Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in einigen Logen eine ziemlich zischende Opposition laut. Sie sehen, wir kommen
aus der Politik nicht heraus, auch bei Beethoven nicht, und ein unschuldiger
Theaterchor kann durch Zusammentreffen von Umständen qualificirter Hochverrath
werden. Der Präsident war ruhig, wie gewöhnlich, wir wagen aber darum nicht,
zu behaupten, daß der neue Polizeiminister nicht Anlaß nehmen wird, ans na¬
tionalem Patriotismus den zweiten Besuch dieser Eindringlinge sich zu verbitten.
Was min die Aufführung betrifft, so verdient unser Hiller wirklich alles Lob:
erstens für deu Muth, mit einem so ernsten, dnrch und durch deutschen Werke
hervorgetreten zu sein, und zweitens für das, was er aus dem Orchester und den,
italienischen Säugern zu mache" gewußt. Wer -einen, Begriff von einem welschen
Theaterpersonale hat, wer weiß, wie das gewöhnt ist, die allerneuesten Opern
im Schlafe zu singen, und gleich s, visw als alte Bekannte herunter zu gurgeln,
der wird zu würdigen verstehen, was der deutsche Musiker hier geleistet. Das
Orchester, das seit Jahren darauf beschränkt ist, sein einförmiges "Drummdrumm"
herunter zu geigen, schien sich fast gegen die eigene ehrenvolle Erhebung zu sträu¬
ben, aber der dictatorische Stab des Maestro behielt Recht, und die Herren ge¬
horchten mit einer Disciplin, welche dem Belagerungszustande Ehre macht, und
selbst Louis Napoleon Respect einflößen mußte. Beide Ouvertüren, auch die
große in C-dur, welche vor dem Schlüsse des zweiten Actes gespielt wurden,
machten sichtlichen Eindruck, so wie überhaupt die ganze Oper.mit großer Auf¬
merksamkeit angehört wurde, was bei einem italienischen Opernpublicum viel sagen
will. Das ftauzösisch-italienische Auditorium wurde fast so sehr in Athem gehal¬
ten, wie der Kapellmeister selbst, und man sah den Leuten die Ueberraschung an,
noch so viel ästhetisches Gefühl an sich zu entdecken, mehr als den Namen des
Verfassers gut zu finden. Die Besetzung ließ leider sehr viel zu wünschen übrig,
und was außer Hiller's Bereich fällt, nämlich Chöre und Orchester weggerechnet,
war alles.mittelmäßig. Nur Beletti, welcher den Rollo sang, war auf der Hohe
seiner Aufgabe, was von der Cruvelli durchaus nicht und in keinem Punkte gilt.
Sie ist keinen Moment begeistert, und macht den Eindruck, als ob sie den Text ihrer
Rolle eben so wenig perstände, als das Publicum. Sie versteht auch in dieser
Rolle nicht Mittelpunkt zu werden, und wie die Schröder die Mitspielenden zu
elektrisiren und mit sich fortzureißen. Sie singt und spielt, weil sie bezahlt ist,
sie singt zuweilen schön, weil sie eine schöne Stimme, und wider ihren Willen
Etwas gelernt hat, aber es geht nie Etwas in ihr vor, und Beethoven hat sie
nicht mehr gepackt, als Verdi und Donizetti. Die Andern, wie gesagt, mit Aus¬
nahme Beletti's, waren noch unbedeutender, und es ist um so erfreulicher, daß
die Oper dennoch durchgedrungen hat. Die ^italienische Clique, die Söldlinge
der Verleger des modernen transalpinischen Singsangs, werden freilich ein Zeter¬
geschrei erheben, aber es hilft ihnen doch Nichts, man wird die Oper oft wieder
hören können, und wenn Hiller Energie genng haben darf, kann Fidelio auf


in einigen Logen eine ziemlich zischende Opposition laut. Sie sehen, wir kommen
aus der Politik nicht heraus, auch bei Beethoven nicht, und ein unschuldiger
Theaterchor kann durch Zusammentreffen von Umständen qualificirter Hochverrath
werden. Der Präsident war ruhig, wie gewöhnlich, wir wagen aber darum nicht,
zu behaupten, daß der neue Polizeiminister nicht Anlaß nehmen wird, ans na¬
tionalem Patriotismus den zweiten Besuch dieser Eindringlinge sich zu verbitten.
