder der Idealismus durch ein Wunder, d. h. dnrch
ein vollständiges Abbrechen mit den realen Bedingungen zu wirken sucht, so wird
ebeu Nichts erreicht, als zuerst eine fliegende Hitze und dann eine sehr uner¬
quickliche Ernüchterung. So geht es Wagner bei seiner Kritik der Oper und
des Drama's.

Im ersten Theile sucht er nämlich nachzuweisen, daß die Oper darum zu
keiner Kunstform kommen konnte, daß sie vielmehr naturgemäß immer ärger ver¬
wildern mußte, weil sie von einem absolut falschen Princip ausging. Die Oper
ertrage keine Reform, sie könne die Sünden ihrer Existenz nnr durch einen abso¬
luten Untergang büßen. Dasselbe wird im zweiten Bande vom Drama nach¬
gewiesen.

Aber damit ist es noch nicht genug. Innerhalb der ganzen Musik erscheint
die Oper immmer noch als der erträglichste Versuch. Die Orchester- wie die
Kammermusik fällt einer noch viel gründlichern Verdammniß anheim. — Ebenso ist
es mit den übrigen Zweigen der Poesie. Wenn das Drama als eine Absurdität
angesehen werden muß, so gilt das in noch viel höherem Grade von der epischen
und lyrischen Poesie. — Wir wollen versuchen, in diese Totalität der Verdamm¬
niß wenigstens einige Uebersicht zu bringen.

Als principieller Grund für die Verwerflichkeit der Oper wird angegeben,
daß in ihr die Musik, die nur Allsdruck sein kann, zugleich unternimmt, sich den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/93>, abgerufen am 25.08.2024.