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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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funden, daß alle bedeutenden Sänger, Sängerinnen, Komponisten, Gelehrten,
Staatsmänner eigentlich dem Volke Gottes angehören. So kommt er einmal
nach Berlin. Wen trifft er da zuerst an? Den Minister des Innern, Grafen
von Arnim-Boizenburg, einen "preußischen Juden"! -- Diese seltsame Schwär¬
merei für das Volk seiner Abstammung hat sehr viel Persiflage hervorgerufen;
aber im Ganzen hat er doch durch dieses Werk seinen Ruf gegründet. Er war
nun ein Mann der Mode geworden.

Eine politische Bedeutung gewann er erst dnrch den Uebergang Peel's zur
Freihandelspartei. Jetzt konnte er sich rühmen, den wankelmüthigen Premier besser
durchschaut zu haben, als die Aristokratie selbst, die dieser verrathen hatte. Das
erste und einzige Gefühl der Tories war Rache. Sie verbanden sich mit den
Whigs, um, den Verräther zu stürzen. An die Bildung einer festen politischen
Partei konnten sie vor der Hand nicht denken, da mit Ausnahme von Stanley
alle ihre bisherigen Staatsmänner mit Peel in die Reihen ihrer Gegner über¬
gegangen waren. Durch die bitteren Sarkasmen, mit denen D'Jsraeli den Pre¬
mier überhäufte, und in denen er in der Thdt eben soviel Talent wie Bosheit
entwickelte, befriedigte er dieses Gefühl der Rache und erwarb sich die Achtung
seiner Partei. Der neue Führer derselben, Lord George Bentinck, war in
der eigentlichen Politik ein eben so neuer Mann, als D'Jsraeli. Er hatte sich
bisher mehr bei Jagden und Pferderennen, als in politischen Versammlungen
ausgezeichnet, aber er brachte einen Namen mit, der seine sonstigen Mängel
vergessen ließ, und da er sehr wohl einsah, daß er eines kenntnißreichen
subalternen Rathgebers bedürfte, um seine Stellung zu behaupten, und da für
diesen Posten Keiner geeigneter war, als D'Jsraeli, so gab er durch seine Pro-
tection diesem ehrgeizigen Emporkömmling eine gesichertere Stellung innerhalb
seiner Partei selbst. Durch geschickte Angriffe gegen die Extravaganzen der Man¬
chesterschule, die sich mit ihren Friedenscongressen und Aehnlichem gar zu viele Blö-
ßen gab, befestigte er vorzugsweise im Jahre 1848 seinen Ruf als parlamenta¬
rischer Vorfechter, wenn er auch noch immer nicht mit positiven Ansichten heraus¬
rückte. Lord Bentinck's plötzlicher Tod änderte die Sachlage. Bei Eröffnung
der Session von 1849 stellte D'Jsraeli das gewöhnliche Amendement zur Thron¬
rede, ein Zeichen, daß ihm von der Opposition stillschweigend die Rolle der
Führerschaft überlassen war. Im Uebrigen war seine Polemik noch immer mehr
theoretischer Natur, und vorzugsweise gegen Cobden gerichtet. Endlich im fol¬
genden Jahre fand er Mittel, durch den Anschein positiver Vorschläge zur allge¬
meinen Verwunderung seiner Partei einen glänzenden Triumph zu bereiten. Er
machte bei Gelegenheit der, Einkommensteuer den Antrag, der Agricultur bei der
Vertheiluug der Abgaben eine größere Berücksichtigung angedeihen zu lassen; die¬
ser Antrag, gerade weil er in seiner Unbestimmtheit darauf berechnet war, sich
allgemeine Sympathien zu erwerbe", erhielt ISA Stimmen, und das Ministerium


funden, daß alle bedeutenden Sänger, Sängerinnen, Komponisten, Gelehrten,
Staatsmänner eigentlich dem Volke Gottes angehören. So kommt er einmal
nach Berlin. Wen trifft er da zuerst an? Den Minister des Innern, Grafen
von Arnim-Boizenburg, einen „preußischen Juden"! — Diese seltsame Schwär¬
merei für das Volk seiner Abstammung hat sehr viel Persiflage hervorgerufen;
aber im Ganzen hat er doch durch dieses Werk seinen Ruf gegründet. Er war
nun ein Mann der Mode geworden.

Eine politische Bedeutung gewann er erst dnrch den Uebergang Peel's zur
Freihandelspartei. Jetzt konnte er sich rühmen, den wankelmüthigen Premier besser
durchschaut zu haben, als die Aristokratie selbst, die dieser verrathen hatte. Das
erste und einzige Gefühl der Tories war Rache. Sie verbanden sich mit den
Whigs, um, den Verräther zu stürzen. An die Bildung einer festen politischen
Partei konnten sie vor der Hand nicht denken, da mit Ausnahme von Stanley
alle ihre bisherigen Staatsmänner mit Peel in die Reihen ihrer Gegner über¬
gegangen waren. Durch die bitteren Sarkasmen, mit denen D'Jsraeli den Pre¬
mier überhäufte, und in denen er in der Thdt eben soviel Talent wie Bosheit
entwickelte, befriedigte er dieses Gefühl der Rache und erwarb sich die Achtung
seiner Partei. Der neue Führer derselben, Lord George Bentinck, war in
der eigentlichen Politik ein eben so neuer Mann, als D'Jsraeli. Er hatte sich
bisher mehr bei Jagden und Pferderennen, als in politischen Versammlungen
ausgezeichnet, aber er brachte einen Namen mit, der seine sonstigen Mängel
vergessen ließ, und da er sehr wohl einsah, daß er eines kenntnißreichen
subalternen Rathgebers bedürfte, um seine Stellung zu behaupten, und da für
diesen Posten Keiner geeigneter war, als D'Jsraeli, so gab er durch seine Pro-
tection diesem ehrgeizigen Emporkömmling eine gesichertere Stellung innerhalb
seiner Partei selbst. Durch geschickte Angriffe gegen die Extravaganzen der Man¬
chesterschule, die sich mit ihren Friedenscongressen und Aehnlichem gar zu viele Blö-
ßen gab, befestigte er vorzugsweise im Jahre 1848 seinen Ruf als parlamenta¬
rischer Vorfechter, wenn er auch noch immer nicht mit positiven Ansichten heraus¬
rückte. Lord Bentinck's plötzlicher Tod änderte die Sachlage. Bei Eröffnung
der Session von 1849 stellte D'Jsraeli das gewöhnliche Amendement zur Thron¬
rede, ein Zeichen, daß ihm von der Opposition stillschweigend die Rolle der
Führerschaft überlassen war. Im Uebrigen war seine Polemik noch immer mehr
theoretischer Natur, und vorzugsweise gegen Cobden gerichtet. Endlich im fol¬
genden Jahre fand er Mittel, durch den Anschein positiver Vorschläge zur allge¬
meinen Verwunderung seiner Partei einen glänzenden Triumph zu bereiten. Er
machte bei Gelegenheit der, Einkommensteuer den Antrag, der Agricultur bei der
Vertheiluug der Abgaben eine größere Berücksichtigung angedeihen zu lassen; die¬
ser Antrag, gerade weil er in seiner Unbestimmtheit darauf berechnet war, sich
allgemeine Sympathien zu erwerbe», erhielt ISA Stimmen, und das Ministerium


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/482>, abgerufen am 22.07.2024.