Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.da sie eine für Deutschland ganz neue ist. Zwei wissenschaftliche Journale, die Die neue Zeitschrift soll ihre reale Einheit erst suchen. Sie geht aller¬ Wer wollte läugnen, daß die Sprödigkeit unsrer deutschen Gelehrten, aus Aber mit dieser mikroskopischen Thätigkeit sind anch große Uebelstände ver¬ 61*
da sie eine für Deutschland ganz neue ist. Zwei wissenschaftliche Journale, die Die neue Zeitschrift soll ihre reale Einheit erst suchen. Sie geht aller¬ Wer wollte läugnen, daß die Sprödigkeit unsrer deutschen Gelehrten, aus Aber mit dieser mikroskopischen Thätigkeit sind anch große Uebelstände ver¬ 61*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0493" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93858"/> <p xml:id="ID_1354" prev="#ID_1353"> da sie eine für Deutschland ganz neue ist. Zwei wissenschaftliche Journale, die<lb/> in früherer Zeit einen sehr großen Einfluß auf die Literatur ausgeübt haben, die<lb/> Berliner und die Halleschen Jahrbücher, hatten eine davon sehr verschiedene Ten¬<lb/> denz. Sie gingen von einer bestimmten Schule an-s, die mau fast eine Partei<lb/> nennen konnte, und brachte« daher jene Einheit bereits mit, welche die neue<lb/> Zeitschrift erst suchen muß. Das war in einer Beziehung ein Vortheil, denn es<lb/> erleichterte die Gemeinsamkeit und damit die Freude am Arbeiten. Es war aber<lb/> auch ein Nachtheil, denn es machte die innere universelle Fortbildung schwer oder<lb/> fast unmöglich. Die äußere Einwirkung aber einer geschlossenen Richtung auf<lb/> die Gesammtliteratur kann nur für eine gewisse Zeit fortdauern. Daher waren<lb/> jene beiden Zeitschriften zu einer kurzen Blüthe schon von ihrer Geburt an<lb/> prädestinirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1355"> Die neue Zeitschrift soll ihre reale Einheit erst suchen. Sie geht aller¬<lb/> dings von eiuer Einheit aus, aber nur von einer ideellen, die noch keine<lb/> äußere Gestalt gefunden hat, von der Einheit der deutschen Wissenschaft. Ihre<lb/> erste Aufgabe wird also sein müssen, diese latente Einheit zum Bewußtsein zu<lb/> bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1356"> Wer wollte läugnen, daß die Sprödigkeit unsrer deutschen Gelehrten, aus<lb/> dem strengen Mechanismus ihres Forschens herauszugehen, ans den Ernst unsrer<lb/> Wissenschaft einen sehr heilsamen Einfluß ausgeübt hat? Wenn die französische»<lb/> und englischen Gelehrten mit der größten Leichtigkeit die Resultate ihrer For¬<lb/> schungen in gefälliger Form dem gebildeten Publicum darzustellen wissen, so ist<lb/> der Grund davon in der Entschlossenheit zu suchen, mit der sie ihre Forschungen<lb/> abschließen. Diese Entschlossenheit ist mit einem gewissen Leichtsinn unzertrennlich<lb/> verbunden, und unsre deutschen Gelehrten haben vollkommen Recht, wenn sie<lb/> über die Wissenschaftlichkeit, z. B. im .lournal clef Savants oder in einer eng¬<lb/> lischen Keview, zuweilen bedenklich den Kopf schütteln.</p><lb/> <p xml:id="ID_1357" next="#ID_1358"> Aber mit dieser mikroskopischen Thätigkeit sind anch große Uebelstände ver¬<lb/> bunden. Einmal bezieht sich jede originelle Forschung ans streitige Punkte, und<lb/> es wird selten eine wissenschaftliche Methode geben, welche diese Punkte so voll¬<lb/> ständig erledigt, daß die von anderen Voraussetzungen ausgehenden Gegner augen¬<lb/> blicklich davon überzeugt werden. So nimmt unsre Wissenschaft die Form einer<lb/> permanenten Polemik an, und nicht blos der draußen Stehende wird gar zu leicht<lb/> versucht, auf diese streitigen Punkte allein seine Aufmerksamkeit zu richten, und<lb/> die