Was min die Aufführung betrifft, so verdient unser Hiller wirklich alles Lob:
erstens für deu Muth, mit einem so ernsten, dnrch und durch deutschen Werke
hervorgetreten zu sein, und zweitens für das, was er aus dem Orchester und den,
italienischen Säugern zu mache» gewußt. Wer -einen, Begriff von einem welschen
Theaterpersonale hat, wer weiß, wie das gewöhnt ist, die allerneuesten Opern
im Schlafe zu singen, und gleich s, visw als alte Bekannte herunter zu gurgeln,
der wird zu würdigen verstehen, was der deutsche Musiker hier geleistet. Das
Orchester, das seit Jahren darauf beschränkt ist, sein einförmiges „Drummdrumm"
herunter zu geigen, schien sich fast gegen die eigene ehrenvolle Erhebung zu sträu¬
ben, aber der dictatorische Stab des Maestro behielt Recht, und die Herren ge¬
horchten mit einer Disciplin, welche dem Belagerungszustande Ehre macht, und
selbst Louis Napoleon Respect einflößen mußte. Beide Ouvertüren, auch die
große in C-dur, welche vor dem Schlüsse des zweiten Actes gespielt wurden,
machten sichtlichen Eindruck, so wie überhaupt die ganze Oper.mit großer Auf¬
merksamkeit angehört wurde, was bei einem italienischen Opernpublicum viel sagen
will. Das ftauzösisch-italienische Auditorium wurde fast so sehr in Athem gehal¬
ten, wie der Kapellmeister selbst, und man sah den Leuten die Ueberraschung an,
noch so viel ästhetisches Gefühl an sich zu entdecken, mehr als den Namen des
Verfassers gut zu finden. Die Besetzung ließ leider sehr viel zu wünschen übrig,
und was außer Hiller's Bereich fällt, nämlich Chöre und Orchester weggerechnet,
war alles.mittelmäßig. Nur Beletti, welcher den Rollo sang, war auf der Hohe
seiner Aufgabe, was von der Cruvelli durchaus nicht und in keinem Punkte gilt.
Sie ist keinen Moment begeistert, und macht den Eindruck, als ob sie den Text ihrer
Rolle eben so wenig perstände, als das Publicum. Sie versteht auch in dieser
Rolle nicht Mittelpunkt zu werden, und wie die Schröder die Mitspielenden zu
elektrisiren und mit sich fortzureißen. Sie singt und spielt, weil sie bezahlt ist,
sie singt zuweilen schön, weil sie eine schöne Stimme, und wider ihren Willen
Etwas gelernt hat, aber es geht nie Etwas in ihr vor, und Beethoven hat sie
nicht mehr gepackt, als Verdi und Donizetti. Die Andern, wie gesagt, mit Aus¬
nahme Beletti's, waren noch unbedeutender, und es ist um so erfreulicher, daß
die Oper dennoch durchgedrungen hat. Die ^italienische Clique, die Söldlinge
der Verleger des modernen transalpinischen Singsangs, werden freilich ein Zeter¬
geschrei erheben, aber es hilft ihnen doch Nichts, man wird die Oper oft wieder
hören können, und wenn Hiller Energie genng haben darf, kann Fidelio auf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93681"/>
          <p xml:id="ID_842" prev="#ID_841" next="#ID_843"> in einigen Logen eine ziemlich zischende Opposition laut.  Sie sehen, wir kommen<lb/>
aus der Politik nicht heraus, auch bei Beethoven nicht, und ein unschuldiger<lb/>
Theaterchor kann durch Zusammentreffen von Umständen qualificirter Hochverrath<lb/>
werden.  Der Präsident war ruhig, wie gewöhnlich, wir wagen aber darum nicht,<lb/>
