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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Tage lang auf eigene Verköstigung leben mußte, letztem am Cordon, der Grenze
Oestreichs gegen die Türkei, wo er gleichfalls acht Tage und Nächte Patrouilliren
und oft genug hungern mußte, wenn er wie gewöhnlich nicht viel Zehrung vom
Hause mitzunehmen hatte, für diesen Dienst und die Verköstigung des Soldaten
zahlte die Regierung dem Grenzhanse jährlich 8 Thaler: ein karger Lohn für den
schweren Dienst, welcher den Mann mindestens 8 Wochen im Jahre traf, unge¬
rechnet die Zeit, die er zum Hin- und Hermarsch brauchte, und das alljährliche
vierwöchentliche Exercitium, mit welchem zusammengenommen der Mann durch¬
schnittlich im Jahre zwanzig Wochen vom Hause abwesend war. Seit 1848 ist
es etwas besser geworden; wol ist sich der Dienst gleich geblieben, aber der Sol¬
dat erhält während der Dienstzeit Löhnung und Brod, so daß er wenigstens in
dieser Hinsicht dem Hause nicht zur Last fällt. Uebrigens ist diese Errungenschaft
mit dem Blute von mehr als 20,000 Mann erkauft, welche auf den Schlachtfel¬
dern von Italien und Ungarn geblieben sind.

Der Grenzer ist, wie jeder Serbe, ein geborner Soldat; ertheilt die guten
und schlimmen Seiten seines Standes. Man würde irren, wenn man ihn mit
dem kroatischen Bauer in Parallele setzen wollte. Der Grenzer weiß von keinem
Herrn, er hat keinen angestammten Respect vor einem bessern Rocke als der
seinige und hält Niemanden für vornehmer, als er selbst ist. Subordination
kennt er mir im Dienste. Die militairische Rangordnung verwirrt ihn nicht; so
wie er manchen seiner Kameraden zum Korporal und später zum Officier avan-
cirt sieht, so denkt er sich auch den General als "von der Pike auf" avancirt --
eine Carrit-re, die er ja möglicher Weise selbst machen kann. Der- "Tschessar"
(Kaiser) ist freilich mehr als ein anderer General, dies hindert jedoch nicht, daß er
auch vom Corporal angefangen haben mochte, bis er es so weit gebracht. Der
Grenzer spricht von und allenfalls auch mit dem Kaiser wie von oder mit einem
andern Officier; jene magische Person, welche der russische Czar dem Volke ist,
kann ihm der "Tschessar" nicht sein; denn dieser hat keine Tradition und keine
Geschichte, er ist dem Grenzer eine Person, die, wie jeder andere General, da
sein kann, aber nicht mit Nothwendigkeit da ist. Von gutgesinnter Schwärmerei
kann bei dem Grenzer keine Rede sein; er thut seine Soldatenpflicht, wie er es
gewohnt ist, und weiter Nichts.

Außer dem Dienste kümmert sich der Grenzer um seinen Commandanten
selten und nur dann, wenn sich dieser seine Zuneigung zu erwerben verstanden
hatte. Daß persönlicher Muth und Tapferkeit dem Soldaten imponirt, ist sehr
natürlich; hierauf gründete sich auch die Zuneigung der Grenzer für den Ban
Jelatschitsch, der wirklich ein tapferer Soldat ist, und durch seiue persönliche Bra-
vour den Soldaten hinriß. Hat aber der Grenzer für seinen Vorgesetzten keine
Zuneigung, so ist auch sein Respect für diesen nicht einmal so groß, daß er ihn außer
dem Dienste grüßen würde, wenn'er es nicht thun muß. Der Grenzer ist niemals,


Tage lang auf eigene Verköstigung leben mußte, letztem am Cordon, der Grenze
Oestreichs gegen die Türkei, wo er gleichfalls acht Tage und Nächte Patrouilliren
und oft genug hungern mußte, wenn er wie gewöhnlich nicht viel Zehrung vom
Hause mitzunehmen hatte, für diesen Dienst und die Verköstigung des Soldaten
zahlte die Regierung dem Grenzhanse jährlich 8 Thaler: ein karger Lohn für den
schweren Dienst, welcher den Mann mindestens 8 Wochen im Jahre traf, unge¬
rechnet die Zeit, die er zum Hin- und Hermarsch brauchte, und das alljährliche
vierwöchentliche Exercitium, mit welchem zusammengenommen der Mann durch¬
schnittlich im Jahre zwanzig Wochen vom Hause abwesend war. Seit 1848 ist
es etwas besser geworden; wol ist sich der Dienst gleich geblieben, aber der Sol¬
dat erhält während der Dienstzeit Löhnung und Brod, so daß er wenigstens in
dieser Hinsicht dem Hause nicht zur Last fällt. Uebrigens ist diese Errungenschaft
mit dem Blute von mehr als 20,000 Mann erkauft, welche auf den Schlachtfel¬
dern von Italien und Ungarn geblieben sind.