Forschungen, die es nie zu einer Darstellung bringen, mit einem gewissen<lb/> blastrten Skepticismus zu betrachten. Natürlich ist-das nicht in allen Wissen¬<lb/> schaften in gleichem Maße der Fall. Es giebt Wissenschaften, die ihre Resul¬<lb/> tate aller Welt so handgreiflich vor Angen legen können, daß sie jeden Zweifel<lb/> ausschließen; aber es giebt andere, die gerade durch die Form ihres Argumen-<lb/> tirens den 'Zweifel hervorrufen. Um auf die bedenkliche Frage der Theologie</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 61*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0493]
da sie eine für Deutschland ganz neue ist. Zwei wissenschaftliche Journale, die
in früherer Zeit einen sehr großen Einfluß auf die Literatur ausgeübt haben, die
Berliner und die Halleschen Jahrbücher, hatten eine davon sehr verschiedene Ten¬
denz. Sie gingen von einer bestimmten Schule an-s, die mau fast eine Partei
nennen konnte, und brachte« daher jene Einheit bereits mit, welche die neue
Zeitschrift erst suchen muß. Das war in einer Beziehung ein Vortheil, denn es
erleichterte die Gemeinsamkeit und damit die Freude am Arbeiten. Es war aber
auch ein Nachtheil, denn es machte die innere universelle Fortbildung schwer oder
fast unmöglich. Die äußere Einwirkung aber einer geschlossenen Richtung auf
die Gesammtliteratur kann nur für eine gewisse Zeit fortdauern. Daher waren
jene beiden Zeitschriften zu einer kurzen Blüthe schon von ihrer Geburt an
prädestinirt.
Die neue Zeitschrift soll ihre reale Einheit erst suchen. Sie geht aller¬
dings von eiuer Einheit aus, aber nur von einer ideellen, die noch keine
äußere Gestalt gefunden hat, von der Einheit der deutschen Wissenschaft. Ihre
erste Aufgabe wird also sein müssen, diese latente Einheit zum Bewußtsein zu
bringen.
Wer wollte läugnen, daß die Sprödigkeit unsrer deutschen Gelehrten, aus
dem strengen Mechanismus ihres Forschens herauszugehen, ans den Ernst unsrer
Wissenschaft einen sehr heilsamen Einfluß ausgeübt hat? Wenn die französische»
und englischen Gelehrten mit der größten Leichtigkeit die Resultate ihrer For¬
schungen in gefälliger Form dem gebildeten Publicum darzustellen wissen, so ist
der Grund davon in der Entschlossenheit zu suchen, mit der sie ihre Forschungen
abschließen. Diese Entschlossenheit ist mit einem gewissen Leichtsinn unzertrennlich
verbunden, und unsre deutschen Gelehrten haben vollkommen Recht, wenn sie
über die Wissenschaftlichkeit, z. B. im .lournal clef Savants oder in einer eng¬
lischen Keview, zuweilen bedenklich den Kopf schütteln.
Aber mit dieser mikroskopischen Thätigkeit sind anch große Uebelstände ver¬
bunden. Einmal bezieht sich jede originelle Forschung ans streitige Punkte, und
es wird selten eine wissenschaftliche Methode geben, welche diese Punkte so voll¬
ständig erledigt, daß die von anderen Voraussetzungen ausgehenden Gegner augen¬
blicklich davon überzeugt werden. So nimmt unsre Wissenschaft die Form einer
permanenten Polemik an, und nicht blos der draußen Stehende wird gar zu leicht
versucht, auf diese streitigen Punkte allein seine Aufmerksamkeit zu richten, und
die Forschungen, die es nie zu einer Darstellung bringen, mit einem gewissen
blastrten Skepticismus zu betrachten. Natürlich ist-das nicht in allen Wissen¬
schaften in gleichem Maße der Fall. Es giebt Wissenschaften, die ihre Resul¬
tate aller Welt so handgreiflich vor Angen legen können, daß sie jeden Zweifel
ausschließen; aber es giebt andere, die gerade durch die Form ihres Argumen-
tirens den 'Zweifel hervorrufen. Um auf die bedenkliche Frage der Theologie
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