zu behaupten, daß der neue Polizeiminister nicht Anlaß nehmen wird, ans na¬<lb/>
tionalem Patriotismus den zweiten Besuch dieser Eindringlinge sich zu verbitten.<lb/>
Was min die Aufführung betrifft, so verdient unser Hiller wirklich alles Lob:<lb/>
erstens für deu Muth, mit einem so ernsten, dnrch und durch deutschen Werke<lb/>
hervorgetreten zu sein, und zweitens für das, was er aus dem Orchester und den,<lb/>
italienischen Säugern zu mache» gewußt.  Wer -einen, Begriff von einem welschen<lb/>
Theaterpersonale hat, wer weiß, wie das gewöhnt ist, die allerneuesten Opern<lb/>
im Schlafe zu singen, und gleich s, visw als alte Bekannte herunter zu gurgeln,<lb/>
der wird zu würdigen verstehen, was der deutsche Musiker hier geleistet. Das<lb/>
Orchester, das seit Jahren darauf beschränkt ist, sein einförmiges &#x201E;Drummdrumm"<lb/>
herunter zu geigen, schien sich fast gegen die eigene ehrenvolle Erhebung zu sträu¬<lb/>
ben, aber der dictatorische Stab des Maestro behielt Recht, und die Herren ge¬<lb/>
horchten mit einer Disciplin, welche dem Belagerungszustande Ehre macht, und<lb/>
selbst Louis Napoleon Respect einflößen mußte.  Beide Ouvertüren, auch die<lb/>
große in C-dur, welche vor dem Schlüsse des zweiten Actes gespielt wurden,<lb/>
machten sichtlichen Eindruck, so wie überhaupt die ganze Oper.mit großer Auf¬<lb/>
merksamkeit angehört wurde, was bei einem italienischen Opernpublicum viel sagen<lb/>
will.  Das ftauzösisch-italienische Auditorium wurde fast so sehr in Athem gehal¬<lb/>
ten, wie der Kapellmeister selbst, und man sah den Leuten die Ueberraschung an,<lb/>
noch so viel ästhetisches Gefühl an sich zu entdecken, mehr als den Namen des<lb/>
Verfassers gut zu finden. Die Besetzung ließ leider sehr viel zu wünschen übrig,<lb/>
und was außer Hiller's Bereich fällt, nämlich Chöre und Orchester weggerechnet,<lb/>
war alles.mittelmäßig.  Nur Beletti, welcher den Rollo sang, war auf der Hohe<lb/>
seiner Aufgabe, was von der Cruvelli durchaus nicht und in keinem Punkte gilt.<lb/>
Sie ist keinen Moment begeistert, und macht den Eindruck, als ob sie den Text ihrer<lb/>
Rolle eben so wenig perstände, als das Publicum.  Sie versteht auch in dieser<lb/>
Rolle nicht Mittelpunkt zu werden, und wie die Schröder die Mitspielenden zu<lb/>
elektrisiren und mit sich fortzureißen.  Sie singt und spielt, weil sie bezahlt ist,<lb/>
sie singt zuweilen schön, weil sie eine schöne Stimme, und wider ihren Willen<lb/>
Etwas gelernt hat, aber es geht nie Etwas in ihr vor, und Beethoven hat sie<lb/>
nicht mehr gepackt, als Verdi und Donizetti. Die Andern, wie gesagt, mit Aus¬<lb/>
nahme Beletti's, waren noch unbedeutender, und es ist um so erfreulicher, daß<lb/>
die Oper dennoch durchgedrungen hat.  Die ^italienische Clique, die Söldlinge<lb/>
der Verleger des modernen transalpinischen Singsangs, werden freilich ein Zeter¬<lb/>
geschrei erheben, aber es hilft ihnen doch Nichts, man wird die Oper oft wieder<lb/>
