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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Da saß ich unter den epischen Helden der Prairie, die meisten deutsche Kolo¬
nisten, und während fie das bescheidene Mahl zu sich nahmen, untersuchte ich
meine gegenwärtige Situation und Umgebung. Sie war durchaus uicht so aben¬
teuerlich und fremdartig, wie ich mir in Deutschland gedacht hatte. Im Gegen¬
theil, es sah Alles recht hübsch einförmig, prosaisch hausbacken aus, ungefähr
wie bei einem rüstigen Landmann in Deutschland. Das Haus kleiner, das Gras
höher, die Arbeit ähnlich, jedenfalls nicht geringer. Jetzt arbeiten, Alles durch¬
machen, ein Mann sein, das neue Leben erobern, so rief es lant in mir, und mit
diesem Entschluß brachte ich alle rebellirenden Stimmen in meiner Seele zum
Schweigen.

Ich erbot mich, einige Wochen lang den Verwandten hilfreiche Hand zu
leisten, und quartierte mich sogleich in der Farm ein; Alles, was ich damals
besaß, hatte ich, da mein Koffer noch in guter Ruhe in! Houston stand bei mir,
und nnr die lederne Seitentasche war ein Mobiliar, das besonders transportirt
werden mußte.

Meine erste Thätigkeit sollte sein, bei einer nothwendigen Arbeit, die nur
1 bis 2 Tage in Anspruch nahm, zu helfen. Der Vorrath an Maiskorn,
der wegen der unzureichenden Ernte des vorigen Jahres nur dürftigzausgesallen war,
l^ng an, auf die Neige zu gehen, und es war hohe Zeit, daß neuer Vorrath
angeschafft wurde. Ein Plantagenbesitzer hatte zur Erfüllung eiues früheren
Tanschcontracts noch 20 Barret*) zu liefern.

Er wohnte jenseits des Mill-Creek, und es war die Bestimmung getroffen,
daß er die Ladung über den Fluß zu schaffen habe, von wo sie mein Schwager
vbholen sollte. Noch an demselben Tage gingen wir aus, um den Weg, den
dieses Korn zu passiren hatte, zu besichtigen, und fanden zu unserm Leidwesen,
daß ein kleiner, aber etwas tief fließender Bach angeschwollen war und die Brücke
weggerissen hatte. Den folgenden Morgen gingen wir daher, mein Schwager
und ich, die Aexte ans den Schultern -- das erste Mal in meinem Leben >-- hinaus,
um die Brücke zu bauen, und wo möglich an demselben Tage noch zu beenden.
Der Bauplan war uach Besichtigung des Terrains bald entworfen; er bestand
darin, daß zuerst Bäume von ^ bis 1 Fuß Dnchmesser gefällt werden sollten,
daß sodann Balken von ungefähr 20 Fuß Länge abzuschlagen und diese über
den Bach hinwegzulegen seien; die zwischen den Balken erscheinenden Lücken



*) Ein Barret ist kein genau bestimmtes Maß; man versteht darunter Fässer, in welchen
Flüssigkeiten, wie Whisky und Brandy (beides Branntwein; ersteres der aus Kor" oder Kar¬
toffeln, letzteres der dnrch Destillation des Weines gewonnene Franzbranntwein oder^Cognac),
aber auch Flour (Weizenmehl) versandt werden; die Flonrbarrels werden als die größten an¬
gesehen, und fassen etwas mehr als 3 Berliner Scheffel; in diesen Barrels mißt man das, vorn,
wenn es sich noch an den Kolben befindet und mit den Hüllblättern umgeben, ist; man rechnet
im Allgemeinen, daß ein solches Barret von Maiskolben ungefähr 1 Bushel (circa -10V- Ber¬
liner Metze) Maiskorn giebt.

Da saß ich unter den epischen Helden der Prairie, die meisten deutsche Kolo¬
nisten, und während fie das bescheidene Mahl zu sich nahmen, untersuchte ich
meine gegenwärtige Situation und Umgebung. Sie war durchaus uicht so aben¬
teuerlich und fremdartig, wie ich mir in Deutschland gedacht hatte. Im Gegen¬
theil, es sah Alles recht hübsch einförmig, prosaisch hausbacken aus, ungefähr
wie bei einem rüstigen Landmann in Deutschland. Das Haus kleiner, das Gras
höher, die Arbeit ähnlich, jedenfalls nicht geringer. Jetzt arbeiten, Alles durch¬
machen, ein Mann sein, das neue Leben erobern, so rief es lant in mir, und mit
diesem Entschluß brachte ich alle rebellirenden Stimmen in meiner Seele zum
Schweigen.

Ich erbot mich, einige Wochen lang den Verwandten hilfreiche Hand zu
leisten, und quartierte mich sogleich in der Farm ein; Alles, was ich damals
besaß, hatte ich, da mein Koffer noch in guter Ruhe in! Houston stand bei mir,
und nnr die lederne Seitentasche war ein Mobiliar, das besonders transportirt
werden mußte.

Meine erste Thätigkeit sollte sein, bei einer nothwendigen Arbeit, die nur
1 bis 2 Tage in Anspruch nahm, zu helfen. Der Vorrath an Maiskorn,
der wegen der unzureichenden Ernte des vorigen Jahres nur dürftigzausgesallen war,
l^ng an, auf die Neige zu gehen, und es war hohe Zeit, daß neuer Vorrath
angeschafft wurde. Ein Plantagenbesitzer hatte zur Erfüllung eiues früheren
Tanschcontracts noch 20 Barret*) zu liefern.

Er wohnte jenseits des Mill-Creek, und es war die Bestimmung getroffen,
daß er die Ladung über den Fluß zu schaffen habe, von wo sie mein Schwager
vbholen sollte. Noch an demselben Tage gingen wir aus, um den Weg, den
dieses Korn zu passiren hatte, zu besichtigen, und fanden zu unserm Leidwesen,
daß ein kleiner, aber etwas tief fließender Bach angeschwollen war und die Brücke
weggerissen hatte. Den folgenden Morgen gingen wir daher, mein Schwager
und ich, die Aexte ans den Schultern — das erste Mal in meinem Leben >— hinaus,
um die Brücke zu bauen, und wo möglich an demselben Tage noch zu beenden.
Der Bauplan war uach Besichtigung des Terrains bald entworfen; er bestand
darin, daß zuerst Bäume von ^ bis 1 Fuß Dnchmesser gefällt werden sollten,
daß sodann Balken von ungefähr 20 Fuß Länge abzuschlagen und diese über
den Bach hinwegzulegen seien; die zwischen den Balken erscheinenden Lücken



*) Ein Barret ist kein genau bestimmtes Maß; man versteht darunter Fässer, in welchen
Flüssigkeiten, wie Whisky und Brandy (beides Branntwein; ersteres der aus Kor» oder Kar¬
toffeln, letzteres der dnrch Destillation des Weines gewonnene Franzbranntwein oder^Cognac),
aber auch Flour (Weizenmehl) versandt werden; die Flonrbarrels werden als die größten an¬
gesehen, und fassen etwas mehr als 3 Berliner Scheffel; in diesen Barrels mißt man das, vorn,
wenn es sich noch an den Kolben befindet und mit den Hüllblättern umgeben, ist; man rechnet
im Allgemeinen, daß ein solches Barret von Maiskolben ungefähr 1 Bushel (circa -10V- Ber¬
liner Metze) Maiskorn giebt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/32>, abgerufen am 22.07.2024.