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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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schmerze standen die Aeltern an dem ärmlichen Lager der Kinderleichen, und die
Mutter vor Allen traf der Schlag so hart, daß sie in ihrem Jammer zusammen¬
brach und schwer erkrankte. Was half es, daß W. ..sti Alles ausbot, um seine
theure Gattin zu retten? Die schwache Kunst der Aerzte zerschellte an dem Eise
Sibiriens.

- W...Ski hatte das Mögliche versucht, um den Zustand seines Weibes zu lin¬
dern ; da jedoch alle Mittel fruchtlos blieben, so verfiel auch er in tiefe Schwermuth
und nahm zusehends ab. Dies wirkte ans die Fran mächtiger, als alle ange¬
wandten Arzneien; die hinsterbende Kraft des Gatten wurde für sie eine Ursache,
die ihrige zu stärken. Wanda, in der Furcht, auch noch das letzte ihr Theure
zu verlieren, riß sich empor, genas zusehends, und wurde der Stab, aus welchen
sich der mit der Welt zerfallene russische Soldat stützen konnte. Doch schien es
nicht, als wenn sein Trübsinn weiche; im Gegentheil wurde er im Kreise der
Kameraden immer finsterer und wortkarger, und schrie einst in einem Anfall von
Raserei, er sei des Lebens überdrüssig und wolle sterben. -- Wenige Tage dar¬
auf wurde er vermißt; man stellte Nachforschungen an, und fand Mütze und
Mantel des Gesuchten am Ufer des Ural. Kein Zweifel, er hatte seinen schreck¬
lichen Vorsatz ausgeführt.

Die unglückliche Frau empfing die Nachricht von dem Tode ihres Mannes
mit Schweigen und Ergebung; keine Klage strömte über ihre Lippen, ihr Ange
blieb thränenleer, nur spiegelte sich darin eine gewisse scheue Unruhe, in der
Jedermann die Vorboten einer tiefen Geisteszerrüttung zu bemerken glaubte. Die
Ursache derselben war leicht zu errathen. Losgerissen von ihrem theuren Gatten,
konnte sie jetzt in ihr Vaterland zurückkehren; das wollte sie denn auch, jedoch
nicht, ohne die Erinnerungen an ihr eheliches Glück, die Leichen ihrer Kinder,
mit sich zu nehmen. Dieser Gedanke war bei ihr zur fixen Idee geworden, und
trieb sie bis zum Gouverneur, um diesem ihre Bitte vorzutragen.

Dieser, ein Mann, der in seinem harten Berufe noth nicht alles Gefühl für
Menschlichkeit verloren hatte, und durch den traurigen Zustand der elenden Frau
gerührt wurde, versagte ihr uicht uur uicht die Gewährung ihrer Bitte, obgleich
er eigentlich die Genehmigung zuvor hätte einholen müssen, sondern er ließ ihr
auch einen bequemen Schlitten zum Transport der kleinen Särge einrichten, die
in eiuen großen, hinten befestigten Kasten einzuschieben gingen, und gab ihr
außerdem noch einen dorischen Kosaken zur Begleitung, der sie bis zur Grenze
des Reichs escortiren und ihr in Allem hilfreiche Hand leisten sollte. Nachdem
Alles zur Abreise bereit war, trug die unglückliche Mutter selbst die Todtenhänschen
ihrer Lieblinge in den Schlitten, der auf dem Hofe.ihrer Wohnung stand, nahm
herzlichen Abschied von Freunden und Bekannten, und fuhr davon.

Die Reise ging schnell und Wanda W...sti verließ fast nie ihren Schlitten;
er wurde so zu sagen ihre Wohnung, denn sie aß und schlief darin. Niemand


schmerze standen die Aeltern an dem ärmlichen Lager der Kinderleichen, und die
Mutter vor Allen traf der Schlag so hart, daß sie in ihrem Jammer zusammen¬
brach und schwer erkrankte. Was half es, daß W. ..sti Alles ausbot, um seine
theure Gattin zu retten? Die schwache Kunst der Aerzte zerschellte an dem Eise
Sibiriens.

- W...Ski hatte das Mögliche versucht, um den Zustand seines Weibes zu lin¬
dern ; da jedoch alle Mittel fruchtlos blieben, so verfiel auch er in tiefe Schwermuth
und nahm zusehends ab. Dies wirkte ans die Fran mächtiger, als alle ange¬
wandten Arzneien; die hinsterbende Kraft des Gatten wurde für sie eine Ursache,
die ihrige zu stärken. Wanda, in der Furcht, auch noch das letzte ihr Theure
zu verlieren, riß sich empor, genas zusehends, und wurde der Stab, aus welchen
sich der mit der Welt zerfallene russische Soldat stützen konnte. Doch schien es
nicht, als wenn sein Trübsinn weiche; im Gegentheil wurde er im Kreise der
Kameraden immer finsterer und wortkarger, und schrie einst in einem Anfall von
Raserei, er sei des Lebens überdrüssig und wolle sterben. — Wenige Tage dar¬
auf wurde er vermißt; man stellte Nachforschungen an, und fand Mütze und
Mantel des Gesuchten am Ufer des Ural. Kein Zweifel, er hatte seinen schreck¬
lichen Vorsatz ausgeführt.

Die unglückliche Frau empfing die Nachricht von dem Tode ihres Mannes
mit Schweigen und Ergebung; keine Klage strömte über ihre Lippen, ihr Ange
blieb thränenleer, nur spiegelte sich darin eine gewisse scheue Unruhe, in der
Jedermann die Vorboten einer tiefen Geisteszerrüttung zu bemerken glaubte. Die
Ursache derselben war leicht zu errathen. Losgerissen von ihrem theuren Gatten,
konnte sie jetzt in ihr Vaterland zurückkehren; das wollte sie denn auch, jedoch
nicht, ohne die Erinnerungen an ihr eheliches Glück, die Leichen ihrer Kinder,
mit sich zu nehmen. Dieser Gedanke war bei ihr zur fixen Idee geworden, und
trieb sie bis zum Gouverneur, um diesem ihre Bitte vorzutragen.

Dieser, ein Mann, der in seinem harten Berufe noth nicht alles Gefühl für
Menschlichkeit verloren hatte, und durch den traurigen Zustand der elenden Frau
gerührt wurde, versagte ihr uicht uur uicht die Gewährung ihrer Bitte, obgleich
er eigentlich die Genehmigung zuvor hätte einholen müssen, sondern er ließ ihr
auch einen bequemen Schlitten zum Transport der kleinen Särge einrichten, die
in eiuen großen, hinten befestigten Kasten einzuschieben gingen, und gab ihr
außerdem noch einen dorischen Kosaken zur Begleitung, der sie bis zur Grenze
des Reichs escortiren und ihr in Allem hilfreiche Hand leisten sollte. Nachdem
Alles zur Abreise bereit war, trug die unglückliche Mutter selbst die Todtenhänschen
ihrer Lieblinge in den Schlitten, der auf dem Hofe.ihrer Wohnung stand, nahm
herzlichen Abschied von Freunden und Bekannten, und fuhr davon.

Die Reise ging schnell und Wanda W...sti verließ fast nie ihren Schlitten;
er wurde so zu sagen ihre Wohnung, denn sie aß und schlief darin. Niemand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/439>, abgerufen am 22.07.2024.