hören können, und wenn Hiller Energie genng haben darf, kann Fidelio auf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0316] in einigen Logen eine ziemlich zischende Opposition laut. Sie sehen, wir kommen aus der Politik nicht heraus, auch bei Beethoven nicht, und ein unschuldiger Theaterchor kann durch Zusammentreffen von Umständen qualificirter Hochverrath werden. Der Präsident war ruhig, wie gewöhnlich, wir wagen aber darum nicht, zu behaupten, daß der neue Polizeiminister nicht Anlaß nehmen wird, ans na¬ tionalem Patriotismus den zweiten Besuch dieser Eindringlinge sich zu verbitten. Was min die Aufführung betrifft, so verdient unser Hiller wirklich alles Lob: erstens für deu Muth, mit einem so ernsten, dnrch und durch deutschen Werke hervorgetreten zu sein, und zweitens für das, was er aus dem Orchester und den, italienischen Säugern zu mache» gewußt. Wer -einen, Begriff von einem welschen Theaterpersonale hat, wer weiß, wie das gewöhnt ist, die allerneuesten Opern im Schlafe zu singen, und gleich s, visw als alte Bekannte herunter zu gurgeln, der wird zu würdigen verstehen, was der deutsche Musiker hier geleistet. Das Orchester, das seit Jahren darauf beschränkt ist, sein einförmiges „Drummdrumm" herunter zu geigen, schien sich fast gegen die eigene ehrenvolle Erhebung zu sträu¬ ben, aber der dictatorische Stab des Maestro behielt Recht, und die Herren ge¬ horchten mit einer Disciplin, welche dem Belagerungszustande Ehre macht, und selbst Louis Napoleon Respect einflößen mußte. Beide Ouvertüren, auch die große in C-dur, welche vor dem Schlüsse des zweiten Actes gespielt wurden, machten sichtlichen Eindruck, so wie überhaupt die ganze Oper.mit großer Auf¬ merksamkeit angehört wurde, was bei einem italienischen Opernpublicum viel sagen will. Das ftauzösisch-italienische Auditorium wurde fast so sehr in Athem gehal¬ ten, wie der Kapellmeister selbst, und man sah den Leuten die Ueberraschung an, noch so viel ästhetisches Gefühl an sich zu entdecken, mehr als den Namen des Verfassers gut zu finden. Die Besetzung ließ leider sehr viel zu wünschen übrig, und was außer Hiller's Bereich fällt, nämlich Chöre und Orchester weggerechnet, war alles.mittelmäßig. Nur Beletti, welcher den Rollo sang, war auf der Hohe seiner Aufgabe, was von der Cruvelli durchaus nicht und in keinem Punkte gilt. Sie ist keinen Moment begeistert, und macht den Eindruck, als ob sie den Text ihrer Rolle eben so wenig perstände, als das Publicum. Sie versteht auch in dieser Rolle nicht Mittelpunkt zu werden, und wie die Schröder die Mitspielenden zu elektrisiren und mit sich fortzureißen. Sie singt und spielt, weil sie bezahlt ist, sie singt zuweilen schön, weil sie eine schöne Stimme, und wider ihren Willen Etwas gelernt hat, aber es geht nie Etwas in ihr vor, und Beethoven hat sie nicht mehr gepackt, als Verdi und Donizetti. Die Andern, wie gesagt, mit Aus¬ nahme Beletti's, waren noch unbedeutender, und es ist um so erfreulicher, daß die Oper dennoch durchgedrungen hat. Die ^italienische Clique, die Söldlinge der Verleger des modernen transalpinischen Singsangs, werden freilich ein Zeter¬ geschrei erheben, aber es hilft ihnen doch Nichts, man wird die Oper oft wieder hören können, und wenn Hiller Energie genng haben darf, kann Fidelio auf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/316
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/316>, abgerufen am 22.07.2024.