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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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stets mehr hemmte als forderte. Das Bündniß mit den unabhängigen Liberalen
wurde fester geknüpft. Einige wurden zu untergeordneten Stellen zugelassen.
Sie besaßen jedoch nicht Macht genug, um einigen Einfluß auf die Handlungs¬
weise der Minister auszuüben; durch ihre passive Stellung verdarben sie es mit
den unabhängigen Liberalen, und wie Alle in einer solchen Lage, wurden sie bald
die gefügigsten Ministeriellen. Die Zwietracht zwischen Lord Durham und dem
damaligen Premier Lord Melbourne gab der nur schlechtverhehlten Feindseligkeit
der Greys und ihres Anhangs gegen die Partei Russell und Landsdowne und
die Canningiten beständig neue Nahrung; die gezähmten unabhängigen Liberalen
schlössen sich Letzteren -- dem conservativern Theil des Ministeriums -- an. Die
Uneinigkeit der Melbourn'schen Partei, der Greys und der O'Connelliten
schwächte und lähmte die ministerielle Majorität. Unterdessen organisirte Sir R.
Peel mit unermüdlichem Eifer eine neue Oppositionspartei, die er die conserva-
tive nannte. Sie erhielt sehr starken Zuwachs durch die furchtsamen und schwan¬
kenden Politiker, welche sich von dem ansteckenden Enthusiasmus der Reform¬
billepoche hatten fortreißen lassen, sich jetzt aber wieder zu conservativen Grund¬
sätzen bekannten. Ihr Abfall schwächte noch mehr die Majorität, die schon durch
innere Zwistigkeiten sich dem Zerfall zuneigte.

Da brachte die Antikorngesetzagitation ein neues Element der Zwietracht in
die Reihen der Majorität. Die Radicalen der Westminster-Neviewschule und
die meisten Parlamentsmitglieder ans den Fabrikdistricten begünstigten die Bewe¬
gung gegen die Kornzölle; Grey und Russell, Whigs und Canningiten waren
meistens gegen sie, wie es am Ende bei Grundbesitzern und Verwandten des
großen Grundadels natürlich war. Aber diese Abneigung vermehrte das Mi߬
trauen und die Gleichgiltigkeit der unabhängigen Liberalen gegen die ministerielle
Partei. Letztere wurde täglich schwächer, und endlich sah sie sich durch Sir R.
Peel aus dem Amte verdrängt. Seine weitgreifenden Reformen in der Han¬
delspolitik richteten zwar seine eigene Partei zu Grunde, aber vermehrten auch
die Spaltungen in den liberalen Reihen. Viele der, unabhängigen Liberalen ge¬
wöhnten sich, die Whigs und Peeliteu als Parteien zu betrachten, die in keinem
wesentlichen Punkte von einander abwichen. Ans den Reihen der traditionellen
Whigs traten Viele, von persönlichem Interesse als Grundbesitzer bewogen, zu
deu Protectionisten über, als nach Peel's Sturz Lord I. Russell die Freihandels¬
politik desselben fortsetzte; es waren darunter Namen, wie Lord Bentinck aus
dem Hause Portland, und Lord Canning, die für die Whigs eine historische
Bedeutung hatten. So sah sich die Partei des Ministeriums Russell auf die
Combination der Grey - und Russell-Whigs und der Canningiten reducirt, ans
der nach und nach zuerst Lord Stanley und Sir I. Graham, dann die große
Masse der Unentschiedenen, die sich Sir N. Peel bei >der Organisation der con¬
servativen angeschlossen hatten, und zuletzt Lord G. Beutiuck und die Prvtec-


stets mehr hemmte als forderte. Das Bündniß mit den unabhängigen Liberalen
wurde fester geknüpft. Einige wurden zu untergeordneten Stellen zugelassen.
Sie besaßen jedoch nicht Macht genug, um einigen Einfluß auf die Handlungs¬
weise der Minister auszuüben; durch ihre passive Stellung verdarben sie es mit
den unabhängigen Liberalen, und wie Alle in einer solchen Lage, wurden sie bald
die gefügigsten Ministeriellen. Die Zwietracht zwischen Lord Durham und dem
damaligen Premier Lord Melbourne gab der nur schlechtverhehlten Feindseligkeit
der Greys und ihres Anhangs gegen die Partei Russell und Landsdowne und
die Canningiten beständig neue Nahrung; die gezähmten unabhängigen Liberalen
schlössen sich Letzteren — dem conservativern Theil des Ministeriums — an. Die
Uneinigkeit der Melbourn'schen Partei, der Greys und der O'Connelliten
schwächte und lähmte die ministerielle Majorität. Unterdessen organisirte Sir R.
Peel mit unermüdlichem Eifer eine neue Oppositionspartei, die er die conserva-
tive nannte. Sie erhielt sehr starken Zuwachs durch die furchtsamen und schwan¬
kenden Politiker, welche sich von dem ansteckenden Enthusiasmus der Reform¬
billepoche hatten fortreißen lassen, sich jetzt aber wieder zu conservativen Grund¬
sätzen bekannten. Ihr Abfall schwächte noch mehr die Majorität, die schon durch
innere Zwistigkeiten sich dem Zerfall zuneigte.

Da brachte die Antikorngesetzagitation ein neues Element der Zwietracht in
die Reihen der Majorität. Die Radicalen der Westminster-Neviewschule und
die meisten Parlamentsmitglieder ans den Fabrikdistricten begünstigten die Bewe¬
gung gegen die Kornzölle; Grey und Russell, Whigs und Canningiten waren
meistens gegen sie, wie es am Ende bei Grundbesitzern und Verwandten des
großen Grundadels natürlich war. Aber diese Abneigung vermehrte das Mi߬
trauen und die Gleichgiltigkeit der unabhängigen Liberalen gegen die ministerielle
Partei. Letztere wurde täglich schwächer, und endlich sah sie sich durch Sir R.
Peel aus dem Amte verdrängt. Seine weitgreifenden Reformen in der Han¬
delspolitik richteten zwar seine eigene Partei zu Grunde, aber vermehrten auch
die Spaltungen in den liberalen Reihen. Viele der, unabhängigen Liberalen ge¬
wöhnten sich, die Whigs und Peeliteu als Parteien zu betrachten, die in keinem
wesentlichen Punkte von einander abwichen. Ans den Reihen der traditionellen
Whigs traten Viele, von persönlichem Interesse als Grundbesitzer bewogen, zu
deu Protectionisten über, als nach Peel's Sturz Lord I. Russell die Freihandels¬
politik desselben fortsetzte; es waren darunter Namen, wie Lord Bentinck aus
dem Hause Portland, und Lord Canning, die für die Whigs eine historische
Bedeutung hatten. So sah sich die Partei des Ministeriums Russell auf die
Combination der Grey - und Russell-Whigs und der Canningiten reducirt, ans
der nach und nach zuerst Lord Stanley und Sir I. Graham, dann die große
Masse der Unentschiedenen, die sich Sir N. Peel bei >der Organisation der con¬
servativen angeschlossen hatten, und zuletzt Lord G. Beutiuck und die Prvtec-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/514>, abgerufen am 22.07.2024.