Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zusammenzubringen, die eben so viel ausrichten würde, als eine Armee von
400,000 Mann nach dem gegenwärtigen Couscriptioussystem. -- Um diesen Vor¬
schlag richtig zu würdigen, muß man in Erwägung ziehen, daß in Frankreich der
Dienstpflichtige einen Ersatzmann stellen darf, und daß der Dienst sieben Jahre
dauert. -- Ferner soll auch die Flotte auf die zur Deckung der Küsten nöthigen
Schiffe eingeschränkt werdeu. Gegen die Continentalmächte, meint Naudot, braucht
man keine Flotte, gegen Englaud reiche die Flotte uicht aus. Mau solle mit
England überhaupt keinen Krieg führen, weil dabei Frankreich auch bei dem
günstigsten Erfolg nur verlieren könne; wenn man ihn aber führt, soll man ihn
lediglich auf die Beunruhigung des englischen Handels einschränken.

Alles das sind Vorschlage, die wenigstens zu einem sehr ernsten Nachdenken
anregen müssen. Für den Augenblick wird allerdings das Gegentheil geschehen.
Die Centralisation wird ins Ungeheure gesteigert und im einseitigen Interesse der
Staatspolizei ausgebeutet werdeu. Aber die gegenwärtige Regierung muß über
kurz oder laug zu Grunde gehen, wie jeder rein äußerliche Despotismus, der auf
keine höhere Berechtigung gegründet ist, und was dann an die Stelle treten wird,
die Republik oder ein neues Königthum, wird zunächst daraus ausgehen müssen,
eine conservative, von der augenblicklichen Stimmung der Pariser Bevölkerung
unabhängige Autorität in den Departements herzustellen.

Die Bedeutung der Frage beschränkt sich uicht blos auf Frankreich. Wir sehen in
diesem Augenblick, wie England eiuer neuen Phase seines größern politischen Lebens
entgegengeht. Die neue Reformbill wird wenigstens für den Augenblick der Politik
eine neue Richtung geben. Zwar glauben wir mit Herrn Roebuck, daß sich auf die
Dauer auch bei den verschiedensten Wahlrechten das Verhältniß ausgleichen wird, weil
der gesunde Sinn des englischen Volkes es versteht, sich in seineu Repräsentanten
vollständig auszudrücken, wie auch die Form der Wahl sein möge. Die erste
Reformbill hat nicht gehindert, daß wenige Jahre darauf eine conservative Majo¬
rität im Unterhause saß, aber für deu Augenblick wird allerdings dnrch die
Veränderung der Wahlsorm auch die Gestalt des Parlaments verändert werden,
und es ist vorauszusehen, daß der liberale Zuwachs eben so die aristokratische
Whigpartei sprengen wird, wie Robert Peel die aristokratische Torypartei gesprengt
hat. Die Engländer können aber mit großer Ruhe dieser Bewegung entgegen-,
sehen, denn sie haben in ihrer Municipalverfassung die sicherste Bürgschaft dafür,
daß ihr inneres Staatsleben durch diese Bewegung nicht erschüttert werden kann.

Ans der andern Seite sehen wir ein angeblich couservatives Ministerium,
das Ministerium Schwarzenberg in Oestreich, Alles daransetzen, die conservativen
Grundlagen seines Staats, die bisherigen Municipalverfassungen, mit der Wurzel
auszurotten, und eine Centralisation durchzuführen, die auf Oestreich um so ver¬
derblicher wirken muß, da hier von keiner gemeinsamen Nation die Rede ist,
als deren Träger die Regierung sich darstellen könnte. In Frankreich hat sich


zusammenzubringen, die eben so viel ausrichten würde, als eine Armee von
400,000 Mann nach dem gegenwärtigen Couscriptioussystem. — Um diesen Vor¬
schlag richtig zu würdigen, muß man in Erwägung ziehen, daß in Frankreich der
Dienstpflichtige einen Ersatzmann stellen darf, und daß der Dienst sieben Jahre
dauert. — Ferner soll auch die Flotte auf die zur Deckung der Küsten nöthigen
Schiffe eingeschränkt werdeu. Gegen die Continentalmächte, meint Naudot, braucht
man keine Flotte, gegen Englaud reiche die Flotte uicht aus. Mau solle mit
England überhaupt keinen Krieg führen, weil dabei Frankreich auch bei dem
günstigsten Erfolg nur verlieren könne; wenn man ihn aber führt, soll man ihn
lediglich auf die Beunruhigung des englischen Handels einschränken.

Alles das sind Vorschlage, die wenigstens zu einem sehr ernsten Nachdenken
anregen müssen. Für den Augenblick wird allerdings das Gegentheil geschehen.
Die Centralisation wird ins Ungeheure gesteigert und im einseitigen Interesse der
Staatspolizei ausgebeutet werdeu. Aber die gegenwärtige Regierung muß über
kurz oder laug zu Grunde gehen, wie jeder rein äußerliche Despotismus, der auf
keine höhere Berechtigung gegründet ist, und was dann an die Stelle treten wird,
die Republik oder ein neues Königthum, wird zunächst daraus ausgehen müssen,
eine conservative, von der augenblicklichen Stimmung der Pariser Bevölkerung
unabhängige Autorität in den Departements herzustellen.

