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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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der englischen Verfassung, namentlich der übertriebene Einfluß der Landaristokratie,
sehr scharf gerügt werden; aber das novellistische Interesse überwiegt doch zu sehr,
als daß wir glauben sollten, es sei Ernst mit dieser Tendenz. Der Inhalt der
Geschichte ist folgender. Der junge Catch Williams tritt als Secretair bei
dem reichen Gutsbesitzer Falkland ein, einem edlen und gerechten Mann, der
das höchste Ansehen genießt, hinter dessen Gemüthsbewegungen man aber irgend
ein Geheimniß suchen muß. Catch wird von eiuer verhängnißvollen Neugierde
getrieben, dieses Geheimniß zu erforschen, und kommt durch feine psychologische
Beobachtungen endlich zu dem Resultat, daß Falkland ihm gestehen muß, er
habe nicht nur im Augenblick wild erregter Leidenschaft einen Mord began¬
gen, sondern auch zugelassen, daß zwei unschuldige Menschen deswegen hinge¬
richtet wurden. Sein zu fein zugespitzes Ehrgefühl hat ihn dazu verleitet, und
es ist auch noch so stark in ihm, daß er, um seinen Ruf rein zu bewahren, die
größten Ungerechtigkeiten begeht. Catch, der Mitwisser dieses Geheimnisses, wird
von ihm unter der strengsten Aufsicht gehalten, und als er sich endlich der Qual
derselben entzieht, des Diebstahls angeklagt und verhaftet. Die Umstände sind
so, daß die Verurteilung und der Galgen ihm gewiß erscheint. Nach mehreren
verunglückten Versuchen bricht er endlich aus seinem Kerker aus und irrt, unablässig
von den Spürhunden der Gerechtigkeit verfolgt, in den wildesten Abenteuern umher,
bald vou Diebesbanden aufgenommen, bald mit der Literatur, beschäftigt. Zu seinem
ersten Verfolger gesellt sich ein zweiter, Gines, zuerst Dieb, dann Polizeispivn, der end¬
lich seiner habhaft wird; er wird zum zweiten Mal in den Kerker geführt, aber am Tage
des Gerichts bleiben seine Ankläger aus, und er muß daher entlassen werden.
Jetzt glaubt er seiner Verfolgungen ledig zu sein, und sucht sich einen ehrlichen
Broderwerb, aber wo er sich auch niederläßt, wird er durch Falkland's und Gines'
Anstrengungen als ein frecher Bösewicht verrufen und muß wieder fliehen. End¬
lich kann er das nicht länger ertragen, er stellt sich selber vor Gericht, und klagt
Falkland des Mordes an. Das Gericht zeigt keine große Lust, auf diese Anklage
einzugehen, die durch keine materiellen Beweise unterstützt wird; aber Falkland
selbst, der durch beständige Gemüthsbewegungen zu einem Schatten seiner selbst
verkümmert ist, wird durch die rührende Rede seines ehemaligen Dieners
endlich erweicht, er gesteht sein Verbrechen und stirbt gleich darauf. -- Es ist,
wie gesagt, namentlich in dem materiellen Theil der Darstellung, ein großes
Talent, und Bulwer und Ainsworth, die bei ihrem Eugen Aram, Paul Clifford,
Jack Sheppard vorzugsweise dieses Vorbild vor Augen gehabt haben, sind
in dieser Kunst nicht viel weiter gekommen. Aber auch die psychologische
Spannung ist zum Theil mit vielem Glück wiedergegeben; nur sind die bestän¬
digen Sprünge in der Entwickelung, so wie die Unruhe und Hast der Erzählung
nicht geeignet, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, und die Heftigkeit in
den Ausbrüchen der Leidenschaft geht auch in der Form oft genug so.weit, daß


der englischen Verfassung, namentlich der übertriebene Einfluß der Landaristokratie,
sehr scharf gerügt werden; aber das novellistische Interesse überwiegt doch zu sehr,
als daß wir glauben sollten, es sei Ernst mit dieser Tendenz. Der Inhalt der
Geschichte ist folgender. Der junge Catch Williams tritt als Secretair bei
dem reichen Gutsbesitzer Falkland ein, einem edlen und gerechten Mann, der
das höchste Ansehen genießt, hinter dessen Gemüthsbewegungen man aber irgend
ein Geheimniß suchen muß. Catch wird von eiuer verhängnißvollen Neugierde
getrieben, dieses Geheimniß zu erforschen, und kommt durch feine psychologische
Beobachtungen endlich zu dem Resultat, daß Falkland ihm gestehen muß, er
habe nicht nur im Augenblick wild erregter Leidenschaft einen Mord began¬
gen, sondern auch zugelassen, daß zwei unschuldige Menschen deswegen hinge¬
richtet wurden. Sein zu fein zugespitzes Ehrgefühl hat ihn dazu verleitet, und
es ist auch noch so stark in ihm, daß er, um seinen Ruf rein zu bewahren, die
größten Ungerechtigkeiten begeht. Catch, der Mitwisser dieses Geheimnisses, wird
von ihm unter der strengsten Aufsicht gehalten, und als er sich endlich der Qual
derselben entzieht, des Diebstahls angeklagt und verhaftet. Die Umstände sind
so, daß die Verurteilung und der Galgen ihm gewiß erscheint. Nach mehreren
verunglückten Versuchen bricht er endlich aus seinem Kerker aus und irrt, unablässig
von den Spürhunden der Gerechtigkeit verfolgt, in den wildesten Abenteuern umher,
bald vou Diebesbanden aufgenommen, bald mit der Literatur, beschäftigt. Zu seinem
ersten Verfolger gesellt sich ein zweiter, Gines, zuerst Dieb, dann Polizeispivn, der end¬
lich seiner habhaft wird; er wird zum zweiten Mal in den Kerker geführt, aber am Tage
des Gerichts bleiben seine Ankläger aus, und er muß daher entlassen werden.