Der Grenzer ist, wie jeder Serbe, ein geborner Soldat; ertheilt die guten
und schlimmen Seiten seines Standes. Man würde irren, wenn man ihn mit
dem kroatischen Bauer in Parallele setzen wollte. Der Grenzer weiß von keinem
Herrn, er hat keinen angestammten Respect vor einem bessern Rocke als der
seinige und hält Niemanden für vornehmer, als er selbst ist. Subordination
kennt er mir im Dienste. Die militairische Rangordnung verwirrt ihn nicht; so
wie er manchen seiner Kameraden zum Korporal und später zum Officier avan-
cirt sieht, so denkt er sich auch den General als „von der Pike auf" avancirt —
eine Carrit-re, die er ja möglicher Weise selbst machen kann. Der- „Tschessar"
(Kaiser) ist freilich mehr als ein anderer General, dies hindert jedoch nicht, daß er
auch vom Corporal angefangen haben mochte, bis er es so weit gebracht. Der
Grenzer spricht von und allenfalls auch mit dem Kaiser wie von oder mit einem
andern Officier; jene magische Person, welche der russische Czar dem Volke ist,
kann ihm der „Tschessar" nicht sein; denn dieser hat keine Tradition und keine
Geschichte, er ist dem Grenzer eine Person, die, wie jeder andere General, da
sein kann, aber nicht mit Nothwendigkeit da ist. Von gutgesinnter Schwärmerei
kann bei dem Grenzer keine Rede sein; er thut seine Soldatenpflicht, wie er es
gewohnt ist, und weiter Nichts.

Außer dem Dienste kümmert sich der Grenzer um seinen Commandanten
selten und nur dann, wenn sich dieser seine Zuneigung zu erwerben verstanden
hatte. Daß persönlicher Muth und Tapferkeit dem Soldaten imponirt, ist sehr
natürlich; hierauf gründete sich auch die Zuneigung der Grenzer für den Ban
Jelatschitsch, der wirklich ein tapferer Soldat ist, und durch seiue persönliche Bra-
vour den Soldaten hinriß. Hat aber der Grenzer für seinen Vorgesetzten keine
Zuneigung, so ist auch sein Respect für diesen nicht einmal so groß, daß er ihn außer
dem Dienste grüßen würde, wenn'er es nicht thun muß. Der Grenzer ist niemals,


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[0376] Tage lang auf eigene Verköstigung leben mußte, letztem am Cordon, der Grenze Oestreichs gegen die Türkei, wo er gleichfalls acht Tage und Nächte Patrouilliren und oft genug hungern mußte, wenn er wie gewöhnlich nicht viel Zehrung vom Hause mitzunehmen hatte, für diesen Dienst und die Verköstigung des Soldaten zahlte die Regierung dem Grenzhanse jährlich 8 Thaler: ein karger Lohn für den schweren Dienst, welcher den Mann mindestens 8 Wochen im Jahre traf, unge¬ rechnet die Zeit, die er zum Hin- und Hermarsch brauchte, und das alljährliche vierwöchentliche Exercitium, mit welchem zusammengenommen der Mann durch¬ schnittlich im Jahre zwanzig Wochen vom Hause abwesend war. Seit 1848 ist es etwas besser geworden; wol ist sich der Dienst gleich geblieben, aber der Sol¬ dat erhält während der Dienstzeit Löhnung und Brod, so daß er wenigstens in dieser Hinsicht dem Hause nicht zur Last fällt. Uebrigens ist diese Errungenschaft mit dem Blute von mehr als 20,000 Mann erkauft, welche auf den Schlachtfel¬ dern von Italien und Ungarn geblieben sind. Der Grenzer ist, wie jeder Serbe, ein geborner Soldat; ertheilt die guten und schlimmen Seiten seines Standes. Man würde irren, wenn man ihn mit dem kroatischen Bauer in Parallele setzen wollte. Der Grenzer weiß von keinem Herrn, er hat keinen angestammten Respect vor einem bessern Rocke als der seinige und hält Niemanden für vornehmer, als er selbst ist. Subordination kennt er mir im Dienste. Die militairische Rangordnung verwirrt ihn nicht; so wie er manchen seiner Kameraden zum Korporal und später zum Officier avan- cirt sieht, so denkt er sich auch den General als „von der Pike auf" avancirt — eine Carrit-re, die er ja möglicher Weise selbst machen kann. Der- „Tschessar" (Kaiser) ist freilich mehr als ein anderer General, dies hindert jedoch nicht, daß er auch vom Corporal angefangen haben mochte, bis er es so weit gebracht. Der Grenzer spricht von und allenfalls auch mit dem Kaiser wie von oder mit einem andern Officier; jene magische Person, welche der russische Czar dem Volke ist, kann ihm der „Tschessar" nicht sein; denn dieser hat keine Tradition und keine Geschichte, er ist dem Grenzer eine Person, die, wie jeder andere General, da sein kann, aber nicht mit Nothwendigkeit da ist. Von gutgesinnter Schwärmerei kann bei dem Grenzer keine Rede sein; er thut seine Soldatenpflicht, wie er es gewohnt ist, und weiter Nichts. Außer dem Dienste kümmert sich der Grenzer um seinen Commandanten selten und nur dann, wenn sich dieser seine Zuneigung zu erwerben verstanden hatte. Daß persönlicher Muth und Tapferkeit dem Soldaten imponirt, ist sehr natürlich; hierauf gründete sich auch die Zuneigung der Grenzer für den Ban Jelatschitsch, der wirklich ein tapferer Soldat ist, und durch seiue persönliche Bra- vour den Soldaten hinriß. Hat aber der Grenzer für seinen Vorgesetzten keine Zuneigung, so ist auch sein Respect für diesen nicht einmal so groß, daß er ihn außer dem Dienste grüßen würde, wenn'er es nicht thun muß. Der Grenzer ist niemals,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/376>, abgerufen am 22.07.2024.