Die Bedeutung der Frage beschränkt sich uicht blos auf Frankreich. Wir sehen in
diesem Augenblick, wie England eiuer neuen Phase seines größern politischen Lebens
entgegengeht. Die neue Reformbill wird wenigstens für den Augenblick der Politik
eine neue Richtung geben. Zwar glauben wir mit Herrn Roebuck, daß sich auf die
Dauer auch bei den verschiedensten Wahlrechten das Verhältniß ausgleichen wird, weil
der gesunde Sinn des englischen Volkes es versteht, sich in seineu Repräsentanten
vollständig auszudrücken, wie auch die Form der Wahl sein möge. Die erste
Reformbill hat nicht gehindert, daß wenige Jahre darauf eine conservative Majo¬
rität im Unterhause saß, aber für deu Augenblick wird allerdings dnrch die
Veränderung der Wahlsorm auch die Gestalt des Parlaments verändert werden,
und es ist vorauszusehen, daß der liberale Zuwachs eben so die aristokratische
Whigpartei sprengen wird, wie Robert Peel die aristokratische Torypartei gesprengt
hat. Die Engländer können aber mit großer Ruhe dieser Bewegung entgegen-,
sehen, denn sie haben in ihrer Municipalverfassung die sicherste Bürgschaft dafür,
daß ihr inneres Staatsleben durch diese Bewegung nicht erschüttert werden kann.

