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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Meine Schwester hatte in das Hühnerhaus eine Gans zum Brüten gesetzt. Von
neun Eiern waren schon früher drei auf unbegreifliche Weise verschwunden, und
als nur noch 1 bis 2 Tage bis zur Beendigung der Brütezeit fehlten, verließ die
Gans das Nest, und uicht ein einziges El war zu sehen. Es wurde Haussuchung
uach dem Diebe angestellt, aber alle Bemühungen blieben vergeblich. Endlich wurde
die Vorrathskammer ausgeräumt, und unter dem Essigfasse lag in mehrfache Ringe
zusammengewunden eine grüngelb und schwarz gezeichnete Schlange ziemlich von
der Dicke eines Armes; sie machte weder Miene zu fliehen, uoch sich zu verthei¬
digen, richtete nur ein wenig den Kopf in die Hohe, ließ die Zunge phlegmatisch
vor dem kaum sichtbar geöffneten Köpfchen (sicherlich kein Rachen) spielen, und
blieb ruhig liegen; mit Hilfe einer in der Nähe stehenden Axt war sie bald durch
einen einzigen Hieb in drei Stücke getheilt. Mehrere Stunden lang lebte der
Kopf fort, während der Leib ohne Bewegung da lag. Sie hatte gegen ti Fuß
Länge; der Kopf und die benachbarten Theile des Rumpfes waren nur einen Zoll
dick, dagegen hatte der Bauch über 3 Zoll Durchmesser, uicht an und für sich,
sondern durch seinen Inhalt: ü Gänseeier, von denen 2 durch die Verdauung
schon ziemlich verändert, 3 aber noch ziemlich wohl erhalten waren, und ihre Form
noch vollständig beibehalten hatten, da die völlig ausgebildeten Gänschen zu con-
sistent waren, als daß sie hätten zerdrückt werden können. Ans der Vergleichung
der Dimensionen der Gänseeier mit denen des Kopfes und des Schlundes ergiebt
sich, welch ein hoher Grad von Elasticität den weichen Theilen und den Aesten
des Unterkiefers eigenthümlich ist.

Diese Schlange ist in einigen Farmer ein gefährlicher Feind der Hühnernester und
der jungen Hühner, während in anderen die vierfüßigen Ränber ihr Wesen treiben.
Einige Wochen nach der Entdeckung dieses Eicrdicbstahls wurde ich durch das ängstliche
Geschrei mehrerer Hühner ans dem Schlafe geweckt. Unter dem Fußboden eines kleinen,
im Innern 9 Fuß im Quadrat haltenden Blockhauses hatte sich eine Glücke mit halbwüch¬
sigen Küchelchen während der Nacht einquartiert. Die Nacht war sehr finster; ich war
genöthigt, meinen Schwager zu wecken, um wo möglich von diesem eine Lampe
oder eine Laterne zu leihen; eine Lampe ward zwar geschafft, aber es fehlte an
Oel; anstatt dessen sahen wir uns genöthigt, etwas ausgelassenes Fett von ge¬
salzenem Speck anzuwenden, welches aber der Flamme die unangenehme Eigen¬
schaft zuertheilte, daß sie uur 1 bis 2 Minuten höchst düster brannte und dann
resignirt verlöschte. Zu diesem Ungemach kam noch ein regnerisches und windiges
Wetter, welches die ohnedies kurze Brennzeit der Lampe noch mehr abzukürzen
suchte. Nach langen, vergeblichem Bemühen gelang es uns endlich auszukund¬
schaften, daß eine Schlange unter dem Hause > ihr böses Spiel treibe. Jetzt
wurde eine Diele losgerissen: wir glaubten das Feld überblicken zu können: da ver¬
losch die Lampe; die Lampe wurde wieder angezündet: die losgerissene Diele war
von der Schlange' zu weit entfernt, als daß wir letztere erreichen konnten; eine


Meine Schwester hatte in das Hühnerhaus eine Gans zum Brüten gesetzt. Von
neun Eiern waren schon früher drei auf unbegreifliche Weise verschwunden, und
als nur noch 1 bis 2 Tage bis zur Beendigung der Brütezeit fehlten, verließ die
Gans das Nest, und uicht ein einziges El war zu sehen. Es wurde Haussuchung
uach dem Diebe angestellt, aber alle Bemühungen blieben vergeblich. Endlich wurde
die Vorrathskammer ausgeräumt, und unter dem Essigfasse lag in mehrfache Ringe
zusammengewunden eine grüngelb und schwarz gezeichnete Schlange ziemlich von
der Dicke eines Armes; sie machte weder Miene zu fliehen, uoch sich zu verthei¬
digen, richtete nur ein wenig den Kopf in die Hohe, ließ die Zunge phlegmatisch
vor dem kaum sichtbar geöffneten Köpfchen (sicherlich kein Rachen) spielen, und
blieb ruhig liegen; mit Hilfe einer in der Nähe stehenden Axt war sie bald durch
einen einzigen Hieb in drei Stücke getheilt. Mehrere Stunden lang lebte der
Kopf fort, während der Leib ohne Bewegung da lag. Sie hatte gegen ti Fuß
Länge; der Kopf und die benachbarten Theile des Rumpfes waren nur einen Zoll
dick, dagegen hatte der Bauch über 3 Zoll Durchmesser, uicht an und für sich,
sondern durch seinen Inhalt: ü Gänseeier, von denen 2 durch die Verdauung
schon ziemlich verändert, 3 aber noch ziemlich wohl erhalten waren, und ihre Form
noch vollständig beibehalten hatten, da die völlig ausgebildeten Gänschen zu con-
sistent waren, als daß sie hätten zerdrückt werden können. Ans der Vergleichung
der Dimensionen der Gänseeier mit denen des Kopfes und des Schlundes ergiebt
sich, welch ein hoher Grad von Elasticität den weichen Theilen und den Aesten
des Unterkiefers eigenthümlich ist.

