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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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unnatürliche Toeler!" Und nnn wird nach den Regeln ästhetischer Composition
der nämliche Gegenstand besprochen, der den armen betrogenen Liebhaber so eben
auf das Tiefste ergriffen hat. Ueber dem Streben,, sich in jedem Augenblick so
pikant und ungewöhnlich als möglich auszudrücken, hat man es ganz verlernt, zu
empfinden, wie ein echter Mensch sich in Collisionsfällen benimmt. Freilich könnte
man auch in dieser Scene eine Reminiscenz an Kotzebue finden, aber das ist
keine Entschuldigung.

Am strengsten aber muß man mit dem Dichter über die Art und Weise rechten,
wie er Goethe austreten läßt. Gutzkow hat schon die Rolle des Spinoza der
zweiten Liebhaberin übertragen; damit hätte es genug sein können. Nun giebt
er uns Goethe in derselben Form; am Ende auch Luther und den alten Fritz.
Aber wenn man das hingehen lassen wollte, so müßte er wenigstens einen wirklich
liebenswürdigen Burschen zeichnen. Statt dessen giebt er ein frühreifes jung¬
deutsches Genie, das vollständige Gegentheil des Bildes, das uns aus Wahrheit
und Dichtung so anmuthig entgegentritt. Der Vater, den Goethe in "Wahrheit
und Dichtung" schildert, ist nicht von der Art, daß der elfjährige Wolfgang sich
unterstanden hätte, ihm anfeine ernsthafte Ermahnung zu erwidern: "Sieh, sieh,
Vater, der Gedanke an Schulden macht Dich ordentlich poetisch." Die Mutter,
die Goethe schildert, ist nicht von der Art, daß, wenn sie sich mit einem Haus¬
freund unterredet und den Sohn fortschickt, dieser zu sich selber sagen dürste:
"Wenn's nicht meine Frau Mutter wär', ich könnte fast meinen -- hier passir-
ten Geschichten!.... Wenn die (die Mutter und der Hausfreund) mir
wieder auf der Brücke zwischen Poesie und Prosa begegnen, und mir gute Lehren
geben wollen, dann weiß ich jetzt auch, was ich antworten werde."
Das soll eine Verherrlichung unsres Dichters sein, wenn man ihn zum frechen
Schlingel macht! Freilich würde die Fran Rath auch nicht ihrem elfjährigen Büblein,
das eben im Begriff ist, bei einer Schauspielertruppe die Rolle der Vorsehung zu
übernehmen, zugerufen haben: "Geh, mein Sohn, folge dem Trieb Deiner
Seele! Ergreife die Hand der Götter, wo sie nur aus den Wolken hernieder¬
langt. Geh, geh! Du hast von mir keine Fessel Deines Genius zu fürchten."
-- Ein elfjähriger Junge, zu dem seine Mutter solchen Unsinn geredet hätte,
wäre nicht der Goethe geworden, zu dem wir noch heute aufblicken; und wenn
er sich auch hier im Drama durch Redensarten wie: "Eben ein Gott, und nun
wieder hinuntergeschleudert auf die Secundauerbank", "tern' ich durch Schmerzen,
was -- ein Dichter ist?" und durch geistreiche Urtheile über Friedrich den Großen
und die französische Poesie als Dichter legitimirt, und wenn auch der Königs¬
lieutenant zum Schluß erklärt: "Monsieur Wolfgang ist ein Kind von einer große
Schicksal und einer erhabene Zukonft -- o Sie haben hier einen Sohn, von
dem ich Ihnen gebe der Prophezeiung, daß er nicht sein wird blos eine große
Mannsperson für der Deutschland, sondern für alle der Nationen, welche noch


unnatürliche Toeler!" Und nnn wird nach den Regeln ästhetischer Composition
der nämliche Gegenstand besprochen, der den armen betrogenen Liebhaber so eben
auf das Tiefste ergriffen hat. Ueber dem Streben,, sich in jedem Augenblick so
pikant und ungewöhnlich als möglich auszudrücken, hat man es ganz verlernt, zu
empfinden, wie ein echter Mensch sich in Collisionsfällen benimmt. Freilich könnte
man auch in dieser Scene eine Reminiscenz an Kotzebue finden, aber das ist
keine Entschuldigung.

