Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gespeist und gepflegt. Der Himmel schien sie in ihrem edlen Vorhaben unter¬
stützen zu wollen, denn Niemand ahnte den Betrug; da muß das Unglück wollen,
daß ein Bret des Kastens ans den Fugen geht und dem Eingesperrten in die
Seite fahrt. W...Ski stoßt einen leisen Schmerzensschrei ans, den der Kosak zu¬
fällig hört, und alle Anstrengungen, die wohlberechnetsten Combinationen werden
zu nichte.

Vergebens waren alle Bitten und Versprechungen, selbst der Glanz des
Goldes, gegen welchen sonst der Russe nicht gerade unempfindlich ist, blieb dies¬
mal machtlos. Die unglücklichen Gatten wurden als Arrestanten nach Orenbnrg
zurückgeführt. Ju Simbirsk, wo längere Rast gehalten wurde, erbaten sie es
sich von der Behörde daselbst als eine besondere Gnade, die Kinder, welche ihre
Rolle ausgespielt hatten, begraben zu dürfen. Die Bewilligung dazu wurde er¬
theilt, und selbst einem öffentlichen Leichenbegängnis) keine Hindernisse entgegengesetzt.
Die eben nicht stark bevölkerte Stadt--sie zählt ungefähr 13,000 Einwohner --
bot an diesem Tage einen äußerst belebten Aublick, denn Alles war auf den Beinen,
um der seltenen Feierlichkeit beizuwohnen, lind den Mann zu sehe", den so herbes
Geschick getroffen, die Fran, welche das Unerhörte gewagt hatte, um ihren Gatten
zu befreien. Es war ein herzzerreißender Anblick, als sich der Katafalk langsam
durch die Straßen bewegte, und hinter diesem der Vater mit schweren Ketten
belastet und ihnen fest anliegend, die Mutter, ein Bild des Jammers, von einigen
Männern unterstützt, dahin schwankte. Kein Auge blieb thränenleer, und da die
Menge ihr Mitleid nicht auf andere Art bethätigen konnte, so that sie es durch
Gaben der Liebe, welche dein unglücklichen Paare von allen Seiten zuflogen.
So trat unter Anderen ein ärmlich gekleideter Manu aus dem Haufen, warf Wanda
einen warmen Pelz über die Schultern und verschwand; gleiche Wohlthat wurde
von einem Andern auch W...Ski zu Theil.

So groß und allgemein sich die Theilnahme für die beiden Gatten zeigte,
auf eben so charakteristische Weise sprach sich der Haß gegen den Kosaken aus,
der die Schuld des ganzen Unglücks trug. Wo er sich sehen ließ, regnete es
Verwünschungen und Flüche, besonders von Seiten der weiblichen Bevölkerung.
Der Behörde blieb Nichts übrig, als den diensteifrigen Kosaken bis zur Abreise
zu verbergen.

W...Ski und dessen Fran fuhren bald wieder in Orenburg ein, doch mit an¬
deren Gefühlen, als diejenigen waren, mit welchen sie die Stadt verlassen hatten.
Damals lächelte ihnen die Hoffnung der Freiheit, wenn sie auch Angst und
Schrecken im Gefolge hatte; heute konnten sie fast gewiß sein, daß ein hartes
Loos ihrer warte. So war es denn auch in der That, denn der Ort ihres künf¬
tigen Aufenthalts hieß -- Nertschinsk! W...sti ivar zu lebenslänglichem Gefängniß
verurtheilt, und die Frau fortan außer Staude, ihn nur zu sehen, geschweige
denn ihn zu pflegen. Dies gab ihr den Todesstoß. Sie folgte zwar ihrem Manu


gespeist und gepflegt. Der Himmel schien sie in ihrem edlen Vorhaben unter¬
stützen zu wollen, denn Niemand ahnte den Betrug; da muß das Unglück wollen,
daß ein Bret des Kastens ans den Fugen geht und dem Eingesperrten in die
Seite fahrt. W...Ski stoßt einen leisen Schmerzensschrei ans, den der Kosak zu¬
fällig hört, und alle Anstrengungen, die wohlberechnetsten Combinationen werden
zu nichte.

