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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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war auf die kärgliche Majorität von 21 eingeschränkt, während sie im vorigen
Jahre 1-K0 betragen hatte. Dieser Erfolg erregte allgemeines Erstaunen, und
wenn man damals auch uoch weit entfernt war, demselben eine praktische Wirkung
zuzuschreiben, so wurde doch seitdem der Antragsteller von Lord Russell officiell
als Führer der Opposition behandelt. Derselbe Antrag erlangte im Februar des
folgenden Jahres, als D'Jsraeli erklärte, er denke wenigstens vorläufig uicht
daran, die Wiedereinführung des Schutzzollsystems zu beantragen, 267 Stimmen.
Die ministerielle Majorität war auf 14 reducirt. Dies war der eigentliche Grund
der damaligen Krisis, obgleich der vorübergehende Rücktritt der Whigs officiell
an eine andere Veranlassung geknüpft wurde.

D'Jsraeli's neueste Thätigkeit, seine geschickte Benutzung der Uneinigkeit im La¬
ger der Whigs, um diese bei eiuer Gelegenheit, wo mau es am wenigsten erwartet
hätte, zu stürzen, ist bekannt. Ueber die neue Politik seiner Partei hat er sich bei Gele¬
genheit seiner Wiederwahl eben so zweifelhaft ausgesprochen, als die übrigen Minister.
Es ist diese Unsicherheit in Beziehung auf den Gang, den man verfolgen soll, in unsrem
Fall etwas ganz Anderes, als zu den Zeiten Peel's. Auch Peel ist niemals mit einem
bestimmt und schroff ausgesprochenen Princip in die Regierung getreten. Er hat
sich selbst bei den wichtigsten Fragen sehr häufig durch die Umstände und dnrch
den Druck der öffentlichen Meinung bestimmen lassen; allein man wußte bei ihm
und seinen Negiernngsgenossen, die sämmtlich zu den gewiegtesten Staatsmännern
Englands gehörten, die Sache in guten Händen, und wo nicht das unmittelbare
Interesse ins Spiel kam, war Jedermann überzeugt, daß Niemand besser als er
verstehen würde, die brennenden Fragen mit so viel Verstand zu lösen, als es
die Umstände möglich machten. Bei D'Jsraeli und seinen Collegen ist es etwas
ganz Anderes. Mit Ausnahme Lord Derby's sind sie alle neue Menschen, die
nur als Vertreter eines Princips ihre Stellung erlangt haben. Wenn sie nicht
entschlossen an die Ausführung dieses Princips gehen, so werfen sie damit ein
sehr übles Licht auf ihre frühere Opposition, denn in England ist man daran
gewöhnt, die Opposition nur als eine Schule sür eine künftige eventuelle Ne¬
gierung zu betrachten. Trotzdem könnte es leicht geschehen, daß sie sich länger
im Amte behaupten, als man es nach diesen Voraussetzungen annehmen sollte,
denn es wird dem englischen Volke bald darauf ankommen, daß es nur über¬
haupt regiert wird, da die Zahl der möglichen Regierungsparteien sich immer mehr
verkleinert. Die alten torystischen Staatsmänner , die sogenannten Peeliten, die
jedenfalls geeigneter wären zur Führung der Geschäfte, als die gegenwärtige
Verwaltung, haben keine Stütze im Parlament. Die Coterie der Whigs ist ge¬
sprengt, und aus den übrigen Fractionen, den alten Radicalen, der Manchester-
schnle, den. Katholiken und den chartistischen Demokraten, eine Regierung von
irgend welcher Physiognomie zu bilden, ist wol noch Niemandem eingefallen.




Grenzboten. I.60

war auf die kärgliche Majorität von 21 eingeschränkt, während sie im vorigen
Jahre 1-K0 betragen hatte. Dieser Erfolg erregte allgemeines Erstaunen, und
wenn man damals auch uoch weit entfernt war, demselben eine praktische Wirkung
zuzuschreiben, so wurde doch seitdem der Antragsteller von Lord Russell officiell
als Führer der Opposition behandelt. Derselbe Antrag erlangte im Februar des
folgenden Jahres, als D'Jsraeli erklärte, er denke wenigstens vorläufig uicht
daran, die Wiedereinführung des Schutzzollsystems zu beantragen, 267 Stimmen.
Die ministerielle Majorität war auf 14 reducirt. Dies war der eigentliche Grund
der damaligen Krisis, obgleich der vorübergehende Rücktritt der Whigs officiell
an eine andere Veranlassung geknüpft wurde.

D'Jsraeli's neueste Thätigkeit, seine geschickte Benutzung der Uneinigkeit im La¬
ger der Whigs, um diese bei eiuer Gelegenheit, wo mau es am wenigsten erwartet
hätte, zu stürzen, ist bekannt. Ueber die neue Politik seiner Partei hat er sich bei Gele¬
genheit seiner Wiederwahl eben so zweifelhaft ausgesprochen, als die übrigen Minister.
Es ist diese Unsicherheit in Beziehung auf den Gang, den man verfolgen soll, in unsrem
Fall etwas ganz Anderes, als zu den Zeiten Peel's. Auch Peel ist niemals mit einem
bestimmt und schroff ausgesprochenen Princip in die Regierung getreten. Er hat
sich selbst bei den wichtigsten Fragen sehr häufig durch die Umstände und dnrch
den Druck der öffentlichen Meinung bestimmen lassen; allein man wußte bei ihm
und seinen Negiernngsgenossen, die sämmtlich zu den gewiegtesten Staatsmännern
Englands gehörten, die Sache in guten Händen, und wo nicht das unmittelbare
Interesse ins Spiel kam, war Jedermann überzeugt, daß Niemand besser als er
verstehen würde, die brennenden Fragen mit so viel Verstand zu lösen, als es
die Umstände möglich machten. Bei D'Jsraeli und seinen Collegen ist es etwas
ganz Anderes. Mit Ausnahme Lord Derby's sind sie alle neue Menschen, die
nur als Vertreter eines Princips ihre Stellung erlangt haben. Wenn sie nicht
entschlossen an die Ausführung dieses Princips gehen, so werfen sie damit ein
sehr übles Licht auf ihre frühere Opposition, denn in England ist man daran
gewöhnt, die Opposition nur als eine Schule sür eine künftige eventuelle Ne¬
gierung zu betrachten. Trotzdem könnte es leicht geschehen, daß sie sich länger
im Amte behaupten, als man es nach diesen Voraussetzungen annehmen sollte,
denn es wird dem englischen Volke bald darauf ankommen, daß es nur über¬
haupt regiert wird, da die Zahl der möglichen Regierungsparteien sich immer mehr
verkleinert. Die alten torystischen Staatsmänner , die sogenannten Peeliten, die
jedenfalls geeigneter wären zur Führung der Geschäfte, als die gegenwärtige
Verwaltung, haben keine Stütze im Parlament. Die Coterie der Whigs ist ge¬
sprengt, und aus den übrigen Fractionen, den alten Radicalen, der Manchester-
schnle, den. Katholiken und den chartistischen Demokraten, eine Regierung von
irgend welcher Physiognomie zu bilden, ist wol noch Niemandem eingefallen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/483>, abgerufen am 22.07.2024.