Jetzt glaubt er seiner Verfolgungen ledig zu sein, und sucht sich einen ehrlichen
Broderwerb, aber wo er sich auch niederläßt, wird er durch Falkland's und Gines'
Anstrengungen als ein frecher Bösewicht verrufen und muß wieder fliehen. End¬
lich kann er das nicht länger ertragen, er stellt sich selber vor Gericht, und klagt
Falkland des Mordes an. Das Gericht zeigt keine große Lust, auf diese Anklage
einzugehen, die durch keine materiellen Beweise unterstützt wird; aber Falkland
selbst, der durch beständige Gemüthsbewegungen zu einem Schatten seiner selbst
verkümmert ist, wird durch die rührende Rede seines ehemaligen Dieners
endlich erweicht, er gesteht sein Verbrechen und stirbt gleich darauf. — Es ist,
wie gesagt, namentlich in dem materiellen Theil der Darstellung, ein großes
Talent, und Bulwer und Ainsworth, die bei ihrem Eugen Aram, Paul Clifford,
Jack Sheppard vorzugsweise dieses Vorbild vor Augen gehabt haben, sind
in dieser Kunst nicht viel weiter gekommen. Aber auch die psychologische
Spannung ist zum Theil mit vielem Glück wiedergegeben; nur sind die bestän¬
digen Sprünge in der Entwickelung, so wie die Unruhe und Hast der Erzählung
nicht geeignet, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, und die Heftigkeit in
den Ausbrüchen der Leidenschaft geht auch in der Form oft genug so.weit, daß


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[0345] der englischen Verfassung, namentlich der übertriebene Einfluß der Landaristokratie, sehr scharf gerügt werden; aber das novellistische Interesse überwiegt doch zu sehr, als daß wir glauben sollten, es sei Ernst mit dieser Tendenz. Der Inhalt der Geschichte ist folgender. Der junge Catch Williams tritt als Secretair bei dem reichen Gutsbesitzer Falkland ein, einem edlen und gerechten Mann, der das höchste Ansehen genießt, hinter dessen Gemüthsbewegungen man aber irgend ein Geheimniß suchen muß. Catch wird von eiuer verhängnißvollen Neugierde getrieben, dieses Geheimniß zu erforschen, und kommt durch feine psychologische Beobachtungen endlich zu dem Resultat, daß Falkland ihm gestehen muß, er habe nicht nur im Augenblick wild erregter Leidenschaft einen Mord began¬ gen, sondern auch zugelassen, daß zwei unschuldige Menschen deswegen hinge¬ richtet wurden. Sein zu fein zugespitzes Ehrgefühl hat ihn dazu verleitet, und es ist auch noch so stark in ihm, daß er, um seinen Ruf rein zu bewahren, die größten Ungerechtigkeiten begeht. Catch, der Mitwisser dieses Geheimnisses, wird von ihm unter der strengsten Aufsicht gehalten, und als er sich endlich der Qual derselben entzieht, des Diebstahls angeklagt und verhaftet. Die Umstände sind so, daß die Verurteilung und der Galgen ihm gewiß erscheint. Nach mehreren verunglückten Versuchen bricht er endlich aus seinem Kerker aus und irrt, unablässig von den Spürhunden der Gerechtigkeit verfolgt, in den wildesten Abenteuern umher, bald vou Diebesbanden aufgenommen, bald mit der Literatur, beschäftigt. Zu seinem ersten Verfolger gesellt sich ein zweiter, Gines, zuerst Dieb, dann Polizeispivn, der end¬ lich seiner habhaft wird; er wird zum zweiten Mal in den Kerker geführt, aber am Tage des Gerichts bleiben seine Ankläger aus, und er muß daher entlassen werden. Jetzt glaubt er seiner Verfolgungen ledig zu sein, und sucht sich einen ehrlichen Broderwerb, aber wo er sich auch niederläßt, wird er durch Falkland's und Gines' Anstrengungen als ein frecher Bösewicht verrufen und muß wieder fliehen. End¬ lich kann er das nicht länger ertragen, er stellt sich selber vor Gericht, und klagt Falkland des Mordes an. Das Gericht zeigt keine große Lust, auf diese Anklage einzugehen, die durch keine materiellen Beweise unterstützt wird; aber Falkland selbst, der durch beständige Gemüthsbewegungen zu einem Schatten seiner selbst verkümmert ist, wird durch die rührende Rede seines ehemaligen Dieners endlich erweicht, er gesteht sein Verbrechen und stirbt gleich darauf. — Es ist, wie gesagt, namentlich in dem materiellen Theil der Darstellung, ein großes Talent, und Bulwer und Ainsworth, die bei ihrem Eugen Aram, Paul Clifford, Jack Sheppard vorzugsweise dieses Vorbild vor Augen gehabt haben, sind in dieser Kunst nicht viel weiter gekommen. Aber auch die psychologische Spannung ist zum Theil mit vielem Glück wiedergegeben; nur sind die bestän¬ digen Sprünge in der Entwickelung, so wie die Unruhe und Hast der Erzählung nicht geeignet, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, und die Heftigkeit in den Ausbrüchen der Leidenschaft geht auch in der Form oft genug so.weit, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/345>, abgerufen am 22.07.2024.