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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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fässer sehen will, der besuche in Tyrnau das Faß, welches Herr v. Szulizhi 1823
in einem besondern schönen gothischen Keller aufstellen ließ, es ist mit 2110
Eimern gefüllt, oder er betrachte das noch größere Eszterhazysche Faß zu
Bay bei Dolis, oder auch uur die kleinen Marmorfässer zu Ösen und anderswo
von 3--500 Eimern. Oder er durchwandere die Keller der einzelnen Herrschaften,
wo tausende vou Eimern derselben Sorte wie Regimenter neben einander stehen,
z. B. den Keller des Grafen Zichy zu Almas, welcher allerdings nur 6--7000
Eimer, aber vou den guten Jahrgängen des edlen Neszmvly Weines enthält,
Jahrgang neben Jahrgang recht anschaulich geordnet, bis zu 1788 hinauf. Oder
er pilgere auch nur durch die gesammten Keller vou Buda-Pest, wo eine halbe
Million Eimer zu jeder Jahreszeit zu finden sein wird, er kann die Kellerreise
iir weniger als einem Vierteljahr abmachen.

Feurig und dunkel rollt daS Blut durch die Adern des Magyaren, und
wie das Volk ist auch sein Wein ein Heißblntiger Gesell, welcher wilde Ausge¬
lassenheit, oder ernste Begeisterung hervorruft. Er treibt das Blut stark durch die
Adern und macht sie aufschwellen, wie Stränge, welche den Genießenden bald
zu irgend einer schnellen That unwiderstehlich, hinziehen, bald zu beschaulichem
Ernst und pathetischen Herzensergüssen festbinden an den Trinklisch. Man kennt
ihn im deutschen Norden fast nur als Entree oder Dessen eiuer komponirteu
Mahlzeit, und auch da wegen der vielen Fälschungen sehr unvollkommen; und
doch giebt es keinen Wein in der Welt, der ihn an Adel, Feuer und Liebens¬
würdigkeit übertrifft, keiner ist so kostbar, so heilsam und so dauerhaft als er. Und
die, welche ihn nicht kennen, entbehren den höchsten Schmuck einer feinen Tafel,
die köstlichste Stärkung für Greise und Genesende.

Schon die Eigenthmnlichkeit ist charakteristisch, daß viele edle Sorten desselben
dauernd dnrch die Zeit verbessert werden. Es giebt 30, 50, ja in einzelnen
Kellern wol 100jährige Flaschen, welche für den Kenner einen Werth haben, der
freilich nach den Preisen unserer Weincourante nicht mehr zu berechnen ist. Aber
auch in Ungarn giebt es Reben und Gegenden, deren Wein schnell reift, schon
im zweiten Jahre alle Tugenden in hoher Ausbildung zeigt und im Laufe der
Zeit sich uicht dauernd verbessert, im Gegensatz zu den härteren Arten, welche erst
als Greise die höchste Schönheit und Kraft entwickeln.

Ferner ist ihm eigenthümlich das größere innere Leben, welches der gekelterte
Wein anch nach seiner Gährung behält, und womit er, ähnlich einem organischen
Wesen, dem dunkeln Zwange der Natur folgt. Auch in anderen Weinen sind
Entwickelungsprocesse nach der Gährung vorhanden, nirgend so stark und von
so eigenthümlichen Erscheinungen begleitet. Der Ungarwein scheidet ein starkes
Lager aus, anch aus Flaschen gezogen. Die Wände und der Boden der Flaschen,
in welchen er nach alter Methode stehend erhalten wurde, überziehen sich von innen
mit einem farbigen Sah, welcher Salze, Schleimtheile, Farbestoff ze. enthält,


fässer sehen will, der besuche in Tyrnau das Faß, welches Herr v. Szulizhi 1823
in einem besondern schönen gothischen Keller aufstellen ließ, es ist mit 2110
Eimern gefüllt, oder er betrachte das noch größere Eszterhazysche Faß zu
Bay bei Dolis, oder auch uur die kleinen Marmorfässer zu Ösen und anderswo
von 3—500 Eimern. Oder er durchwandere die Keller der einzelnen Herrschaften,
wo tausende vou Eimern derselben Sorte wie Regimenter neben einander stehen,
z. B. den Keller des Grafen Zichy zu Almas, welcher allerdings nur 6—7000
Eimer, aber vou den guten Jahrgängen des edlen Neszmvly Weines enthält,
Jahrgang neben Jahrgang recht anschaulich geordnet, bis zu 1788 hinauf. Oder
er pilgere auch nur durch die gesammten Keller vou Buda-Pest, wo eine halbe
Million Eimer zu jeder Jahreszeit zu finden sein wird, er kann die Kellerreise
iir weniger als einem Vierteljahr abmachen.

Feurig und dunkel rollt daS Blut durch die Adern des Magyaren, und
wie das Volk ist auch sein Wein ein Heißblntiger Gesell, welcher wilde Ausge¬
lassenheit, oder ernste Begeisterung hervorruft. Er treibt das Blut stark durch die
Adern und macht sie aufschwellen, wie Stränge, welche den Genießenden bald
zu irgend einer schnellen That unwiderstehlich, hinziehen, bald zu beschaulichem
Ernst und pathetischen Herzensergüssen festbinden an den Trinklisch. Man kennt
ihn im deutschen Norden fast nur als Entree oder Dessen eiuer komponirteu
Mahlzeit, und auch da wegen der vielen Fälschungen sehr unvollkommen; und
doch giebt es keinen Wein in der Welt, der ihn an Adel, Feuer und Liebens¬
würdigkeit übertrifft, keiner ist so kostbar, so heilsam und so dauerhaft als er. Und
die, welche ihn nicht kennen, entbehren den höchsten Schmuck einer feinen Tafel,
die köstlichste Stärkung für Greise und Genesende.

Schon die Eigenthmnlichkeit ist charakteristisch, daß viele edle Sorten desselben
dauernd dnrch die Zeit verbessert werden. Es giebt 30, 50, ja in einzelnen
Kellern wol 100jährige Flaschen, welche für den Kenner einen Werth haben, der
freilich nach den Preisen unserer Weincourante nicht mehr zu berechnen ist. Aber
auch in Ungarn giebt es Reben und Gegenden, deren Wein schnell reift, schon
im zweiten Jahre alle Tugenden in hoher Ausbildung zeigt und im Laufe der
Zeit sich uicht dauernd verbessert, im Gegensatz zu den härteren Arten, welche erst
als Greise die höchste Schönheit und Kraft entwickeln.

Ferner ist ihm eigenthümlich das größere innere Leben, welches der gekelterte
Wein anch nach seiner Gährung behält, und womit er, ähnlich einem organischen
Wesen, dem dunkeln Zwange der Natur folgt. Auch in anderen Weinen sind
Entwickelungsprocesse nach der Gährung vorhanden, nirgend so stark und von
so eigenthümlichen Erscheinungen begleitet. Der Ungarwein scheidet ein starkes
Lager aus, anch aus Flaschen gezogen. Die Wände und der Boden der Flaschen,
in welchen er nach alter Methode stehend erhalten wurde, überziehen sich von innen
mit einem farbigen Sah, welcher Salze, Schleimtheile, Farbestoff ze. enthält,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/36>, abgerufen am 22.07.2024.