Am strengsten aber muß man mit dem Dichter über die Art und Weise rechten,
wie er Goethe austreten läßt. Gutzkow hat schon die Rolle des Spinoza der
zweiten Liebhaberin übertragen; damit hätte es genug sein können. Nun giebt
er uns Goethe in derselben Form; am Ende auch Luther und den alten Fritz.
Aber wenn man das hingehen lassen wollte, so müßte er wenigstens einen wirklich
liebenswürdigen Burschen zeichnen. Statt dessen giebt er ein frühreifes jung¬
deutsches Genie, das vollständige Gegentheil des Bildes, das uns aus Wahrheit
und Dichtung so anmuthig entgegentritt. Der Vater, den Goethe in „Wahrheit
und Dichtung" schildert, ist nicht von der Art, daß der elfjährige Wolfgang sich
unterstanden hätte, ihm anfeine ernsthafte Ermahnung zu erwidern: „Sieh, sieh,
Vater, der Gedanke an Schulden macht Dich ordentlich poetisch." Die Mutter,
die Goethe schildert, ist nicht von der Art, daß, wenn sie sich mit einem Haus¬
freund unterredet und den Sohn fortschickt, dieser zu sich selber sagen dürste:
„Wenn's nicht meine Frau Mutter wär', ich könnte fast meinen — hier passir-
ten Geschichten!.... Wenn die (die Mutter und der Hausfreund) mir
wieder auf der Brücke zwischen Poesie und Prosa begegnen, und mir gute Lehren
geben wollen, dann weiß ich jetzt auch, was ich antworten werde."
Das soll eine Verherrlichung unsres Dichters sein, wenn man ihn zum frechen
Schlingel macht! Freilich würde die Fran Rath auch nicht ihrem elfjährigen Büblein,
das eben im Begriff ist, bei einer Schauspielertruppe die Rolle der Vorsehung zu
übernehmen, zugerufen haben: „Geh, mein Sohn, folge dem Trieb Deiner
Seele! Ergreife die Hand der Götter, wo sie nur aus den Wolken hernieder¬
langt. Geh, geh! Du hast von mir keine Fessel Deines Genius zu fürchten."
— Ein elfjähriger Junge, zu dem seine Mutter solchen Unsinn geredet hätte,
wäre nicht der Goethe geworden, zu dem wir noch heute aufblicken; und wenn
er sich auch hier im Drama durch Redensarten wie: „Eben ein Gott, und nun
wieder hinuntergeschleudert auf die Secundauerbank", „tern' ich durch Schmerzen,
was — ein Dichter ist?" und durch geistreiche Urtheile über Friedrich den Großen
und die französische Poesie als Dichter legitimirt, und wenn auch der Königs¬
lieutenant zum Schluß erklärt: „Monsieur Wolfgang ist ein Kind von einer große
Schicksal und einer erhabene Zukonft — o Sie haben hier einen Sohn, von
dem ich Ihnen gebe der Prophezeiung, daß er nicht sein wird blos eine große
Mannsperson für der Deutschland, sondern für alle der Nationen, welche noch


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[0374] unnatürliche Toeler!" Und nnn wird nach den Regeln ästhetischer Composition der nämliche Gegenstand besprochen, der den armen betrogenen Liebhaber so eben auf das Tiefste ergriffen hat. Ueber dem Streben,, sich in jedem Augenblick so pikant und ungewöhnlich als möglich auszudrücken, hat man es ganz verlernt, zu empfinden, wie ein echter Mensch sich in Collisionsfällen benimmt. Freilich könnte man auch in dieser Scene eine Reminiscenz an Kotzebue finden, aber das ist keine Entschuldigung. Am strengsten aber muß man mit dem Dichter über die Art und Weise rechten, wie er Goethe austreten läßt. Gutzkow hat schon die Rolle des Spinoza der zweiten Liebhaberin übertragen; damit hätte es genug sein können. Nun giebt er uns Goethe in derselben Form; am Ende auch Luther und den alten Fritz. Aber wenn man das hingehen lassen wollte, so müßte er wenigstens einen wirklich liebenswürdigen Burschen zeichnen. Statt dessen giebt er ein frühreifes jung¬ deutsches Genie, das vollständige Gegentheil des Bildes, das uns aus Wahrheit und Dichtung so anmuthig entgegentritt. Der Vater, den Goethe in „Wahrheit und Dichtung" schildert, ist nicht von der Art, daß der elfjährige Wolfgang sich unterstanden hätte, ihm anfeine ernsthafte Ermahnung zu erwidern: „Sieh, sieh, Vater, der Gedanke an Schulden macht Dich ordentlich poetisch." Die Mutter, die Goethe schildert, ist nicht von der Art, daß, wenn sie sich mit einem Haus¬ freund unterredet und den Sohn fortschickt, dieser zu sich selber sagen dürste: „Wenn's nicht meine Frau Mutter wär', ich könnte fast meinen — hier passir- ten Geschichten!.... Wenn die (die Mutter und der Hausfreund) mir wieder auf der Brücke zwischen Poesie und Prosa begegnen, und mir gute Lehren geben wollen, dann weiß ich jetzt auch, was ich antworten werde." Das soll eine Verherrlichung unsres Dichters sein, wenn man ihn zum frechen Schlingel macht! Freilich würde die Fran Rath auch nicht ihrem elfjährigen Büblein, das eben im Begriff ist, bei einer Schauspielertruppe die Rolle der Vorsehung zu übernehmen, zugerufen haben: „Geh, mein Sohn, folge dem Trieb Deiner Seele! Ergreife die Hand der Götter, wo sie nur aus den Wolken hernieder¬ langt. Geh, geh! Du hast von mir keine Fessel Deines Genius zu fürchten." — Ein elfjähriger Junge, zu dem seine Mutter solchen Unsinn geredet hätte, wäre nicht der Goethe geworden, zu dem wir noch heute aufblicken; und wenn er sich auch hier im Drama durch Redensarten wie: „Eben ein Gott, und nun wieder hinuntergeschleudert auf die Secundauerbank", „tern' ich durch Schmerzen, was — ein Dichter ist?" und durch geistreiche Urtheile über Friedrich den Großen und die französische Poesie als Dichter legitimirt, und wenn auch der Königs¬ lieutenant zum Schluß erklärt: „Monsieur Wolfgang ist ein Kind von einer große Schicksal und einer erhabene Zukonft — o Sie haben hier einen Sohn, von dem ich Ihnen gebe der Prophezeiung, daß er nicht sein wird blos eine große Mannsperson für der Deutschland, sondern für alle der Nationen, welche noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/374>, abgerufen am 22.07.2024.