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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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nommer, welche sie als fremdes Sprachgnt hier und da, z. B. in Esthland und
Norwegen, gegenwärtig auch nur falsch und trümmerhaft gebrauchen... Die syrischen
Zigeuner dagegen haben bis auf den heutigeuTag die alten indischen Zahlen erhalten.
Da nnn alle europäischen Zigeuner ihre eigenen Stämme bei denselben Zahlen
verloren haben, so müssen sie schon ohne dieselben mit den griechischen Surrogaten
in das westliche Europa gekommen sein. Sie müssen also vor Anfang des 13. Jahr¬
hunderts schon lange in eifrigem Verkehr mit Griechen gewesen sein, denn ein
Volksstamm vergißt solche Theile seines Sprachgutes nur im Laufe der Jahrhun¬
derte. Weder uuter deu Rumainen, uoch uuter den'Ungarn hätten sie griechische
Zahlen angenommen, wol aber war dies an den asiatischen Ländern des Mittelmeeres
möglich, von denen aus sie ja auch während des Mittelalters nach Cypern übergesiedelt
waren. Es wird, wenn man diese einzelnen Anzeichen zusammenhält, demnach in hohem
Grade wahrscheinlich, daß die Zigeuner bereits vor den Kreuzzügen nach Klein¬
asien und Syrien gekommen sind', daß sich dort die syrischen und ägyptischen Hor¬
den von der Mehrzahl getrennt haben, daß diese Mehrzahl in langem Verkehr mit
den Griechen in Kleinasien gesessen hat, und von da ans in größeren und kleineren
Schwärmen die Inseln des Mittelmeeres und Griechenland besiedelte, die Moldau,
Ungarn und endlich das westliche Enropa auskundschaftete und massenhaft heimsuchte.

Im westlichen Europa wurden sie unter den verschiedensten Namen bald überall
eine Landplage, gegen welche die Gesetzgebung durch Jahrhunderte mit charakte¬
ristischer Rücksichtslosigkeit donnerte. Ueberall kamen Befehle sie zu vertreiben,
sie galten für Spione der Türken, sie galten für Zauberer, sie waren rechtlos;
noch nach dem Jahre 1700 wird in einem kleinen rheinischen Fürstenthum unter
andcrckn erlegten Wild auch eine Zigeunerin mit ihrem Säugling ausgeführt. Eine
Bande bricht uoch im 18. Jahrhundert in Thüringen ein, da erklärt ein Gesetz
von 1722 alle Männer für vogelfrei. In Preußen wird 1710 durch ein
Edict befohlen, sobald sie sich zeigen, sollen die Sturmglocken angeschlagen und
die Ortschaften gegen sie aufgeboten werden. An der Grenze werden Galgen
errichtet mit der Inschrift: "Strafe des Diebes- und Zigeunergesindels Manns¬
und Weibspersonen". Noch im Jahre 1725 sollen alle Zigeuner in den preu¬
ßischen Staaten, wenn sie über 18 Jahr alt sind, mögen sie einen Paß haben
oder nicht, gehenkt werden. Noch im Jahre 1748 erneuert Friedrich der Große
diese strengen Edicte. Und doch wurden sie nicht ganz ausgerottet. Einen wohl¬
thuenden Gegensatz bildet das Verhalten des civilisirten 19. Jahrhunderts. 1830
wird zu Friedrichslohra in Thüringen ein menschenfreundlicher, von der preußischen
Regierung warm beförderter Versuch gemacht, durch Unterstützung der-Erwach¬
senen und Erziehung der Kinder eine Bande von ungefähr 100 Mann zu bessern.
Der Versuch wird durch 7 Jahre fortgesetzt, und scheitert vollständig.

