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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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wieder eine Schale voll geronnener oder auch süßer Milch, machten das tägliche
Labsal für die ermüdeten Arbeiter aus.

"Katharine hat gekalbt und das Kalb zu Nachbar E. in die Per gebracht;
wie werden wir die Kuh mit dem Kalbe Hieher bekommen?"

"Werden sie dort lassen müssen; ihr früherer Herr hat sie ebenfalls nie in
seiner Per gesehen, und als er sie einmal mit Gewalt abtreiben wollte, hat sie
sich niedergelegt, und alle Mühe war umsonst, sie zum Aufstehen zu bewegen."

"Hast du nichts von Marthe gehört?"

"Marthe soll bei San Felippe gehen, soll auch ein Kalb haben. Es wird
nöthig sein, daß wir in den nächsten Tagen ein Viehtniben veranstalten; auch
B. sucht seine Mary, und von M. laufen zwei Kälber 4 0 Meilen von hier, auch
in der Nähe von San Felippe; es wird nun hohe Zeit, daß wir unsre Kälber
marken; M. will uns helfen, sobald wir ihm helfen wollen." '

,,Auch von den Schweinen haben wir seit vorigem Herbst nichts gesehen."

"Die laufen nicht weit von hier, 6 Meilen, nach dem Bernhard zu; wenn
sie Junge haben, werden sie schon kommen; die sind an Brod gewöhnt, und
jetzt giebt es im Walde nicht so viel zu fressen, daß sie die Jungen ernähren
könnten."

Solche und ähnliche Gespräche bildeten die Unterhaltung währende des
Abendessens. -- Während dieser Zeit war es dunkel geworden, -- die Däm¬
merung währt unter jenem Himmelsstriche nur kurze Zeit; -- meine Schwester zün¬
dete die kleine, mit allsgelassenem Speck genährte Lampe an; lind während sie ein
zerrissenes Kleidungsstück ausbesserte, und die Kinder die Gefäße reinigten, suchten
wir Männer uns und die ganze Gesellschaft durch Vorlesen zu unterhalten, hörten
jedoch gewöhnlich bald auf, da die. kleine Lampe kaum hinlängliches Licht für
eine Person gewährte, und der fortwährende Zug, welcher unaufhörlich durch
Thür, Feuster, Kamin und Spalten in den Wänden herein und Hittaus ging, sie
öfter fast zum Auslöschen brachte. Dann rollten wir wol etwas Tabak in ein
Maisblatt, oder hohlem einen Maiskolben als Pfeifenkopf aus, und steckten in
denselben ein Stück Nohr, stopften ihn mit Tabak, zündeten ihn an, und setzten
unsre Phantasie in Thätigkeit, um als in das 01ä eountr^ zurück zu-versetzen,
wo wir einst, die türkische Pfeife im Munde, uns behaglich von Wissenschaft, Kunst,
Politik und den Angelegenheiten unsrer Freunde lind Bekannten unterhielten, oder
mit gemüthlichem Geplauder einander aufzogen. Anders waren die Zeiten, ein
Anderer war ich geworden; ob besser oder schlechter, darüber konnte ich mir nicht
gerade Auskunft geben, aber anders gewiß. Sehnsüchtig verlangte ich nach dem
zurück, was ich in Uebermuth verlassen hatte, und Alles, was ich als bedeutungslos
weggeworfen, stand jetzt als großes Gilt vor meinen Augen. "Du hast das
Heimweh", sagte man zu mir; "gieb Dich zufrieden; iß noch vier Wochen Mais¬
brod und Speck, und Dn bist kein Deutscher mehr, aber ein Texaner. Eben so


Grenzboten. I. 8

wieder eine Schale voll geronnener oder auch süßer Milch, machten das tägliche
Labsal für die ermüdeten Arbeiter aus.

„Katharine hat gekalbt und das Kalb zu Nachbar E. in die Per gebracht;
wie werden wir die Kuh mit dem Kalbe Hieher bekommen?"

„Werden sie dort lassen müssen; ihr früherer Herr hat sie ebenfalls nie in
seiner Per gesehen, und als er sie einmal mit Gewalt abtreiben wollte, hat sie
sich niedergelegt, und alle Mühe war umsonst, sie zum Aufstehen zu bewegen."

„Hast du nichts von Marthe gehört?"

„Marthe soll bei San Felippe gehen, soll auch ein Kalb haben. Es wird
nöthig sein, daß wir in den nächsten Tagen ein Viehtniben veranstalten; auch
B. sucht seine Mary, und von M. laufen zwei Kälber 4 0 Meilen von hier, auch
in der Nähe von San Felippe; es wird nun hohe Zeit, daß wir unsre Kälber
marken; M. will uns helfen, sobald wir ihm helfen wollen." '

,,Auch von den Schweinen haben wir seit vorigem Herbst nichts gesehen."

„Die laufen nicht weit von hier, 6 Meilen, nach dem Bernhard zu; wenn
sie Junge haben, werden sie schon kommen; die sind an Brod gewöhnt, und
jetzt giebt es im Walde nicht so viel zu fressen, daß sie die Jungen ernähren
könnten."

Solche und ähnliche Gespräche bildeten die Unterhaltung währende des
Abendessens. — Während dieser Zeit war es dunkel geworden, — die Däm¬
merung währt unter jenem Himmelsstriche nur kurze Zeit; — meine Schwester zün¬
dete die kleine, mit allsgelassenem Speck genährte Lampe an; lind während sie ein
zerrissenes Kleidungsstück ausbesserte, und die Kinder die Gefäße reinigten, suchten
wir Männer uns und die ganze Gesellschaft durch Vorlesen zu unterhalten, hörten
jedoch gewöhnlich bald auf, da die. kleine Lampe kaum hinlängliches Licht für
eine Person gewährte, und der fortwährende Zug, welcher unaufhörlich durch
Thür, Feuster, Kamin und Spalten in den Wänden herein und Hittaus ging, sie
öfter fast zum Auslöschen brachte. Dann rollten wir wol etwas Tabak in ein
Maisblatt, oder hohlem einen Maiskolben als Pfeifenkopf aus, und steckten in
denselben ein Stück Nohr, stopften ihn mit Tabak, zündeten ihn an, und setzten
unsre Phantasie in Thätigkeit, um als in das 01ä eountr^ zurück zu-versetzen,
wo wir einst, die türkische Pfeife im Munde, uns behaglich von Wissenschaft, Kunst,
Politik und den Angelegenheiten unsrer Freunde lind Bekannten unterhielten, oder
mit gemüthlichem Geplauder einander aufzogen. Anders waren die Zeiten, ein
Anderer war ich geworden; ob besser oder schlechter, darüber konnte ich mir nicht
gerade Auskunft geben, aber anders gewiß. Sehnsüchtig verlangte ich nach dem
zurück, was ich in Uebermuth verlassen hatte, und Alles, was ich als bedeutungslos
weggeworfen, stand jetzt als großes Gilt vor meinen Augen. „Du hast das
Heimweh", sagte man zu mir; „gieb Dich zufrieden; iß noch vier Wochen Mais¬
brod und Speck, und Dn bist kein Deutscher mehr, aber ein Texaner. Eben so


Grenzboten. I. 8
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/67>, abgerufen am 22.07.2024.