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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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abschaffen, und das gegenwärtige Recht der Regierungsbevollmächtigter zur
Aufhebung der Abänderung dieser Beschlüsse auf die Verletzung oder die Nicht-
ausführung von Gesetzen ibeschränken. Er will, daß alle Angelegenheiten der
Gemeinden, Cantons und Departements in der Provinz erledigt werden, nur in
einzelnen Fällen uuter Vorbehalt eines Recurses an den Staatsrath; daß die
Verwaltung der provinziellen Interessen von den Regierungsbeamten an die
Communalbeamten übertragen werde; daß die Entscheidung der Processe der
Gemeinden, der Departements und des Staats über Kaufvertrage oder Ueber¬
nahme von Arbeiten den gewöhnlichen Gerichtshöfen überwiesen werde, und
daß jeder Privatmann die Befugniß haben soll, ohne vorhergehende Genehmigung
von Seiten der höheren Beamten die Maires und alle Agenten der executiven
Gewalt vor Gericht zu verfolge".

Die Generalräthe der Departements ernennen also unabhängig ihre Ver¬
walter; sie haben ihre eigene, vom Staat getrennte Polizei- und Finanzverwal-
tung. Der Präfect hat mit der Municipalverwaltung Nichts mehr zu thun, er
soll nur in der Administration dieselbe Stelle einnehmen, wie der Appellations-
hos in der Justiz. Die Zahl der Präfecten kann daher eingeschränkt werden,
etwa auf 26, und die denselben überwiesenen Bezirke werden am passendsten die
alten Namen der Provinzen wieder annehmen, um auch auf diese Weise den Zu¬
sammenhang mit der Tradition herzustellen. Die Communicationsmittel und der¬
gleichen, eben so die Schulen, Gestüte u. s. w. werden theils den Departements,
theils der Privatindustrie überlassen. Es wird in allen diesen Dingen die freieste
Concurrenz eingeführt, und dem Staat fällt es nicht ein, sich als Beschützer oder
Beförderer der einen oder der andern Richtung darzustellen. Das Schutzzoll¬
system wird aufgegeben, und statt dessen das System der Finanzzölle eingeführt;
die Zölle, einzig zu dem Zwecke eingerichtet, Geld für den öffentlichen Schatz
zu beschaffen, sollen ans festen Grundlagen ruhen, und lediglich nach dem Zweck
der größtmöglichen Einnahme eingerichtet sein.

Was die höhere Politik betrifft, so erklärt sich Raudot für das Zweikammer¬
system. Die.erste Kammer, aus 240 Mitgliedern bestehend, soll durch die General¬
räthe der Departements, die zweite Kammer, aus 360 Mitgliedern, dnrch die
Gemeinderäthe ernannt werden, und die Wahl des Präsidenten der Republik soll
von den Cantonalräthen ausgehen. Auf diese Weise wird das conservative Princip
durch die fortwährende Beziehung der höchsten Staatsgewalten ans die Local-
gewalten gekräftigt.

Eine sehr bedeutende Einschränkung des Militairs soll dadurch ermöglicht
werden, daß das bisherige System der Conscription wieder aufgehoben und statt
dessen ein freiwilliger Dienst von 16 Jahren eingeführt wird. Bei dem militä¬
rischen Geiste, der in Frankreich herrscht, hält es Raudot für möglich, ohne er¬
hebliche Erhöhung des Soldes auf diese Weise eine Armee von 260,000 Mann


abschaffen, und das gegenwärtige Recht der Regierungsbevollmächtigter zur
Aufhebung der Abänderung dieser Beschlüsse auf die Verletzung oder die Nicht-
ausführung von Gesetzen ibeschränken. Er will, daß alle Angelegenheiten der
Gemeinden, Cantons und Departements in der Provinz erledigt werden, nur in
einzelnen Fällen uuter Vorbehalt eines Recurses an den Staatsrath; daß die
Verwaltung der provinziellen Interessen von den Regierungsbeamten an die
Communalbeamten übertragen werde; daß die Entscheidung der Processe der
Gemeinden, der Departements und des Staats über Kaufvertrage oder Ueber¬
nahme von Arbeiten den gewöhnlichen Gerichtshöfen überwiesen werde, und
daß jeder Privatmann die Befugniß haben soll, ohne vorhergehende Genehmigung
von Seiten der höheren Beamten die Maires und alle Agenten der executiven
Gewalt vor Gericht zu verfolge».