Gegenwärtig, leben die Zigeuner uoch am zahlreichsten in den Donaufürsten-
thümern und in Ungarn,, dort haben sie die meiste Schonung erfahren, und sich


nommer, welche sie als fremdes Sprachgnt hier und da, z. B. in Esthland und
Norwegen, gegenwärtig auch nur falsch und trümmerhaft gebrauchen... Die syrischen
Zigeuner dagegen haben bis auf den heutigeuTag die alten indischen Zahlen erhalten.
Da nnn alle europäischen Zigeuner ihre eigenen Stämme bei denselben Zahlen
verloren haben, so müssen sie schon ohne dieselben mit den griechischen Surrogaten
in das westliche Europa gekommen sein. Sie müssen also vor Anfang des 13. Jahr¬
hunderts schon lange in eifrigem Verkehr mit Griechen gewesen sein, denn ein
Volksstamm vergißt solche Theile seines Sprachgutes nur im Laufe der Jahrhun¬
derte. Weder uuter deu Rumainen, uoch uuter den'Ungarn hätten sie griechische
Zahlen angenommen, wol aber war dies an den asiatischen Ländern des Mittelmeeres
möglich, von denen aus sie ja auch während des Mittelalters nach Cypern übergesiedelt
waren. Es wird, wenn man diese einzelnen Anzeichen zusammenhält, demnach in hohem
Grade wahrscheinlich, daß die Zigeuner bereits vor den Kreuzzügen nach Klein¬
asien und Syrien gekommen sind', daß sich dort die syrischen und ägyptischen Hor¬
den von der Mehrzahl getrennt haben, daß diese Mehrzahl in langem Verkehr mit
den Griechen in Kleinasien gesessen hat, und von da ans in größeren und kleineren
Schwärmen die Inseln des Mittelmeeres und Griechenland besiedelte, die Moldau,
Ungarn und endlich das westliche Enropa auskundschaftete und massenhaft heimsuchte.

Im westlichen Europa wurden sie unter den verschiedensten Namen bald überall
eine Landplage, gegen welche die Gesetzgebung durch Jahrhunderte mit charakte¬
ristischer Rücksichtslosigkeit donnerte. Ueberall kamen Befehle sie zu vertreiben,
sie galten für Spione der Türken, sie galten für Zauberer, sie waren rechtlos;
noch nach dem Jahre 1700 wird in einem kleinen rheinischen Fürstenthum unter
andcrckn erlegten Wild auch eine Zigeunerin mit ihrem Säugling ausgeführt. Eine
Bande bricht uoch im 18. Jahrhundert in Thüringen ein, da erklärt ein Gesetz
von 1722 alle Männer für vogelfrei. In Preußen wird 1710 durch ein
Edict befohlen, sobald sie sich zeigen, sollen die Sturmglocken angeschlagen und
die Ortschaften gegen sie aufgeboten werden. An der Grenze werden Galgen
errichtet mit der Inschrift: „Strafe des Diebes- und Zigeunergesindels Manns¬
und Weibspersonen". Noch im Jahre 1725 sollen alle Zigeuner in den preu¬
ßischen Staaten, wenn sie über 18 Jahr alt sind, mögen sie einen Paß haben
oder nicht, gehenkt werden. Noch im Jahre 1748 erneuert Friedrich der Große
diese strengen Edicte. Und doch wurden sie nicht ganz ausgerottet. Einen wohl¬
thuenden Gegensatz bildet das Verhalten des civilisirten 19. Jahrhunderts. 1830
wird zu Friedrichslohra in Thüringen ein menschenfreundlicher, von der preußischen
Regierung warm beförderter Versuch gemacht, durch Unterstützung der-Erwach¬
senen und Erziehung der Kinder eine Bande von ungefähr 100 Mann zu bessern.
Der Versuch wird durch 7 Jahre fortgesetzt, und scheitert vollständig.

Gegenwärtig, leben die Zigeuner uoch am zahlreichsten in den Donaufürsten-
thümern und in Ungarn,, dort haben sie die meiste Schonung erfahren, und sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/510>, abgerufen am 22.07.2024.