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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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mus von Gottes Gnaden sei. Komischer noch als Montalembert's Rede ist die
Antwort Guizot's. Dieser hinkt seinem Gegner von ehemals mit den verbindlichsten
Kratzfüßen entgegen, und indem er dem Montalembert der Opposition einige
Hiebe mit flacher Klinge verseht, ist er einverstanden mit dem katholischen Monta¬
lembert des absoluten Regime. Der Protestant Guizot hält es allenfalls für un¬
angemessen, das Edict von Nantes zu adoptiren, aber im Uebrigen sieht er durch
Montalembert's erzkatholische Brille. Seine Rede ist als Beitrag zur cultur¬
historischen Entwickelung unsrer Zeit unbedeutender, als die erste beste Seite aus
seiner Geschichte der Civilisation. Allein der Form nach ist sie meisterhaft und
tadellos wie eine antike Statue. Guizot wird zum Apologeten des Klerus in Frank¬
reich, nachdem er im Namen der Akademie sorgfältig Montalembert's Ansichten
zurückgewiesen, und er theilt sich mit dem neuen Collegen großmüthig in das
Anathem der gelehrten Körperschaft. In seiner naiven Bewunderung für den
Montalembert für heute zählte er mit unbequemer Verve die vielen Bekehrungen
des katholischen Grafen auf, und rächt sich für dessen Opposition durch diese
hinter der feinsten und wohlwollendsten Sprache versteckte Kritik. Guizot ver¬
theidigt die Monarchie als Gründerin der französischen Civilisation, und er
umgiebt Luwig XVI. mit einem Nimbus, welcher der poetischen Uebertreibung
Lamartine's keine Schande machte. Aber die Form entschädigt in vielfacher Be¬
ziehung für den Inhalt, und in dieser Hinsicht kann Guizot's Rede geradezu
als ein Meisterstück hingestellt werden. Die Parallele, welche der Redner zwischen
dem Hingeschiedenen und dem neugeborenen Akademiker zieht, gehört mit zu den
geistreichsten Rednerkünsten und zu den scharfsinnigsten Spielereien, die sich ein
Akademiker nur erlauben kann. Im Ganzen lassen beide Reden unerqnickt,
weil man deutlich aus beiden die Parteimänner heraushört, und weder den
Historiker, noch den Philosophen. Das große Unglück, die namenlose Schande,
welcher Frankreich erlegen, war nicht im Stande, , sie ans ihren beschränkten
Parteianstchten herauszubringen, und der Eine suchte vorzüglich im Klerus,
der Andere vorzüglich im Monarchen die einzige Rettung der Zukunft. Verge¬
bens suchen wir nach jenem weiten Ueberblicke, welcher den wahren Philosophen
bezeichnet, und wir können anch keinen Augenblick vou der Ueberzeugung frei werden,
daß Beide noch bis über den Kops in ihren alten Illusionen und Vorurtheilen stecken.
Und doch wieder nicht ein Fünkchen Muth, um die Ungerechtigkeit der kleinen
Bezwinger des großen Volkes zu stempeln, wie sie es verdiente, kein Wort der
Erinnerung an die exilirten Mitglieder des gelehrten Senats. Die Prinzessin Ma¬
thilde, welche unter Begleitung des Generals Carrelet der akademischen Production
beiwohnte, mußte am Ende glauben, ihr Cousin sei wirklich ein großer Mann,
weil er so viele Unsterblichkeiten unter seiner Zuchtruthe gebeugt zu halten vermag,
ohne einen andern Titel, als seine zweimaligen Versuche in Boulogne und
Straßburg, und ohne andere Berechtigung, als die eines gelungenen Staats-


mus von Gottes Gnaden sei. Komischer noch als Montalembert's Rede ist die
Antwort Guizot's. Dieser hinkt seinem Gegner von ehemals mit den verbindlichsten
Kratzfüßen entgegen, und indem er dem Montalembert der Opposition einige
Hiebe mit flacher Klinge verseht, ist er einverstanden mit dem katholischen Monta¬
lembert des absoluten Regime. Der Protestant Guizot hält es allenfalls für un¬
angemessen, das Edict von Nantes zu adoptiren, aber im Uebrigen sieht er durch
Montalembert's erzkatholische Brille. Seine Rede ist als Beitrag zur cultur¬
historischen Entwickelung unsrer Zeit unbedeutender, als die erste beste Seite aus
seiner Geschichte der Civilisation. Allein der Form nach ist sie meisterhaft und
tadellos wie eine antike Statue. Guizot wird zum Apologeten des Klerus in Frank¬
reich, nachdem er im Namen der Akademie sorgfältig Montalembert's Ansichten
zurückgewiesen, und er theilt sich mit dem neuen Collegen großmüthig in das
Anathem der gelehrten Körperschaft. In seiner naiven Bewunderung für den
Montalembert für heute zählte er mit unbequemer Verve die vielen Bekehrungen
des katholischen Grafen auf, und rächt sich für dessen Opposition durch diese
hinter der feinsten und wohlwollendsten Sprache versteckte Kritik. Guizot ver¬
theidigt die Monarchie als Gründerin der französischen Civilisation, und er
umgiebt Luwig XVI. mit einem Nimbus, welcher der poetischen Uebertreibung
Lamartine's keine Schande machte. Aber die Form entschädigt in vielfacher Be¬
ziehung für den Inhalt, und in dieser Hinsicht kann Guizot's Rede geradezu
als ein Meisterstück hingestellt werden. Die Parallele, welche der Redner zwischen
dem Hingeschiedenen und dem neugeborenen Akademiker zieht, gehört mit zu den
geistreichsten Rednerkünsten und zu den scharfsinnigsten Spielereien, die sich ein
Akademiker nur erlauben kann. Im Ganzen lassen beide Reden unerqnickt,
weil man deutlich aus beiden die Parteimänner heraushört, und weder den
Historiker, noch den Philosophen. Das große Unglück, die namenlose Schande,
welcher Frankreich erlegen, war nicht im Stande, , sie ans ihren beschränkten
Parteianstchten herauszubringen, und der Eine suchte vorzüglich im Klerus,
der Andere vorzüglich im Monarchen die einzige Rettung der Zukunft. Verge¬
bens suchen wir nach jenem weiten Ueberblicke, welcher den wahren Philosophen
bezeichnet, und wir können anch keinen Augenblick vou der Ueberzeugung frei werden,
daß Beide noch bis über den Kops in ihren alten Illusionen und Vorurtheilen stecken.
Und doch wieder nicht ein Fünkchen Muth, um die Ungerechtigkeit der kleinen
Bezwinger des großen Volkes zu stempeln, wie sie es verdiente, kein Wort der
Erinnerung an die exilirten Mitglieder des gelehrten Senats. Die Prinzessin Ma¬
thilde, welche unter Begleitung des Generals Carrelet der akademischen Production
beiwohnte, mußte am Ende glauben, ihr Cousin sei wirklich ein großer Mann,
weil er so viele Unsterblichkeiten unter seiner Zuchtruthe gebeugt zu halten vermag,
ohne einen andern Titel, als seine zweimaligen Versuche in Boulogne und
Straßburg, und ohne andere Berechtigung, als die eines gelungenen Staats-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/314>, abgerufen am 22.07.2024.