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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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"Gamin von Paris", der "Schiffsjunge", "Christoph und Renate" u. s. w. auf
allen Theatern, wo eine anmuthige Localsängerin war, entschiedenes Glück gemacht.

Es ist ferner ein melodramatisches Motiv, das seine Wirkung nie verfehlen
wird, wenn ein braver, redlicher Mann, der mit hingebender Liebe an einem
jungen Mädchen hängt, durch die Untreue derselbe" in die tiefste Melancholie
gestürzt wird, aber dennoch, als er sie im Elend wiederfindet, sich bezwingt und
sie glücklich macht.

Es ist ferner für jedes deutsche Herz ein erfreuliches Schauspiel, wenn ein
deutscher Biedermann den welschen Gast trotz der Bayonnette, über welche derselbe
gebieten kann, mit Entschiedenheit in seine Schranken zurückweist, und, ohne die
Gefahr des Todes zu scheuen, die Idee des einigen freien Deutschland gegen die
ausländischen Tyrannenknechte vertritt.

Endlich hat jeder Dichter auf die wärmsten Sympathien zu rechnen, der
einen gefeierten Namen der öffentlichen Verehrung ausstellt, der alle Schwachköpse
und Bösewichter sich widerwillig vor der Macht des Genius beugen läßt, und
der diese Unterwerfung wieder durch den Geist der Liebe, der von jedem echten
Genius ausströmt, verklärt. Und welcher deutsche Name könnte geeigneter für
diese Apotheose des Genius sein, als der große Name Goethe's! --

Alle diese Motive kommen in Gutzkow's Lustspiel vor. Sie sind sämmtlich
von der Art, daß sie irgend einen Theil des Publicums hinreißen müssen, aber
leider hebt das Eine die Wirkung des Andern aus. In seinem Eiser, jeden Theil
des Publicums zu befriedigen, das Parterre durch Goethe, die Galerie durch die Sprach-
verdrehuugeu, die Logen durch die hübsche Soubrette in Knabenkleidern, hat Gutzkow nur
ein Publicum außer Acht gelassen, dasjenige nämlich, welches im Theater ein Kunstwerk
sucht. Gutzkow verlangt in der Vorrede von seinen Kritikern, "sie hätten wol die Sorge
in Anschlag bringen können, wie wol alle von Goethe (in Wahrheit und Dichtung)
gegebenen Materialien zu verbinden und zum möglichst wahrscheinlichen Zusammenhang
zu verquicken waren." -- So mag wol ein Koch von seinem Kunstwerk sprechen,
aber nicht ein Dichter. Dem Dichter kommt es nicht darauf an, Motive, die
einander widersprechen, zu einem möglichst wahrscheinlichen Zusammenhange zu
verquicken, sondern er wählt mit sicherem Blick ans dem gegebenen Stoff dasjenige
aus, was seiner Idee Leben, Gestalt und Bewegung geben kann. Da wir hier
es aber mit einer eigenthümlichen Art von Poesie zu thun haben, so müssen wir
uns dazu verstehen, sein Geschäft des Verquickens im Einzelnen zu beleuchten.

Das geringste Gewicht wollen wir ans die äußere historische Wahrheit legen.
Wenn mau ein historisches Lustspiel schreibt, das sich mit dem vierten Jahre des
siebenjährigen Krieges beschäftigt, und einen Theil der darin vorkommenden Per¬
sonen sich in der Redeweise der Zeit ergehen läßt, so muß man es mit allen
thun. Es ist uicht erlaubt, die einen in der idealen Sprache des jungen Deutsch-
and, die andern im Jargon des siebenjährigen Krieges reden zu lassen. -7. Wenn


„Gamin von Paris", der „Schiffsjunge", „Christoph und Renate" u. s. w. auf
allen Theatern, wo eine anmuthige Localsängerin war, entschiedenes Glück gemacht.

Es ist ferner ein melodramatisches Motiv, das seine Wirkung nie verfehlen
wird, wenn ein braver, redlicher Mann, der mit hingebender Liebe an einem
jungen Mädchen hängt, durch die Untreue derselbe» in die tiefste Melancholie
gestürzt wird, aber dennoch, als er sie im Elend wiederfindet, sich bezwingt und
sie glücklich macht.

Es ist ferner für jedes deutsche Herz ein erfreuliches Schauspiel, wenn ein
deutscher Biedermann den welschen Gast trotz der Bayonnette, über welche derselbe
gebieten kann, mit Entschiedenheit in seine Schranken zurückweist, und, ohne die
Gefahr des Todes zu scheuen, die Idee des einigen freien Deutschland gegen die
ausländischen Tyrannenknechte vertritt.

Endlich hat jeder Dichter auf die wärmsten Sympathien zu rechnen, der
einen gefeierten Namen der öffentlichen Verehrung ausstellt, der alle Schwachköpse
und Bösewichter sich widerwillig vor der Macht des Genius beugen läßt, und
der diese Unterwerfung wieder durch den Geist der Liebe, der von jedem echten
Genius ausströmt, verklärt. Und welcher deutsche Name könnte geeigneter für
diese Apotheose des Genius sein, als der große Name Goethe's! —

Alle diese Motive kommen in Gutzkow's Lustspiel vor. Sie sind sämmtlich
von der Art, daß sie irgend einen Theil des Publicums hinreißen müssen, aber
leider hebt das Eine die Wirkung des Andern aus. In seinem Eiser, jeden Theil
des Publicums zu befriedigen, das Parterre durch Goethe, die Galerie durch die Sprach-
verdrehuugeu, die Logen durch die hübsche Soubrette in Knabenkleidern, hat Gutzkow nur
ein Publicum außer Acht gelassen, dasjenige nämlich, welches im Theater ein Kunstwerk
sucht. Gutzkow verlangt in der Vorrede von seinen Kritikern, „sie hätten wol die Sorge
in Anschlag bringen können, wie wol alle von Goethe (in Wahrheit und Dichtung)
gegebenen Materialien zu verbinden und zum möglichst wahrscheinlichen Zusammenhang
zu verquicken waren." — So mag wol ein Koch von seinem Kunstwerk sprechen,
aber nicht ein Dichter. Dem Dichter kommt es nicht darauf an, Motive, die
einander widersprechen, zu einem möglichst wahrscheinlichen Zusammenhange zu
verquicken, sondern er wählt mit sicherem Blick ans dem gegebenen Stoff dasjenige
aus, was seiner Idee Leben, Gestalt und Bewegung geben kann. Da wir hier
es aber mit einer eigenthümlichen Art von Poesie zu thun haben, so müssen wir
uns dazu verstehen, sein Geschäft des Verquickens im Einzelnen zu beleuchten.

Das geringste Gewicht wollen wir ans die äußere historische Wahrheit legen.
Wenn mau ein historisches Lustspiel schreibt, das sich mit dem vierten Jahre des
siebenjährigen Krieges beschäftigt, und einen Theil der darin vorkommenden Per¬
sonen sich in der Redeweise der Zeit ergehen läßt, so muß man es mit allen
thun. Es ist uicht erlaubt, die einen in der idealen Sprache des jungen Deutsch-
and, die andern im Jargon des siebenjährigen Krieges reden zu lassen. -7. Wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/372>, abgerufen am 22.07.2024.