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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Greuelthaten sind doch diesmal etwas eingeschränkt, und das psychologische In¬
teresse tritt" in den Vordergrund. Der Gegensatz' der drei Weiber, welche die
Hauptrolle spielen, Großmutter, Mutter und Tochter, die beiden Letzteren in die
Liebe zu demselben Manne verstrickt, ist sehr poetisch gehalten. Die Erste, eine
irländische Meg Merillies, von dem wildesten katholischen Fanatismus erfüllt;
die Zweite, Zaira, die glänzende Sängerin, die unter einem frivolen Aussehen
die tiefsten Empfindungen birgt, ein Ebenbild der Corinna; endlich die Dritte,
Eva, in einer puritanischen Familie nach den strengsten Grundsätzen erzogen, und
in dem ewigen Conflict zwischen den natürlichen Empfindungen ihres Herzens
und der Casuistik der Pflicht befangen. Die Volksscenen, die in diesem Romane
vorkommen, sind mit großer Kunst geschildert, und mit einer Naturtreue, die wir
nur bei deu englischen Romanschreibern finden. -- Maturin hat sich auch im
Drama versucht. Sein erstes Trauerspiel, Bertram, 4 816, wurde lebhaft von
Byron protegirt und mit Glück im Theater aufgeführt. Das zweite, Manuel, fiel
durch; Byron selbst fand, daß die Tollheit doch gar zu arg geworden sei.

Einen weit größern Erfolg hatte William Godwin, der Schwieger¬
vater Shelley's. Geboren 17ö6, versah er in den Jahren 1778---1783 das
Amt eines Geistlichen einer Dissentergemcinde in der Nähe von London. In
England kommt es überhaupt hänfig vor, daß Geistliche, die zuerst die Autono¬
mie ihres Denkens auf religiöse Erfindungen gewandt haben, nachher eine Rolle
in der allgemeinen Literatur spielen. Nachdem er seine Stelle aufgegeben hatte,
schrieb er zuerst kleine Aufsätze für Journale, bis er im Jahre 1793 mit seinem
größern Werk: ?o1Mein Msyee, hervortrat, einer Sammlung von Paradoxen zu
Gunsten der französischen Revolution, der Befreiung aller Menschen und der
Gleichheit ihrer Rechte und Genüsse. Das Buch erregte sehr bedeutendes Auf¬
sehen, erlebte mehrere Ausgaben, und verschaffte seinem Verfasser eine einflußreiche
Stellung unter den Whigs, die sich noch steigerte, als die Negierung im folgen¬
den Jahre mehrere seiner Freunde, Horne Tooke und Andere, wegen Hochver¬
rath vor Gericht zog, und als die Gerichte sie freisprachen. Obgleich mit den
ausschweifendsten Republikanern in Verbindung, nahm Godwin selbst an ihren Unter¬
nehmungen keinen Theil. Er hatte eben so wie Shelley selbst ein viel zu weiches,
träumerisches Wesen, um sich in die Welt der That einzulassen. -- 179/1- erschien
sein erster Roman, Oaled ^Villwins. Der Erfolg dieses Buches war so groß,
daß noch in den 30er Jahren ein Kritiker behaupten konnte, es sei anerkannt der
beste englische Roman. So unrichtig dieses Urtheil ist, so darf man doch ein
großes Talent in diesem seltsamen Werke nicht verkennen. Ans der Einleitung
sollte man schließen, daß es auf eine politische Tendenz abgesehen sei, daß der
Verfasser die Absicht habe, die Sünden des herrschenden politischen Systems
gegen die angeborenen Menschenrechte ans Licht zu stellen. Wir finden auch in
der That eine ziemliche Zahl satyrischer Stellen, in denen einzelne Gebrechen


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Greuelthaten sind doch diesmal etwas eingeschränkt, und das psychologische In¬
teresse tritt» in den Vordergrund. Der Gegensatz' der drei Weiber, welche die
Hauptrolle spielen, Großmutter, Mutter und Tochter, die beiden Letzteren in die
Liebe zu demselben Manne verstrickt, ist sehr poetisch gehalten. Die Erste, eine
irländische Meg Merillies, von dem wildesten katholischen Fanatismus erfüllt;
die Zweite, Zaira, die glänzende Sängerin, die unter einem frivolen Aussehen
die tiefsten Empfindungen birgt, ein Ebenbild der Corinna; endlich die Dritte,
Eva, in einer puritanischen Familie nach den strengsten Grundsätzen erzogen, und
in dem ewigen Conflict zwischen den natürlichen Empfindungen ihres Herzens
und der Casuistik der Pflicht befangen. Die Volksscenen, die in diesem Romane
vorkommen, sind mit großer Kunst geschildert, und mit einer Naturtreue, die wir
nur bei deu englischen Romanschreibern finden. — Maturin hat sich auch im
Drama versucht. Sein erstes Trauerspiel, Bertram, 4 816, wurde lebhaft von
Byron protegirt und mit Glück im Theater aufgeführt. Das zweite, Manuel, fiel
durch; Byron selbst fand, daß die Tollheit doch gar zu arg geworden sei.

