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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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gebracht; sie sind nun gezwungen, die bequemere Rolle des Oppositionsmannes,
der nur Theorien aufzustellen braucht, mit der verantwortlichen des Staatsmannes,
von dem man Maßregeln verlangt, zu vertauschen, und dadurch in die gefähr¬
liche Alternative gestellt, entweder ihrer staatsmännischen Einsicht zu folgen,
und dadurch sich ihrer Partei auf immer zu entfremden, oder wider besseres
Wissen dem Drängen ihrer Partei nachzugeben, und das Land in eine gefähr¬
liche Krisis zu stürzen, an deren Ende ebenfalls ihr politischer Untergang steht.

Wie wenig Talent und staatsmännische Erfahrung in den Reihen der Partei
zu finden ist, haben wir bei der Bildung des gegenwärtigen Ministeriums gesehen.
Die Masse der Partei besteht meistens aus Grundbesitzern, dann aus einigen
ehrgeizigen, aber nicht sehr fähigen Advocaten und den Resten des ehemaligen
westindischen Interesses (der bei der Znckerproduction und dem Zuckerhandel
der westindischen Kolonien Betheiligten), und des in den letzten Zügen liegenden
Nhedereiinteresses -- beide durch das gleiche Bedürfuiß eines Schntzprivilegiums
gegen auswärtige Concurrenz mit den Grundbesitzern verwandt. Aber der Kitt,
der sie eigentlich zusammenhält, ist traditioneller Kastengeist. Sie haben sich an
einander geschlossen, weil sie meistens der ScMreg.rei^ (was wir Junkerthnm
übersetzen könnten) angehören, und weil sie an das göttliche Recht der Squire-
archy glauben. Aber wie Mosel und Rhein eine weite Strecke in einem Bette
fließen,, ohne ihre Wässer mit einander zu vermischen, so ziehen die Clienten der
Whighänser Derby, Richmond und Portland uuter einem Banner mit den
von Pitt creirten Pairs einher, ohne daß eine der beiden Parteien ihre angeerb-
ten persönlichen Vorurtheile und Grillen aufgegeben hat, und Zwiespalt der
Meinungen macht sich auch im Lager der Tories geltend. nominell sind sie alle
Protectionisten, aber ein großer Theil hat, wie die Führer, die Hoffnung auf¬
gegeben, ihre protectionistischen Grundsätze durchzuführen. Churchmen -- ent¬
schiedene Vertheidiger der Staatskirche -- sind sie Alle, aber die Uneinigkeit,
die in der Kirche selbst eingerissen ist, wiederholt sich in ihren Reihen, und sie
haben alle Schattirungen von dem antikatholischen Hochkirchenglauben, bis zu dem,
des Katholicismus mehr als verdächtigen Puseyismus aufzuweisen. Das "west¬
indische Interesse" und die Rheder sind zu oft der politischen Nothwendigkeit ge¬
opfert worden, um besonderes Vertrauen aus ihre Verbündeten zu setze", oder ihnen
aufrichtig ergeben zu sein. Jetzt, wo diese Partei wieder im Besitz der Macht
ist, wo sie aus ihrer negativen Oppositionsrolle heraustreten muß, wird ihre
innere Hohlheit bald an den Tag kommen.

Beiläufig erwähnen wir hier noch des "jungen Englands", nicht, weil
diese Coterie von irgend welcher politischen Bedeutung ist, sondern weil man ihr
merkwürdiger Weise seiner Zeit auf dem Continente eine ganz besondere Wichtigkeit
beilegte, und sie für berufen hielt, in den erstarrten Körper des Torhismus frisches
Lebensblut einströmen zu lassen, ein Glaube, der sogar jetzt noch nicht ganz ver-


gebracht; sie sind nun gezwungen, die bequemere Rolle des Oppositionsmannes,
der nur Theorien aufzustellen braucht, mit der verantwortlichen des Staatsmannes,
von dem man Maßregeln verlangt, zu vertauschen, und dadurch in die gefähr¬
liche Alternative gestellt, entweder ihrer staatsmännischen Einsicht zu folgen,
und dadurch sich ihrer Partei auf immer zu entfremden, oder wider besseres
Wissen dem Drängen ihrer Partei nachzugeben, und das Land in eine gefähr¬
liche Krisis zu stürzen, an deren Ende ebenfalls ihr politischer Untergang steht.

Wie wenig Talent und staatsmännische Erfahrung in den Reihen der Partei
zu finden ist, haben wir bei der Bildung des gegenwärtigen Ministeriums gesehen.
Die Masse der Partei besteht meistens aus Grundbesitzern, dann aus einigen
ehrgeizigen, aber nicht sehr fähigen Advocaten und den Resten des ehemaligen
westindischen Interesses (der bei der Znckerproduction und dem Zuckerhandel
der westindischen Kolonien Betheiligten), und des in den letzten Zügen liegenden
Nhedereiinteresses — beide durch das gleiche Bedürfuiß eines Schntzprivilegiums
gegen auswärtige Concurrenz mit den Grundbesitzern verwandt. Aber der Kitt,
der sie eigentlich zusammenhält, ist traditioneller Kastengeist. Sie haben sich an
einander geschlossen, weil sie meistens der ScMreg.rei^ (was wir Junkerthnm
übersetzen könnten) angehören, und weil sie an das göttliche Recht der Squire-
archy glauben. Aber wie Mosel und Rhein eine weite Strecke in einem Bette
fließen,, ohne ihre Wässer mit einander zu vermischen, so ziehen die Clienten der
Whighänser Derby, Richmond und Portland uuter einem Banner mit den
von Pitt creirten Pairs einher, ohne daß eine der beiden Parteien ihre angeerb-
ten persönlichen Vorurtheile und Grillen aufgegeben hat, und Zwiespalt der
Meinungen macht sich auch im Lager der Tories geltend. nominell sind sie alle
Protectionisten, aber ein großer Theil hat, wie die Führer, die Hoffnung auf¬
gegeben, ihre protectionistischen Grundsätze durchzuführen. Churchmen — ent¬
schiedene Vertheidiger der Staatskirche — sind sie Alle, aber die Uneinigkeit,
die in der Kirche selbst eingerissen ist, wiederholt sich in ihren Reihen, und sie
haben alle Schattirungen von dem antikatholischen Hochkirchenglauben, bis zu dem,
des Katholicismus mehr als verdächtigen Puseyismus aufzuweisen. Das „west¬
indische Interesse" und die Rheder sind zu oft der politischen Nothwendigkeit ge¬
opfert worden, um besonderes Vertrauen aus ihre Verbündeten zu setze», oder ihnen
aufrichtig ergeben zu sein. Jetzt, wo diese Partei wieder im Besitz der Macht
ist, wo sie aus ihrer negativen Oppositionsrolle heraustreten muß, wird ihre
innere Hohlheit bald an den Tag kommen.

Beiläufig erwähnen wir hier noch des „jungen Englands", nicht, weil
diese Coterie von irgend welcher politischen Bedeutung ist, sondern weil man ihr
merkwürdiger Weise seiner Zeit auf dem Continente eine ganz besondere Wichtigkeit
beilegte, und sie für berufen hielt, in den erstarrten Körper des Torhismus frisches
Lebensblut einströmen zu lassen, ein Glaube, der sogar jetzt noch nicht ganz ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/519>, abgerufen am 22.07.2024.