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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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In dem weiten Gebiete von Persien und seinen Nachbarländern vagabon-
diren die Zigeuner ziemlich zahlreich und unter den verschiedenen Namen der
Karachi, Luri oder Luli und Kauli. Von-den Karachi's wissen wir durch Be¬
obachtung ihrer Sprache und ein Wörterverzeichniß sicher, daß sie Zigeuner sind.
Von den Lnri's und Kauli's versichern die englischen Reisenden mit" Bestimmt¬
heit, daß sie desselben Stammes sind, Und mit den Karachi's einen gemeinsamen
Dialekt sprechen, der den Persern ganz unverständlich ist. Gewißheit darüber
könnte uns nnr nähere Kenntniß anch ihrer Sprache geben. Diese ist um so
mehr zu wünschen, da eine alte persische Sage von dem indischen Ursprung der
Lnri ans ein bestimmtes indisches Volk führt.

Der Perser Firdusi erzählt nämlich in seinem Schahname, dem berühmten
Heldengedicht, bis 1011 n. Chr. geschrieben, daß einst Bahram-Gur, König
von Persien (MO--430), erfuhr, wie die Armen seines Landes sich über die
Härte der Zeit beklagten, ,,die Reichen tränken ihren Wein, und schmückten ihr Haupt
mit Blumenkränzen stets unter den Klängen der Musik, für die Armen sei keine
Musik vorhanden." Da lachte>der gute König und schrieb an Schankal, König von
Kanodje: "O Fürst, Verehrer der Gerechtigkeit! Meine Armen trinken ihren
Wein ohne Musik. Wähle von den Luri aus Indien zehntausend Männer
und Frauen, welche die Luth spielen, und sende sie zu mir." Die Luri wurden
dem König von Persien gesandt. Dieser gab ihnen besondere Wohnsitze in ver¬
schiedenen Gegenden seines Reiches, und schenkte jedem von ihnen eine Kuh und
einen Esel, hieß sie Dorfvorsteher erwählen, und gab den Würdigsten außerdem
tausend Last Saat-Getreide, damit sie seinen armen Unterthanen unentgelt¬
lich Musik machen könnten. -- Die Luri aber vergeudeten ihr Getreide, statt
zu säen, vernachlässigten ihre Kühe und liefen umher. Da schalt sie der König,
und befahl ihnen, ihre Esel zu nehmen, ihren Hausrath darauf zu laden und
fortan als Vagabonden vom Ertrage.ihrer Gesänge und ihrer Instrumente zu
leben, so daß sie alle Jahre durch sein ganzes Land ziehen und zur Freude der
Großen und der Kleinen singen sollten. Und deshalb streifen die Luri uoch
heut durch die Welt, in Gesellschaft der Hunde und Wölfe, suchen Beschäftigung,
und schweifen auf den Wegen bei Tag und bei Nacht."

Diese hübsche Sage, welche v. Hammer-Pnrgstall in den Wiener Jahr¬
büchern 1838 S. 1--64 unter Anderem behandelt und in deutsche Verse über¬
setzt hat, erhält größeres Gewicht dadurch, daß sie von mehreren persischen und
arabischen Schriftstellern mit originellen Abweichungen erzählt wird. Am wich¬
tigsten ist der Bericht des Historikers Hamza Jspahani, der als Araber zu
Jspahan geboren, seine Annalen um 940 nach persischen Angaben und Tradi¬
tionen aufzeichnete. Diese Annalen^) sind also noch etwas älter als Firdusi's Schah-



*) Namsao lspakaui ^naalium I^dri X on. I. U. L. (-ottwalcU. II ?om. I-ipswo 1844. 1848.

In dem weiten Gebiete von Persien und seinen Nachbarländern vagabon-
diren die Zigeuner ziemlich zahlreich und unter den verschiedenen Namen der
Karachi, Luri oder Luli und Kauli. Von-den Karachi's wissen wir durch Be¬
obachtung ihrer Sprache und ein Wörterverzeichniß sicher, daß sie Zigeuner sind.
Von den Lnri's und Kauli's versichern die englischen Reisenden mit" Bestimmt¬
heit, daß sie desselben Stammes sind, Und mit den Karachi's einen gemeinsamen
Dialekt sprechen, der den Persern ganz unverständlich ist. Gewißheit darüber
könnte uns nnr nähere Kenntniß anch ihrer Sprache geben. Diese ist um so
mehr zu wünschen, da eine alte persische Sage von dem indischen Ursprung der
Lnri ans ein bestimmtes indisches Volk führt.