Einen weit größern Erfolg hatte William Godwin, der Schwieger¬
vater Shelley's. Geboren 17ö6, versah er in den Jahren 1778—-1783 das
Amt eines Geistlichen einer Dissentergemcinde in der Nähe von London. In
England kommt es überhaupt hänfig vor, daß Geistliche, die zuerst die Autono¬
mie ihres Denkens auf religiöse Erfindungen gewandt haben, nachher eine Rolle
in der allgemeinen Literatur spielen. Nachdem er seine Stelle aufgegeben hatte,
schrieb er zuerst kleine Aufsätze für Journale, bis er im Jahre 1793 mit seinem
größern Werk: ?o1Mein Msyee, hervortrat, einer Sammlung von Paradoxen zu
Gunsten der französischen Revolution, der Befreiung aller Menschen und der
Gleichheit ihrer Rechte und Genüsse. Das Buch erregte sehr bedeutendes Auf¬
sehen, erlebte mehrere Ausgaben, und verschaffte seinem Verfasser eine einflußreiche
Stellung unter den Whigs, die sich noch steigerte, als die Negierung im folgen¬
den Jahre mehrere seiner Freunde, Horne Tooke und Andere, wegen Hochver¬
rath vor Gericht zog, und als die Gerichte sie freisprachen. Obgleich mit den
ausschweifendsten Republikanern in Verbindung, nahm Godwin selbst an ihren Unter¬
nehmungen keinen Theil. Er hatte eben so wie Shelley selbst ein viel zu weiches,
träumerisches Wesen, um sich in die Welt der That einzulassen. — 179/1- erschien
sein erster Roman, Oaled ^Villwins. Der Erfolg dieses Buches war so groß,
daß noch in den 30er Jahren ein Kritiker behaupten konnte, es sei anerkannt der
beste englische Roman. So unrichtig dieses Urtheil ist, so darf man doch ein
großes Talent in diesem seltsamen Werke nicht verkennen. Ans der Einleitung
sollte man schließen, daß es auf eine politische Tendenz abgesehen sei, daß der
Verfasser die Absicht habe, die Sünden des herrschenden politischen Systems
gegen die angeborenen Menschenrechte ans Licht zu stellen. Wir finden auch in
der That eine ziemliche Zahl satyrischer Stellen, in denen einzelne Gebrechen


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[0344] ^ / Greuelthaten sind doch diesmal etwas eingeschränkt, und das psychologische In¬ teresse tritt» in den Vordergrund. Der Gegensatz' der drei Weiber, welche die Hauptrolle spielen, Großmutter, Mutter und Tochter, die beiden Letzteren in die Liebe zu demselben Manne verstrickt, ist sehr poetisch gehalten. Die Erste, eine irländische Meg Merillies, von dem wildesten katholischen Fanatismus erfüllt; die Zweite, Zaira, die glänzende Sängerin, die unter einem frivolen Aussehen die tiefsten Empfindungen birgt, ein Ebenbild der Corinna; endlich die Dritte, Eva, in einer puritanischen Familie nach den strengsten Grundsätzen erzogen, und in dem ewigen Conflict zwischen den natürlichen Empfindungen ihres Herzens und der Casuistik der Pflicht befangen. Die Volksscenen, die in diesem Romane vorkommen, sind mit großer Kunst geschildert, und mit einer Naturtreue, die wir nur bei deu englischen Romanschreibern finden. — Maturin hat sich auch im Drama versucht. Sein erstes Trauerspiel, Bertram, 4 816, wurde lebhaft von Byron protegirt und mit Glück im Theater aufgeführt. Das zweite, Manuel, fiel durch; Byron selbst fand, daß die Tollheit doch gar zu arg geworden sei. Einen weit größern Erfolg hatte William Godwin, der Schwieger¬ vater Shelley's. Geboren 17ö6, versah er in den Jahren 1778—-1783 das Amt eines Geistlichen einer Dissentergemcinde in der Nähe von London. In England kommt es überhaupt hänfig vor, daß Geistliche, die zuerst die Autono¬ mie ihres Denkens auf religiöse Erfindungen gewandt haben, nachher eine Rolle in der allgemeinen Literatur spielen. Nachdem er seine Stelle aufgegeben hatte, schrieb er zuerst kleine Aufsätze für Journale, bis er im Jahre 1793 mit seinem größern Werk: ?o1Mein Msyee, hervortrat, einer Sammlung von Paradoxen zu Gunsten der französischen Revolution, der Befreiung aller Menschen und der Gleichheit ihrer Rechte und Genüsse. Das Buch erregte sehr bedeutendes Auf¬ sehen, erlebte mehrere Ausgaben, und verschaffte seinem Verfasser eine einflußreiche Stellung unter den Whigs, die sich noch steigerte, als die Negierung im folgen¬ den Jahre mehrere seiner Freunde, Horne Tooke und Andere, wegen Hochver¬ rath vor Gericht zog, und als die Gerichte sie freisprachen. Obgleich mit den ausschweifendsten Republikanern in Verbindung, nahm Godwin selbst an ihren Unter¬ nehmungen keinen Theil. Er hatte eben so wie Shelley selbst ein viel zu weiches, träumerisches Wesen, um sich in die Welt der That einzulassen. — 179/1- erschien sein erster Roman, Oaled ^Villwins. Der Erfolg dieses Buches war so groß, daß noch in den 30er Jahren ein Kritiker behaupten konnte, es sei anerkannt der beste englische Roman. So unrichtig dieses Urtheil ist, so darf man doch ein großes Talent in diesem seltsamen Werke nicht verkennen. Ans der Einleitung sollte man schließen, daß es auf eine politische Tendenz abgesehen sei, daß der Verfasser die Absicht habe, die Sünden des herrschenden politischen Systems gegen die angeborenen Menschenrechte ans Licht zu stellen. Wir finden auch in der That eine ziemliche Zahl satyrischer Stellen, in denen einzelne Gebrechen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/344>, abgerufen am 22.07.2024.