Die Generalräthe der Departements ernennen also unabhängig ihre Ver¬
walter; sie haben ihre eigene, vom Staat getrennte Polizei- und Finanzverwal-
tung. Der Präfect hat mit der Municipalverwaltung Nichts mehr zu thun, er
soll nur in der Administration dieselbe Stelle einnehmen, wie der Appellations-
hos in der Justiz. Die Zahl der Präfecten kann daher eingeschränkt werden,
etwa auf 26, und die denselben überwiesenen Bezirke werden am passendsten die
alten Namen der Provinzen wieder annehmen, um auch auf diese Weise den Zu¬
sammenhang mit der Tradition herzustellen. Die Communicationsmittel und der¬
gleichen, eben so die Schulen, Gestüte u. s. w. werden theils den Departements,
theils der Privatindustrie überlassen. Es wird in allen diesen Dingen die freieste
Concurrenz eingeführt, und dem Staat fällt es nicht ein, sich als Beschützer oder
Beförderer der einen oder der andern Richtung darzustellen. Das Schutzzoll¬
system wird aufgegeben, und statt dessen das System der Finanzzölle eingeführt;
die Zölle, einzig zu dem Zwecke eingerichtet, Geld für den öffentlichen Schatz
zu beschaffen, sollen ans festen Grundlagen ruhen, und lediglich nach dem Zweck
der größtmöglichen Einnahme eingerichtet sein.

Was die höhere Politik betrifft, so erklärt sich Raudot für das Zweikammer¬
system. Die.erste Kammer, aus 240 Mitgliedern bestehend, soll durch die General¬
räthe der Departements, die zweite Kammer, aus 360 Mitgliedern, dnrch die
Gemeinderäthe ernannt werden, und die Wahl des Präsidenten der Republik soll
von den Cantonalräthen ausgehen. Auf diese Weise wird das conservative Princip
durch die fortwährende Beziehung der höchsten Staatsgewalten ans die Local-
gewalten gekräftigt.

Eine sehr bedeutende Einschränkung des Militairs soll dadurch ermöglicht
werden, daß das bisherige System der Conscription wieder aufgehoben und statt
dessen ein freiwilliger Dienst von 16 Jahren eingeführt wird. Bei dem militä¬
rischen Geiste, der in Frankreich herrscht, hält es Raudot für möglich, ohne er¬
hebliche Erhöhung des Soldes auf diese Weise eine Armee von 260,000 Mann


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[0383] abschaffen, und das gegenwärtige Recht der Regierungsbevollmächtigter zur Aufhebung der Abänderung dieser Beschlüsse auf die Verletzung oder die Nicht- ausführung von Gesetzen ibeschränken. Er will, daß alle Angelegenheiten der Gemeinden, Cantons und Departements in der Provinz erledigt werden, nur in einzelnen Fällen uuter Vorbehalt eines Recurses an den Staatsrath; daß die Verwaltung der provinziellen Interessen von den Regierungsbeamten an die Communalbeamten übertragen werde; daß die Entscheidung der Processe der Gemeinden, der Departements und des Staats über Kaufvertrage oder Ueber¬ nahme von Arbeiten den gewöhnlichen Gerichtshöfen überwiesen werde, und daß jeder Privatmann die Befugniß haben soll, ohne vorhergehende Genehmigung von Seiten der höheren Beamten die Maires und alle Agenten der executiven Gewalt vor Gericht zu verfolge». Die Generalräthe der Departements ernennen also unabhängig ihre Ver¬ walter; sie haben ihre eigene, vom Staat getrennte Polizei- und Finanzverwal- tung. Der Präfect hat mit der Municipalverwaltung Nichts mehr zu thun, er soll nur in der Administration dieselbe Stelle einnehmen, wie der Appellations- hos in der Justiz. Die Zahl der Präfecten kann daher eingeschränkt werden, etwa auf 26, und die denselben überwiesenen Bezirke werden am passendsten die alten Namen der Provinzen wieder annehmen, um auch auf diese Weise den Zu¬ sammenhang mit der Tradition herzustellen. Die Communicationsmittel und der¬ gleichen, eben so die Schulen, Gestüte u. s. w. werden theils den Departements, theils der Privatindustrie überlassen. Es wird in allen diesen Dingen die freieste Concurrenz eingeführt, und dem Staat fällt es nicht ein, sich als Beschützer oder Beförderer der einen oder der andern Richtung darzustellen. Das Schutzzoll¬ system wird aufgegeben, und statt dessen das System der Finanzzölle eingeführt; die Zölle, einzig zu dem Zwecke eingerichtet, Geld für den öffentlichen Schatz zu beschaffen, sollen ans festen Grundlagen ruhen, und lediglich nach dem Zweck der größtmöglichen Einnahme eingerichtet sein. Was die höhere Politik betrifft, so erklärt sich Raudot für das Zweikammer¬ system. Die.erste Kammer, aus 240 Mitgliedern bestehend, soll durch die General¬ räthe der Departements, die zweite Kammer, aus 360 Mitgliedern, dnrch die Gemeinderäthe ernannt werden, und die Wahl des Präsidenten der Republik soll von den Cantonalräthen ausgehen. Auf diese Weise wird das conservative Princip durch die fortwährende Beziehung der höchsten Staatsgewalten ans die Local- gewalten gekräftigt. Eine sehr bedeutende Einschränkung des Militairs soll dadurch ermöglicht werden, daß das bisherige System der Conscription wieder aufgehoben und statt dessen ein freiwilliger Dienst von 16 Jahren eingeführt wird. Bei dem militä¬ rischen Geiste, der in Frankreich herrscht, hält es Raudot für möglich, ohne er¬ hebliche Erhöhung des Soldes auf diese Weise eine Armee von 260,000 Mann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/383>, abgerufen am 22.07.2024.