Diese Schlange ist in einigen Farmer ein gefährlicher Feind der Hühnernester und
der jungen Hühner, während in anderen die vierfüßigen Ränber ihr Wesen treiben.
Einige Wochen nach der Entdeckung dieses Eicrdicbstahls wurde ich durch das ängstliche
Geschrei mehrerer Hühner ans dem Schlafe geweckt. Unter dem Fußboden eines kleinen,
im Innern 9 Fuß im Quadrat haltenden Blockhauses hatte sich eine Glücke mit halbwüch¬
sigen Küchelchen während der Nacht einquartiert. Die Nacht war sehr finster; ich war
genöthigt, meinen Schwager zu wecken, um wo möglich von diesem eine Lampe
oder eine Laterne zu leihen; eine Lampe ward zwar geschafft, aber es fehlte an
Oel; anstatt dessen sahen wir uns genöthigt, etwas ausgelassenes Fett von ge¬
salzenem Speck anzuwenden, welches aber der Flamme die unangenehme Eigen¬
schaft zuertheilte, daß sie uur 1 bis 2 Minuten höchst düster brannte und dann
resignirt verlöschte. Zu diesem Ungemach kam noch ein regnerisches und windiges
Wetter, welches die ohnedies kurze Brennzeit der Lampe noch mehr abzukürzen
suchte. Nach langen, vergeblichem Bemühen gelang es uns endlich auszukund¬
schaften, daß eine Schlange unter dem Hause > ihr böses Spiel treibe. Jetzt
wurde eine Diele losgerissen: wir glaubten das Feld überblicken zu können: da ver¬
losch die Lampe; die Lampe wurde wieder angezündet: die losgerissene Diele war
von der Schlange' zu weit entfernt, als daß wir letztere erreichen konnten; eine


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[0072] Meine Schwester hatte in das Hühnerhaus eine Gans zum Brüten gesetzt. Von neun Eiern waren schon früher drei auf unbegreifliche Weise verschwunden, und als nur noch 1 bis 2 Tage bis zur Beendigung der Brütezeit fehlten, verließ die Gans das Nest, und uicht ein einziges El war zu sehen. Es wurde Haussuchung uach dem Diebe angestellt, aber alle Bemühungen blieben vergeblich. Endlich wurde die Vorrathskammer ausgeräumt, und unter dem Essigfasse lag in mehrfache Ringe zusammengewunden eine grüngelb und schwarz gezeichnete Schlange ziemlich von der Dicke eines Armes; sie machte weder Miene zu fliehen, uoch sich zu verthei¬ digen, richtete nur ein wenig den Kopf in die Hohe, ließ die Zunge phlegmatisch vor dem kaum sichtbar geöffneten Köpfchen (sicherlich kein Rachen) spielen, und blieb ruhig liegen; mit Hilfe einer in der Nähe stehenden Axt war sie bald durch einen einzigen Hieb in drei Stücke getheilt. Mehrere Stunden lang lebte der Kopf fort, während der Leib ohne Bewegung da lag. Sie hatte gegen ti Fuß Länge; der Kopf und die benachbarten Theile des Rumpfes waren nur einen Zoll dick, dagegen hatte der Bauch über 3 Zoll Durchmesser, uicht an und für sich, sondern durch seinen Inhalt: ü Gänseeier, von denen 2 durch die Verdauung schon ziemlich verändert, 3 aber noch ziemlich wohl erhalten waren, und ihre Form noch vollständig beibehalten hatten, da die völlig ausgebildeten Gänschen zu con- sistent waren, als daß sie hätten zerdrückt werden können. Ans der Vergleichung der Dimensionen der Gänseeier mit denen des Kopfes und des Schlundes ergiebt sich, welch ein hoher Grad von Elasticität den weichen Theilen und den Aesten des Unterkiefers eigenthümlich ist. Diese Schlange ist in einigen Farmer ein gefährlicher Feind der Hühnernester und der jungen Hühner, während in anderen die vierfüßigen Ränber ihr Wesen treiben. Einige Wochen nach der Entdeckung dieses Eicrdicbstahls wurde ich durch das ängstliche Geschrei mehrerer Hühner ans dem Schlafe geweckt. Unter dem Fußboden eines kleinen, im Innern 9 Fuß im Quadrat haltenden Blockhauses hatte sich eine Glücke mit halbwüch¬ sigen Küchelchen während der Nacht einquartiert. Die Nacht war sehr finster; ich war genöthigt, meinen Schwager zu wecken, um wo möglich von diesem eine Lampe oder eine Laterne zu leihen; eine Lampe ward zwar geschafft, aber es fehlte an Oel; anstatt dessen sahen wir uns genöthigt, etwas ausgelassenes Fett von ge¬ salzenem Speck anzuwenden, welches aber der Flamme die unangenehme Eigen¬ schaft zuertheilte, daß sie uur 1 bis 2 Minuten höchst düster brannte und dann resignirt verlöschte. Zu diesem Ungemach kam noch ein regnerisches und windiges Wetter, welches die ohnedies kurze Brennzeit der Lampe noch mehr abzukürzen suchte. Nach langen, vergeblichem Bemühen gelang es uns endlich auszukund¬ schaften, daß eine Schlange unter dem Hause > ihr böses Spiel treibe. Jetzt wurde eine Diele losgerissen: wir glaubten das Feld überblicken zu können: da ver¬ losch die Lampe; die Lampe wurde wieder angezündet: die losgerissene Diele war von der Schlange' zu weit entfernt, als daß wir letztere erreichen konnten; eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/72>, abgerufen am 22.07.2024.