Ans der andern Seite sehen wir ein angeblich couservatives Ministerium,
das Ministerium Schwarzenberg in Oestreich, Alles daransetzen, die conservativen
Grundlagen seines Staats, die bisherigen Municipalverfassungen, mit der Wurzel
auszurotten, und eine Centralisation durchzuführen, die auf Oestreich um so ver¬
derblicher wirken muß, da hier von keiner gemeinsamen Nation die Rede ist,
als deren Träger die Regierung sich darstellen könnte. In Frankreich hat sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0384" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93749"/>
          <p xml:id="ID_1054" prev="#ID_1053"> zusammenzubringen, die eben so viel ausrichten würde, als eine Armee von<lb/>
400,000 Mann nach dem gegenwärtigen Couscriptioussystem. &#x2014; Um diesen Vor¬<lb/>
schlag richtig zu würdigen, muß man in Erwägung ziehen, daß in Frankreich der<lb/>
Dienstpflichtige einen Ersatzmann stellen darf, und daß der Dienst sieben Jahre<lb/>
dauert. &#x2014; Ferner soll auch die Flotte auf die zur Deckung der Küsten nöthigen<lb/>
Schiffe eingeschränkt werdeu. Gegen die Continentalmächte, meint Naudot, braucht<lb/>
man keine Flotte, gegen Englaud reiche die Flotte uicht aus. Mau solle mit<lb/>
England überhaupt keinen Krieg führen, weil dabei Frankreich auch bei dem<lb/>
günstigsten Erfolg nur verlieren könne; wenn man ihn aber führt, soll man ihn<lb/>
lediglich auf die Beunruhigung des englischen Handels einschränken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1055"> Alles das sind Vorschlage, die wenigstens zu einem sehr ernsten Nachdenken<lb/>
anregen müssen. Für den Augenblick wird allerdings das Gegentheil geschehen.<lb/>
Die Centralisation wird ins Ungeheure gesteigert und im einseitigen Interesse der<lb/>
Staatspolizei ausgebeutet werdeu. Aber die gegenwärtige Regierung muß über<lb/>
kurz oder laug zu Grunde gehen, wie jeder rein äußerliche Despotismus, der auf<lb/>
keine höhere Berechtigung gegründet ist, und was dann an die Stelle treten wird,<lb/>
die Republik oder ein neues Königthum, wird zunächst daraus ausgehen müssen,<lb/>
eine conservative, von der augenblicklichen Stimmung der Pariser Bevölkerung<lb/>
unabhängige Autorität in den Departements herzustellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1056"> Die Bedeutung der Frage beschränkt sich uicht blos auf Frankreich. Wir sehen in<lb/>
diesem Augenblick, wie England eiuer neuen Phase seines größern politischen Lebens<lb/>
entgegengeht. Die neue Reformbill wird wenigstens für den Augenblick der Politik<lb/>
eine neue Richtung geben. Zwar glauben wir mit Herrn Roebuck, daß sich auf die<lb/>
Dauer auch bei den verschiedensten Wahlrechten das Verhältniß ausgleichen wird, weil<lb/>
der gesunde Sinn des englischen Volkes es versteht, sich in seineu Repräsentanten<lb/>
vollständig auszudrücken, wie auch die Form der Wahl sein möge. Die erste<lb/>
Reformbill hat nicht gehindert, daß wenige Jahre darauf eine conservative Majo¬<lb/>
rität im Unterhause saß, aber für deu Augenblick wird allerdings dnrch die<lb/>
Veränderung der Wahlsorm auch die Gestalt des Parlaments verändert werden,<lb/>
und es ist vorauszusehen, daß der liberale Zuwachs eben so die aristokratische<lb/>
Whigpartei sprengen wird, wie Robert Peel die aristokratische Torypartei gesprengt<lb/>
hat. Die Engländer können aber mit großer Ruhe dieser Bewegung entgegen-,<lb/>
sehen, denn sie haben in ihrer Municipalverfassung die sicherste Bürgschaft dafür,<lb/>
daß ihr inneres Staatsleben durch diese Bewegung nicht erschüttert werden kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1057" next="#ID_1058"> Ans der andern Seite sehen wir ein angeblich couservatives Ministerium,<lb/>
das Ministerium Schwarzenberg in Oestreich, Alles daransetzen, die conservativen<lb/>
Grundlagen seines Staats, die bisherigen Municipalverfassungen, mit der Wurzel<lb/>
auszurotten, und eine Centralisation durchzuführen, die auf Oestreich um so ver¬<lb/>
derblicher wirken muß, da hier von keiner gemeinsamen Nation die Rede ist,<lb/>
als deren Träger die Regierung sich darstellen könnte.  In Frankreich hat sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0384] zusammenzubringen, die eben so viel ausrichten würde, als eine Armee von 400,000 Mann nach dem gegenwärtigen Couscriptioussystem. — Um diesen Vor¬ schlag richtig zu würdigen, muß man in Erwägung ziehen, daß in Frankreich der Dienstpflichtige einen Ersatzmann stellen darf, und daß der Dienst sieben Jahre dauert. — Ferner soll auch die Flotte auf die zur Deckung der Küsten nöthigen Schiffe eingeschränkt werdeu. Gegen die Continentalmächte, meint Naudot, braucht man keine Flotte, gegen Englaud reiche die Flotte uicht aus. Mau solle mit England überhaupt keinen Krieg führen, weil dabei Frankreich auch bei dem günstigsten Erfolg nur verlieren könne; wenn man ihn aber führt, soll man ihn lediglich auf die Beunruhigung des englischen Handels einschränken. Alles das sind Vorschlage, die wenigstens zu einem sehr ernsten Nachdenken anregen müssen. Für den Augenblick wird allerdings das Gegentheil geschehen. Die Centralisation wird ins Ungeheure gesteigert und im einseitigen Interesse der Staatspolizei ausgebeutet werdeu. Aber die gegenwärtige Regierung muß über kurz oder laug zu Grunde gehen, wie jeder rein äußerliche Despotismus, der auf keine höhere Berechtigung gegründet ist, und was dann an die Stelle treten wird, die Republik oder ein neues Königthum, wird zunächst daraus ausgehen müssen, eine conservative, von der augenblicklichen Stimmung der Pariser Bevölkerung unabhängige Autorität in den Departements herzustellen. Die Bedeutung der Frage beschränkt sich uicht blos auf Frankreich. Wir sehen in diesem Augenblick, wie England eiuer neuen Phase seines größern politischen Lebens entgegengeht. Die neue Reformbill wird wenigstens für den Augenblick der Politik eine neue Richtung geben. Zwar glauben wir mit Herrn Roebuck, daß sich auf die Dauer auch bei den verschiedensten Wahlrechten das Verhältniß ausgleichen wird, weil der gesunde Sinn des englischen Volkes es versteht, sich in seineu Repräsentanten vollständig auszudrücken, wie auch die Form der Wahl sein möge. Die erste Reformbill hat nicht gehindert, daß wenige Jahre darauf eine conservative Majo¬ rität im Unterhause saß, aber für deu Augenblick wird allerdings dnrch die Veränderung der Wahlsorm auch die Gestalt des Parlaments verändert werden, und es ist vorauszusehen, daß der liberale Zuwachs eben so die aristokratische Whigpartei sprengen wird, wie Robert Peel die aristokratische Torypartei gesprengt hat. Die Engländer können aber mit großer Ruhe dieser Bewegung entgegen-, sehen, denn sie haben in ihrer Municipalverfassung die sicherste Bürgschaft dafür, daß ihr inneres Staatsleben durch diese Bewegung nicht erschüttert werden kann. Ans der andern Seite sehen wir ein angeblich couservatives Ministerium, das Ministerium Schwarzenberg in Oestreich, Alles daransetzen, die conservativen Grundlagen seines Staats, die bisherigen Municipalverfassungen, mit der Wurzel auszurotten, und eine Centralisation durchzuführen, die auf Oestreich um so ver¬ derblicher wirken muß, da hier von keiner gemeinsamen Nation die Rede ist, als deren Träger die Regierung sich darstellen könnte. In Frankreich hat sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/384
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/384>, abgerufen am 22.07.2024.