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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Daher ist am meisten Einheit in denjenigen Erfindungen, die ganz ins Scur-
rile fallen. Ein ganz allerliebster Einfall ist das Duell zwischen den Physikern
Leuvenhoek und Swammerdamm, die statt mit Säbeln oder Pistolen, mit con-
centrirten Lichteffecten ans einander losgehn. Aber diese Capricciosprünge sind
nur dann erträglich, wenn sie nicht über ein gewisses Maß Hinausgehen. Bei
einer breiten Ausführung, wie in der "Prinzessin Brambilla", dem "Meister Floh",
"Klein Zaches", den spätesten seiner Schriften, wird der Spaß zu Tode gehetzt.
Er verliebt sich in einen einzelnen originellen Einfall, und ist unermüdlich, ihn
in immer neuen Variationen auszubeuten. So hat der verlorene Schatten in
Chamisso's Peter Schlemihl (1814) Hoffmann zu der verwandten Idee des ver¬
lorenen Spiegelbildes Veranlassung gegeben, und Hoffmann's Nachfolger, Wei߬
flog, Contessa u. s. w. haben wieder die Combinationen ihres Meisters
verarbeitet.

Das moderne Feuilleton, wie die moderne Erzählung, sind ganz in Hoff¬
mann's Fußstapfen getreten. Statt einer objectiven Darstellung der Gegenstände
wendet man den Stoff dazu an, meltschmerzlichen Kunstenthusiasmus und possen¬
haften Witz ohne eigentlichen Inhalt dnrch den gegebenen Faden zu verk.rupfen.
TAe Manier der Nachfolger geht natürlich immer weit über das Vorbild hinaus.
-- Auch bei bekannten Dichtern stößt man jeden Augenblick auf Hoffmann'sche
Reminiscenzen, z. B. Grabbe's "Don Juan und Faust", ist Nichts als die brei¬
tere Ausführung des betreffenden Phantasiestücks. -- Endlich hat Heine die
Poesie des grellen Contrastes zu ihrem vollsten Ausdruck concentrirt. Bei Hoff¬
mann ist immer noch viel Abhängigkeit von traditionellen Urtheilen und Vorstel¬
lungen, Heine versenkt auch diese Momente des Enthusiasmus, nachdem er sie
mit der wildeste" Phantasie ausgebeutet, zuletzt mit possenhaftem Schmerz in die
nnterschiedlose Nacht der Ironie. Der ganze Atta Troll, der größere Theil des
Romanzero, und das Tanzpoem über Faust ist in Hoffmann'scher Weise conci-
pirt und zum Theil auch ausgeführt, wenn auch mit größerer Freiheit. Die
schmuzige Hexenküche mit der Viston vorüberbrausender Heidengötter, die Sehn¬
sucht des verliebten Elephanten nach der Pariser Prinzessin, die Götterdämmerung
und der Mexikanische Götze, der von seiner Muhme, der Anta träumt,
sind kühne und zum Theil brillante Variationen über das Thema des "goldenen
Topfes". Als verbindendes Glied zwischen der Schlegel'schen Schule und Heine
hat Hoffmann für Deutschland seine literarhistorische Bedeutung. Für Frankreich
und England ist er vor und neben Heine der Verkündiger des Evangeliums der
deutschen Romantik.




Daher ist am meisten Einheit in denjenigen Erfindungen, die ganz ins Scur-
rile fallen. Ein ganz allerliebster Einfall ist das Duell zwischen den Physikern
Leuvenhoek und Swammerdamm, die statt mit Säbeln oder Pistolen, mit con-
centrirten Lichteffecten ans einander losgehn. Aber diese Capricciosprünge sind
nur dann erträglich, wenn sie nicht über ein gewisses Maß Hinausgehen. Bei
einer breiten Ausführung, wie in der „Prinzessin Brambilla", dem „Meister Floh",
„Klein Zaches", den spätesten seiner Schriften, wird der Spaß zu Tode gehetzt.
Er verliebt sich in einen einzelnen originellen Einfall, und ist unermüdlich, ihn
in immer neuen Variationen auszubeuten. So hat der verlorene Schatten in
Chamisso's Peter Schlemihl (1814) Hoffmann zu der verwandten Idee des ver¬
lorenen Spiegelbildes Veranlassung gegeben, und Hoffmann's Nachfolger, Wei߬
flog, Contessa u. s. w. haben wieder die Combinationen ihres Meisters
verarbeitet.

Das moderne Feuilleton, wie die moderne Erzählung, sind ganz in Hoff¬
mann's Fußstapfen getreten. Statt einer objectiven Darstellung der Gegenstände
wendet man den Stoff dazu an, meltschmerzlichen Kunstenthusiasmus und possen¬
haften Witz ohne eigentlichen Inhalt dnrch den gegebenen Faden zu verk.rupfen.
TAe Manier der Nachfolger geht natürlich immer weit über das Vorbild hinaus.
— Auch bei bekannten Dichtern stößt man jeden Augenblick auf Hoffmann'sche
Reminiscenzen, z. B. Grabbe's „Don Juan und Faust", ist Nichts als die brei¬
tere Ausführung des betreffenden Phantasiestücks. — Endlich hat Heine die
Poesie des grellen Contrastes zu ihrem vollsten Ausdruck concentrirt. Bei Hoff¬
mann ist immer noch viel Abhängigkeit von traditionellen Urtheilen und Vorstel¬
lungen, Heine versenkt auch diese Momente des Enthusiasmus, nachdem er sie
mit der wildeste» Phantasie ausgebeutet, zuletzt mit possenhaftem Schmerz in die
nnterschiedlose Nacht der Ironie. Der ganze Atta Troll, der größere Theil des
Romanzero, und das Tanzpoem über Faust ist in Hoffmann'scher Weise conci-
pirt und zum Theil auch ausgeführt, wenn auch mit größerer Freiheit. Die
schmuzige Hexenküche mit der Viston vorüberbrausender Heidengötter, die Sehn¬
sucht des verliebten Elephanten nach der Pariser Prinzessin, die Götterdämmerung
und der Mexikanische Götze, der von seiner Muhme, der Anta träumt,
sind kühne und zum Theil brillante Variationen über das Thema des „goldenen
Topfes". Als verbindendes Glied zwischen der Schlegel'schen Schule und Heine
hat Hoffmann für Deutschland seine literarhistorische Bedeutung. Für Frankreich
und England ist er vor und neben Heine der Verkündiger des Evangeliums der
deutschen Romantik.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/463>, abgerufen am 22.07.2024.