Vergebens waren alle Bitten und Versprechungen, selbst der Glanz des
Goldes, gegen welchen sonst der Russe nicht gerade unempfindlich ist, blieb dies¬
mal machtlos. Die unglücklichen Gatten wurden als Arrestanten nach Orenbnrg
zurückgeführt. Ju Simbirsk, wo längere Rast gehalten wurde, erbaten sie es
sich von der Behörde daselbst als eine besondere Gnade, die Kinder, welche ihre
Rolle ausgespielt hatten, begraben zu dürfen. Die Bewilligung dazu wurde er¬
theilt, und selbst einem öffentlichen Leichenbegängnis) keine Hindernisse entgegengesetzt.
Die eben nicht stark bevölkerte Stadt—sie zählt ungefähr 13,000 Einwohner —
bot an diesem Tage einen äußerst belebten Aublick, denn Alles war auf den Beinen,
um der seltenen Feierlichkeit beizuwohnen, lind den Mann zu sehe», den so herbes
Geschick getroffen, die Fran, welche das Unerhörte gewagt hatte, um ihren Gatten
zu befreien. Es war ein herzzerreißender Anblick, als sich der Katafalk langsam
durch die Straßen bewegte, und hinter diesem der Vater mit schweren Ketten
belastet und ihnen fest anliegend, die Mutter, ein Bild des Jammers, von einigen
Männern unterstützt, dahin schwankte. Kein Auge blieb thränenleer, und da die
Menge ihr Mitleid nicht auf andere Art bethätigen konnte, so that sie es durch
Gaben der Liebe, welche dein unglücklichen Paare von allen Seiten zuflogen.
So trat unter Anderen ein ärmlich gekleideter Manu aus dem Haufen, warf Wanda
einen warmen Pelz über die Schultern und verschwand; gleiche Wohlthat wurde
von einem Andern auch W...Ski zu Theil.

So groß und allgemein sich die Theilnahme für die beiden Gatten zeigte,
auf eben so charakteristische Weise sprach sich der Haß gegen den Kosaken aus,
der die Schuld des ganzen Unglücks trug. Wo er sich sehen ließ, regnete es
Verwünschungen und Flüche, besonders von Seiten der weiblichen Bevölkerung.
Der Behörde blieb Nichts übrig, als den diensteifrigen Kosaken bis zur Abreise
zu verbergen.