Der Perser Firdusi erzählt nämlich in seinem Schahname, dem berühmten
Heldengedicht, bis 1011 n. Chr. geschrieben, daß einst Bahram-Gur, König
von Persien (MO—430), erfuhr, wie die Armen seines Landes sich über die
Härte der Zeit beklagten, ,,die Reichen tränken ihren Wein, und schmückten ihr Haupt
mit Blumenkränzen stets unter den Klängen der Musik, für die Armen sei keine
Musik vorhanden." Da lachte>der gute König und schrieb an Schankal, König von
Kanodje: „O Fürst, Verehrer der Gerechtigkeit! Meine Armen trinken ihren
Wein ohne Musik. Wähle von den Luri aus Indien zehntausend Männer
und Frauen, welche die Luth spielen, und sende sie zu mir." Die Luri wurden
dem König von Persien gesandt. Dieser gab ihnen besondere Wohnsitze in ver¬
schiedenen Gegenden seines Reiches, und schenkte jedem von ihnen eine Kuh und
einen Esel, hieß sie Dorfvorsteher erwählen, und gab den Würdigsten außerdem
tausend Last Saat-Getreide, damit sie seinen armen Unterthanen unentgelt¬
lich Musik machen könnten. — Die Luri aber vergeudeten ihr Getreide, statt
zu säen, vernachlässigten ihre Kühe und liefen umher. Da schalt sie der König,
und befahl ihnen, ihre Esel zu nehmen, ihren Hausrath darauf zu laden und
fortan als Vagabonden vom Ertrage.ihrer Gesänge und ihrer Instrumente zu
leben, so daß sie alle Jahre durch sein ganzes Land ziehen und zur Freude der
Großen und der Kleinen singen sollten. Und deshalb streifen die Luri uoch
heut durch die Welt, in Gesellschaft der Hunde und Wölfe, suchen Beschäftigung,
und schweifen auf den Wegen bei Tag und bei Nacht."

Diese hübsche Sage, welche v. Hammer-Pnrgstall in den Wiener Jahr¬
büchern 1838 S. 1—64 unter Anderem behandelt und in deutsche Verse über¬
setzt hat, erhält größeres Gewicht dadurch, daß sie von mehreren persischen und
arabischen Schriftstellern mit originellen Abweichungen erzählt wird. Am wich¬
tigsten ist der Bericht des Historikers Hamza Jspahani, der als Araber zu
Jspahan geboren, seine Annalen um 940 nach persischen Angaben und Tradi¬
tionen aufzeichnete. Diese Annalen^) sind also noch etwas älter als Firdusi's Schah-



*) Namsao lspakaui ^naalium I^dri X on. I. U. L. (-ottwalcU. II ?om. I-ipswo 1844. 1848.
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[0504] In dem weiten Gebiete von Persien und seinen Nachbarländern vagabon- diren die Zigeuner ziemlich zahlreich und unter den verschiedenen Namen der Karachi, Luri oder Luli und Kauli. Von-den Karachi's wissen wir durch Be¬ obachtung ihrer Sprache und ein Wörterverzeichniß sicher, daß sie Zigeuner sind. Von den Lnri's und Kauli's versichern die englischen Reisenden mit" Bestimmt¬ heit, daß sie desselben Stammes sind, Und mit den Karachi's einen gemeinsamen Dialekt sprechen, der den Persern ganz unverständlich ist. Gewißheit darüber könnte uns nnr nähere Kenntniß anch ihrer Sprache geben. Diese ist um so mehr zu wünschen, da eine alte persische Sage von dem indischen Ursprung der Lnri ans ein bestimmtes indisches Volk führt. Der Perser Firdusi erzählt nämlich in seinem Schahname, dem berühmten Heldengedicht, bis 1011 n. Chr. geschrieben, daß einst Bahram-Gur, König von Persien (MO—430), erfuhr, wie die Armen seines Landes sich über die Härte der Zeit beklagten, ,,die Reichen tränken ihren Wein, und schmückten ihr Haupt mit Blumenkränzen stets unter den Klängen der Musik, für die Armen sei keine Musik vorhanden." Da lachte>der gute König und schrieb an Schankal, König von Kanodje: „O Fürst, Verehrer der Gerechtigkeit! Meine Armen trinken ihren Wein ohne Musik. Wähle von den Luri aus Indien zehntausend Männer und Frauen, welche die Luth spielen, und sende sie zu mir." Die Luri wurden dem König von Persien gesandt. Dieser gab ihnen besondere Wohnsitze in ver¬ schiedenen Gegenden seines Reiches, und schenkte jedem von ihnen eine Kuh und einen Esel, hieß sie Dorfvorsteher erwählen, und gab den Würdigsten außerdem tausend Last Saat-Getreide, damit sie seinen armen Unterthanen unentgelt¬ lich Musik machen könnten. — Die Luri aber vergeudeten ihr Getreide, statt zu säen, vernachlässigten ihre Kühe und liefen umher. Da schalt sie der König, und befahl ihnen, ihre Esel zu nehmen, ihren Hausrath darauf zu laden und fortan als Vagabonden vom Ertrage.ihrer Gesänge und ihrer Instrumente zu leben, so daß sie alle Jahre durch sein ganzes Land ziehen und zur Freude der Großen und der Kleinen singen sollten. Und deshalb streifen die Luri uoch heut durch die Welt, in Gesellschaft der Hunde und Wölfe, suchen Beschäftigung, und schweifen auf den Wegen bei Tag und bei Nacht." Diese hübsche Sage, welche v. Hammer-Pnrgstall in den Wiener Jahr¬ büchern 1838 S. 1—64 unter Anderem behandelt und in deutsche Verse über¬ setzt hat, erhält größeres Gewicht dadurch, daß sie von mehreren persischen und arabischen Schriftstellern mit originellen Abweichungen erzählt wird. Am wich¬ tigsten ist der Bericht des Historikers Hamza Jspahani, der als Araber zu Jspahan geboren, seine Annalen um 940 nach persischen Angaben und Tradi¬ tionen aufzeichnete. Diese Annalen^) sind also noch etwas älter als Firdusi's Schah- *) Namsao lspakaui ^naalium I^dri X on. I. U. L. (-ottwalcU. II ?om. I-ipswo 1844. 1848.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/504>, abgerufen am 22.07.2024.