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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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irgend einer Zeit unsres Lebens durchgemacht haben. Namentlich ist dies der
Fall, wenn er uns zuerst durch einen scheinbar soliden Realismus verlockt, wie
z. B. im "Majorat von Rosetten" und im "Sandmann" in den Nachtstücken,
in dem Fragment von der Vampyrsamilie in den Serapionsbrüdern, im-"Mag-
netiseur" in den Phantasiestücken u. s. w. Bringen wir aber diese Stimmung
nicht mit, fondern verhalten Uns von vorn herein kritisch, so kommt uns das
Ganze von Anfang bis zu Ende ekel, schal und abgeschmackt vor, und je weiter
wir kommen, je alberner wird uns zu Muthe. Der Grund davon ist der Mangel
an allem geistigen Inhalt. Wir werden in eine Fieberphantasie hineingerissen,
wir wissen nicht warum, und blos materielle Gespenster vertragen einmal nicht
das Tageslicht des Verstandes. -- Am breitesten ausgeführt, aber auch - am
schlechtesten, sind die "Elixire des Teufels" (1816). Daß dergleichen
damals ein gewisses Interesse erregen konnte., begreift man nur, wenn man die
noch auffallendere Beobachtung hinzunimmt, daß im folgenden Jahr der Geist
der Ahnfrau zum großen Entzücken des Publicums über alle deutschen Bühnen
ging. Dieser Wirrwarr, in dem man nie recht unterscheiden kann, ob man den
Teufel, oder einen Wahnsinnigen, oder ein Gespenst, oder einen gewöhnlichen
Menschen vor sich hat, macht, wenn man einmal dem ersten Anlauf widerstanden
hat, einen unaussprechlich komischen Eindruck. Diesmal ganz wider Willen
des Dichters, der sonst die Verbindung des Entsetzlichen mit dem Scurrilen als
eine besondere Würze der Phantasie anwendet. Uebrigens erinnert die Geschichte
sehr lebhaft an einen ältern englischen Roman von Lewis, "der Mönch" (1794).
Wenn Hoffmann ihn nicht wirklich vor Augen gehabt hat, so hat wenigstens eine
auffallende Verwandtschaft der Organisation obgewaltet. Besser sind die "Nacht¬
stücke" (1817), schon weil sie kürzer sind, und weil sie den Schauder mehr auf
einen bestimmten Punkt concentriren, obgleich auch hier die Geschmacklosigkeit
zuweilen haarsträubend wird. Die Pointe ist immer der plötzliche Uebergang
aus dem Lebendigen ins Todte, und umgekehrt, die Verwandlung einer Geliebten
in einen Automaten u. s. w. -- Das Hereinziehen des thierischen Magnetismus
und des Nachtwandelns hat ihm gleichfalls eine reiche Ausbeute geliefert. Durch
die "Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft" von Schubert war diefes
Gebiet in den geistreichen Gesellschaften zur Modesache geworden.. Seitdem haben
uns Hoffmann's Nachfolger in Deutschland und Frankreich so mit Somnambulen
überschüttet, daß man sich keinen Augenblick sicher fühlt, irgend eins dieser un¬
heimlichen Wesen könnte zum Fenster hereinsteigen. Es ist das eine sehr unge¬
sunde Poesie, weil sie den Geist ganz an die materiellen Mächte verkauft, und
man kaun sie zuletzt handwerksmäßig treiben, weil man nur die' gegebenen Ele¬
mente nach Willkür combiniren darf.

Vortrefflich sind dagegen diejenigen Erzählungen, in welchen die Leidenschaft
als eine dämonische, unheimliche, gespenstische Macht dargestellt wird, z. B. die


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irgend einer Zeit unsres Lebens durchgemacht haben. Namentlich ist dies der
Fall, wenn er uns zuerst durch einen scheinbar soliden Realismus verlockt, wie
z. B. im „Majorat von Rosetten" und im „Sandmann" in den Nachtstücken,
in dem Fragment von der Vampyrsamilie in den Serapionsbrüdern, im-„Mag-
netiseur" in den Phantasiestücken u. s. w. Bringen wir aber diese Stimmung
nicht mit, fondern verhalten Uns von vorn herein kritisch, so kommt uns das
Ganze von Anfang bis zu Ende ekel, schal und abgeschmackt vor, und je weiter
wir kommen, je alberner wird uns zu Muthe. Der Grund davon ist der Mangel
an allem geistigen Inhalt. Wir werden in eine Fieberphantasie hineingerissen,
wir wissen nicht warum, und blos materielle Gespenster vertragen einmal nicht
das Tageslicht des Verstandes. — Am breitesten ausgeführt, aber auch - am
schlechtesten, sind die „Elixire des Teufels" (1816). Daß dergleichen
damals ein gewisses Interesse erregen konnte., begreift man nur, wenn man die
noch auffallendere Beobachtung hinzunimmt, daß im folgenden Jahr der Geist
der Ahnfrau zum großen Entzücken des Publicums über alle deutschen Bühnen
ging. Dieser Wirrwarr, in dem man nie recht unterscheiden kann, ob man den
Teufel, oder einen Wahnsinnigen, oder ein Gespenst, oder einen gewöhnlichen
Menschen vor sich hat, macht, wenn man einmal dem ersten Anlauf widerstanden
hat, einen unaussprechlich komischen Eindruck. Diesmal ganz wider Willen
des Dichters, der sonst die Verbindung des Entsetzlichen mit dem Scurrilen als
eine besondere Würze der Phantasie anwendet. Uebrigens erinnert die Geschichte
sehr lebhaft an einen ältern englischen Roman von Lewis, „der Mönch" (1794).
Wenn Hoffmann ihn nicht wirklich vor Augen gehabt hat, so hat wenigstens eine
auffallende Verwandtschaft der Organisation obgewaltet. Besser sind die „Nacht¬
stücke" (1817), schon weil sie kürzer sind, und weil sie den Schauder mehr auf
einen bestimmten Punkt concentriren, obgleich auch hier die Geschmacklosigkeit
zuweilen haarsträubend wird. Die Pointe ist immer der plötzliche Uebergang
aus dem Lebendigen ins Todte, und umgekehrt, die Verwandlung einer Geliebten
in einen Automaten u. s. w. — Das Hereinziehen des thierischen Magnetismus
und des Nachtwandelns hat ihm gleichfalls eine reiche Ausbeute geliefert. Durch
die „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft" von Schubert war diefes
Gebiet in den geistreichen Gesellschaften zur Modesache geworden.. Seitdem haben
uns Hoffmann's Nachfolger in Deutschland und Frankreich so mit Somnambulen
überschüttet, daß man sich keinen Augenblick sicher fühlt, irgend eins dieser un¬
heimlichen Wesen könnte zum Fenster hereinsteigen. Es ist das eine sehr unge¬
sunde Poesie, weil sie den Geist ganz an die materiellen Mächte verkauft, und
man kaun sie zuletzt handwerksmäßig treiben, weil man nur die' gegebenen Ele¬
mente nach Willkür combiniren darf.

Vortrefflich sind dagegen diejenigen Erzählungen, in welchen die Leidenschaft
als eine dämonische, unheimliche, gespenstische Macht dargestellt wird, z. B. die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/461>, abgerufen am 22.07.2024.