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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Karren ritt. Sie war ein Soldatenkind, sie kannte nichts Anderes, als die'
französische Armee, in deren Bivouacs, Lagern und Casernen sie ihr ganzes Leben
-verbracht hatte. Ihre Mutter schon war vivanäiero einer Halbbrigade in der
italienischen Armee des Generals Napoleon Bnonaparte gewesen, der Vater aber
nach ihrer eigenen Versicherung eine etwas zweifelhafte Person. Die Chasseurs
des Bataillons, die alles Mögliche hervorsuchten, was zur Erhöhung des Ansehens
ihrer ,,niere K,odwea,r>" beitragen konnte, behaupteten steif und fest, dieselbe sei
eine Tochter von Napoleon. Eine unverkennbare Aehnlichkeit mit dem Kaiser
wollten sie im Gesicht Derselben erkennen; wehe Dein, der sich in ihrer Gegen¬
wart auch nur den mindesten Zweifel an diesem hohen Ursprung erlaubt hätte.
Die Alte selbst wich mit diplomatischer Geschicklichkeit allen näheren Fragen
hierüber aus. Jedenfalls wuchs die Kleine, die im Feldlager geboren war, auch
darin auf. Ihre Mutter, später vio^näiere bei deu Chasseurs der kaiserlichen
Garde, folgte diesen überall, wohin Napoleons Befehl sie führte, und mit der
Garde zog das Kind in Spanien und Italien, in Deutschland und Rußland
umher, und hatte auf dem Marketenderkarren seiner Mutter den blutigsten Schlach¬
ten unsres Jahrhunderts beigewohnt. Mit wirklich nicht geringem Erzählungs¬
talent wußte liiere Uobweku,, wenn sie besonders guter Laune war, einzelne
Scenen aus diesen großartigen Dramen, die ihre Kindheit fortwährend umgaben,
uns vorzuplaudern. Bei dein unglücklichen Feldzuge in Frankreich machte der
Lanzenstich eines Kosaken dem Leben der Mutter ein Ende, und die junge
18jährige Tochter blieb allein im Lager zurück. An Bewerbern aller Art soll es
derselben nach ihrer eigenen komischen Versicherung nicht gefehlt haben. "Viele
Wahl macht lange Qual" dachte sie, und heirathete frisch darauf weg einen
Sergeanten der Chasseurs der Garde, "mi Mi g-in^-vu", wie sie sich noch seufzend
ausdrückte. Ein kleiner Speckladen wurde von dem jungen Paar in Vincennes
angelegt. Und wäre der Kaiser nicht wiedergekommen, so hätte die Alte, wie
sie selbst spottend erzählte, wahrscheinlich ihr ferneres Leben als ehrsame Frau
eines Epiciers in Vincennes ruhig zugebracht. Die Rückkehr vou Elba zerstörte
bald dieses ruhige Glück; der Mann trat, wie es sich von selbst verstand, wieder
unter die kaiserlichen Schaaren, und ward Officier bei der Garde. Seine
Frau hätte nicht im Feldlager geboren und erzogen sein müssen, wenn sie ihren
Gatten nicht begleitet. In der Schlacht bei Waterloo tödtete eine englische Paß-
kugel den Officier an demselben Tage, wo seine hinterlassene Wittwe in einem bel¬
gischen Dorfe unweit des Schlachtfeldes mit einem muntern Knäblein niederkam.
Dieser Sohn, noch jetzt der Stolz der Alten, an den sie mir früher einmal
einen Empfehlungsbrief dictirt hatte, denn sie selbst könnte weder lesen noch
schreiben, war ein stattlicher, hübscher Mann geworden, der als Capitain in
einem Genie-Regimente diente. Nach des Mannes Tode wollte die junge Wittwe
nicht allein ihr einsames Ladengeschäft fortsetzen, und trat als Marketenderin bei


Karren ritt. Sie war ein Soldatenkind, sie kannte nichts Anderes, als die'
französische Armee, in deren Bivouacs, Lagern und Casernen sie ihr ganzes Leben
-verbracht hatte. Ihre Mutter schon war vivanäiero einer Halbbrigade in der
italienischen Armee des Generals Napoleon Bnonaparte gewesen, der Vater aber
nach ihrer eigenen Versicherung eine etwas zweifelhafte Person. Die Chasseurs
des Bataillons, die alles Mögliche hervorsuchten, was zur Erhöhung des Ansehens
ihrer ,,niere K,odwea,r>" beitragen konnte, behaupteten steif und fest, dieselbe sei
eine Tochter von Napoleon. Eine unverkennbare Aehnlichkeit mit dem Kaiser
wollten sie im Gesicht Derselben erkennen; wehe Dein, der sich in ihrer Gegen¬
wart auch nur den mindesten Zweifel an diesem hohen Ursprung erlaubt hätte.
Die Alte selbst wich mit diplomatischer Geschicklichkeit allen näheren Fragen
hierüber aus. Jedenfalls wuchs die Kleine, die im Feldlager geboren war, auch
darin auf. Ihre Mutter, später vio^näiere bei deu Chasseurs der kaiserlichen
Garde, folgte diesen überall, wohin Napoleons Befehl sie führte, und mit der
Garde zog das Kind in Spanien und Italien, in Deutschland und Rußland
umher, und hatte auf dem Marketenderkarren seiner Mutter den blutigsten Schlach¬
ten unsres Jahrhunderts beigewohnt. Mit wirklich nicht geringem Erzählungs¬
talent wußte liiere Uobweku,, wenn sie besonders guter Laune war, einzelne
Scenen aus diesen großartigen Dramen, die ihre Kindheit fortwährend umgaben,
uns vorzuplaudern. Bei dein unglücklichen Feldzuge in Frankreich machte der
Lanzenstich eines Kosaken dem Leben der Mutter ein Ende, und die junge
18jährige Tochter blieb allein im Lager zurück. An Bewerbern aller Art soll es
derselben nach ihrer eigenen komischen Versicherung nicht gefehlt haben. „Viele
Wahl macht lange Qual" dachte sie, und heirathete frisch darauf weg einen
Sergeanten der Chasseurs der Garde, „mi Mi g-in^-vu", wie sie sich noch seufzend
ausdrückte. Ein kleiner Speckladen wurde von dem jungen Paar in Vincennes
angelegt. Und wäre der Kaiser nicht wiedergekommen, so hätte die Alte, wie
sie selbst spottend erzählte, wahrscheinlich ihr ferneres Leben als ehrsame Frau
eines Epiciers in Vincennes ruhig zugebracht. Die Rückkehr vou Elba zerstörte
bald dieses ruhige Glück; der Mann trat, wie es sich von selbst verstand, wieder
unter die kaiserlichen Schaaren, und ward Officier bei der Garde. Seine
Frau hätte nicht im Feldlager geboren und erzogen sein müssen, wenn sie ihren
Gatten nicht begleitet. In der Schlacht bei Waterloo tödtete eine englische Paß-
kugel den Officier an demselben Tage, wo seine hinterlassene Wittwe in einem bel¬
gischen Dorfe unweit des Schlachtfeldes mit einem muntern Knäblein niederkam.
Dieser Sohn, noch jetzt der Stolz der Alten, an den sie mir früher einmal
einen Empfehlungsbrief dictirt hatte, denn sie selbst könnte weder lesen noch
schreiben, war ein stattlicher, hübscher Mann geworden, der als Capitain in
einem Genie-Regimente diente. Nach des Mannes Tode wollte die junge Wittwe
nicht allein ihr einsames Ladengeschäft fortsetzen, und trat als Marketenderin bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/306>, abgerufen am 22.07.2024.