W...Ski und dessen Fran fuhren bald wieder in Orenburg ein, doch mit an¬
deren Gefühlen, als diejenigen waren, mit welchen sie die Stadt verlassen hatten.
Damals lächelte ihnen die Hoffnung der Freiheit, wenn sie auch Angst und
Schrecken im Gefolge hatte; heute konnten sie fast gewiß sein, daß ein hartes
Loos ihrer warte. So war es denn auch in der That, denn der Ort ihres künf¬
tigen Aufenthalts hieß — Nertschinsk! W...sti ivar zu lebenslänglichem Gefängniß
verurtheilt, und die Frau fortan außer Staude, ihn nur zu sehen, geschweige
denn ihn zu pflegen. Dies gab ihr den Todesstoß. Sie folgte zwar ihrem Manu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0441" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93806"/>
          <p xml:id="ID_1221" prev="#ID_1220"> gespeist und gepflegt. Der Himmel schien sie in ihrem edlen Vorhaben unter¬<lb/>
stützen zu wollen, denn Niemand ahnte den Betrug; da muß das Unglück wollen,<lb/>
daß ein Bret des Kastens ans den Fugen geht und dem Eingesperrten in die<lb/>
Seite fahrt. W...Ski stoßt einen leisen Schmerzensschrei ans, den der Kosak zu¬<lb/>
fällig hört, und alle Anstrengungen, die wohlberechnetsten Combinationen werden<lb/>
zu nichte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1222"> Vergebens waren alle Bitten und Versprechungen, selbst der Glanz des<lb/>
Goldes, gegen welchen sonst der Russe nicht gerade unempfindlich ist, blieb dies¬<lb/>
mal machtlos. Die unglücklichen Gatten wurden als Arrestanten nach Orenbnrg<lb/>
zurückgeführt. Ju Simbirsk, wo längere Rast gehalten wurde, erbaten sie es<lb/>
sich von der Behörde daselbst als eine besondere Gnade, die Kinder, welche ihre<lb/>
Rolle ausgespielt hatten, begraben zu dürfen. Die Bewilligung dazu wurde er¬<lb/>
theilt, und selbst einem öffentlichen Leichenbegängnis) keine Hindernisse entgegengesetzt.<lb/>
Die eben nicht stark bevölkerte Stadt&#x2014;sie zählt ungefähr 13,000 Einwohner &#x2014;<lb/>
bot an diesem Tage einen äußerst belebten Aublick, denn Alles war auf den Beinen,<lb/>
um der seltenen Feierlichkeit beizuwohnen, lind den Mann zu sehe», den so herbes<lb/>
Geschick getroffen, die Fran, welche das Unerhörte gewagt hatte, um ihren Gatten<lb/>
zu befreien. Es war ein herzzerreißender Anblick, als sich der Katafalk langsam<lb/>
durch die Straßen bewegte, und hinter diesem der Vater mit schweren Ketten<lb/>
belastet und ihnen fest anliegend, die Mutter, ein Bild des Jammers, von einigen<lb/>
Männern unterstützt, dahin schwankte. Kein Auge blieb thränenleer, und da die<lb/>
Menge ihr Mitleid nicht auf andere Art bethätigen konnte, so that sie es durch<lb/>
Gaben der Liebe, welche dein unglücklichen Paare von allen Seiten zuflogen.<lb/>
So trat unter Anderen ein ärmlich gekleideter Manu aus dem Haufen, warf Wanda<lb/>
einen warmen Pelz über die Schultern und verschwand; gleiche Wohlthat wurde<lb/>
von einem Andern auch W...Ski zu Theil.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1223"> So groß und allgemein sich die Theilnahme für die beiden Gatten zeigte,<lb/>
auf eben so charakteristische Weise sprach sich der Haß gegen den Kosaken aus,<lb/>
der die Schuld des ganzen Unglücks trug. Wo er sich sehen ließ, regnete es<lb/>
Verwünschungen und Flüche, besonders von Seiten der weiblichen Bevölkerung.<lb/>
Der Behörde blieb Nichts übrig, als den diensteifrigen Kosaken bis zur Abreise<lb/>
zu verbergen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1224" next="#ID_1225"> W...Ski und dessen Fran fuhren bald wieder in Orenburg ein, doch mit an¬<lb/>
deren Gefühlen, als diejenigen waren, mit welchen sie die Stadt verlassen hatten.<lb/>
Damals lächelte ihnen die Hoffnung der Freiheit, wenn sie auch Angst und<lb/>
Schrecken im Gefolge hatte; heute konnten sie fast gewiß sein, daß ein hartes<lb/>
Loos ihrer warte. So war es denn auch in der That, denn der Ort ihres künf¬<lb/>
tigen Aufenthalts hieß &#x2014; Nertschinsk! W...sti ivar zu lebenslänglichem Gefängniß<lb/>
verurtheilt, und die Frau fortan außer Staude, ihn nur zu sehen, geschweige<lb/>
denn ihn zu pflegen. Dies gab ihr den Todesstoß. Sie folgte zwar ihrem Manu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0441] gespeist und gepflegt. Der Himmel schien sie in ihrem edlen Vorhaben unter¬ stützen zu wollen, denn Niemand ahnte den Betrug; da muß das Unglück wollen, daß ein Bret des Kastens ans den Fugen geht und dem Eingesperrten in die Seite fahrt. W...Ski stoßt einen leisen Schmerzensschrei ans, den der Kosak zu¬ fällig hört, und alle Anstrengungen, die wohlberechnetsten Combinationen werden zu nichte. Vergebens waren alle Bitten und Versprechungen, selbst der Glanz des Goldes, gegen welchen sonst der Russe nicht gerade unempfindlich ist, blieb dies¬ mal machtlos. Die unglücklichen Gatten wurden als Arrestanten nach Orenbnrg zurückgeführt. Ju Simbirsk, wo längere Rast gehalten wurde, erbaten sie es sich von der Behörde daselbst als eine besondere Gnade, die Kinder, welche ihre Rolle ausgespielt hatten, begraben zu dürfen. Die Bewilligung dazu wurde er¬ theilt, und selbst einem öffentlichen Leichenbegängnis) keine Hindernisse entgegengesetzt. Die eben nicht stark bevölkerte Stadt—sie zählt ungefähr 13,000 Einwohner — bot an diesem Tage einen äußerst belebten Aublick, denn Alles war auf den Beinen, um der seltenen Feierlichkeit beizuwohnen, lind den Mann zu sehe», den so herbes Geschick getroffen, die Fran, welche das Unerhörte gewagt hatte, um ihren Gatten zu befreien. Es war ein herzzerreißender Anblick, als sich der Katafalk langsam durch die Straßen bewegte, und hinter diesem der Vater mit schweren Ketten belastet und ihnen fest anliegend, die Mutter, ein Bild des Jammers, von einigen Männern unterstützt, dahin schwankte. Kein Auge blieb thränenleer, und da die Menge ihr Mitleid nicht auf andere Art bethätigen konnte, so that sie es durch Gaben der Liebe, welche dein unglücklichen Paare von allen Seiten zuflogen. So trat unter Anderen ein ärmlich gekleideter Manu aus dem Haufen, warf Wanda einen warmen Pelz über die Schultern und verschwand; gleiche Wohlthat wurde von einem Andern auch W...Ski zu Theil. So groß und allgemein sich die Theilnahme für die beiden Gatten zeigte, auf eben so charakteristische Weise sprach sich der Haß gegen den Kosaken aus, der die Schuld des ganzen Unglücks trug. Wo er sich sehen ließ, regnete es Verwünschungen und Flüche, besonders von Seiten der weiblichen Bevölkerung. Der Behörde blieb Nichts übrig, als den diensteifrigen Kosaken bis zur Abreise zu verbergen. W...Ski und dessen Fran fuhren bald wieder in Orenburg ein, doch mit an¬ deren Gefühlen, als diejenigen waren, mit welchen sie die Stadt verlassen hatten. Damals lächelte ihnen die Hoffnung der Freiheit, wenn sie auch Angst und Schrecken im Gefolge hatte; heute konnten sie fast gewiß sein, daß ein hartes Loos ihrer warte. So war es denn auch in der That, denn der Ort ihres künf¬ tigen Aufenthalts hieß — Nertschinsk! W...sti ivar zu lebenslänglichem Gefängniß verurtheilt, und die Frau fortan außer Staude, ihn nur zu sehen, geschweige denn ihn zu pflegen. Dies gab ihr den Todesstoß. Sie folgte zwar ihrem Manu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/441
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/441>, abgerufen am 22.07.2024.